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NAHOST/1460: Innerschiitischer Machtkampf in Bagdad wird blutig (SB)


Innerschiitischer Machtkampf in Bagdad wird blutig

Muktada Al Sadr will den Klüngel um Nuri Al Maliki beseitigen


Drei Wochen, nachdem sie die Grüne Zone, den Sitz der meisten Ministerien und der ausländischen Botschaften im Herzen Bagdads, besetzt hatten, sind im Anschluß an das Freitagsgebet am 20. Mai die Anhänger Muktada Al Sadrs erneut auf das schwerbewachte Gelände am Tigris Ufer gelangt. Diesmal jedoch haben die Sicherheitskräfte die friedlichen Demonstranten nicht gewähren lassen, sondern sie mit Tränengas, Wasserkanonen und Schüssen vertrieben. Mindestens drei Zivilisten, darunter ein Fotojournalist, starben im Kugelhagel, während mehr als 120 Personen verletzt wurden. Regierungschef Haider Al Abadi hat für die irakische Hauptstadt den Notstand ausgerufen.

Al Sadr entstammt einer berühmten schiitischen Predigerfamilie und genießt daher die Treue von Millionen armer Schiiten im Irak. Seit vergangenem Jahr protestieren diese Leute gegen die Korruption und Mißwirtschaft, welche das Zweistromland zugrunderichten. Vor Wochen hat Al Sadr von Premierminister Al Abadi die Einsetzung einer Regierung, bestehend aus unabhängigen Experten, und somit ein Ende der bisherigen Ressourcen- und Ämterverteilung unter den im irakischen Parlament vertretenen kurdischen, sunnitischen und schiitischen Parteien gefordert. Abadi bemüht sich nach besten Kräften, den Reformweg zu beschreiten, wird jedoch an der Umsetzung von den beiden mächtigsten Gruppierungen innerhalb des schiitischen Lagers, der Dawa-Partei von Ex-Premierminister Nuri Al Maliki und dem Obersten Islamischen Rat im Irak (Islamic Supreme Council of Iraq - ISCI) um Ammar Al Hakim, die am meisten vom bisherigen System profitieren, blockiert.

Seit der Besetzung der Grünen Zone vor drei Wochen hat das irakische Parlament wegen der heillosen Zerstrittenheit der Fraktionen nicht ein einziges Mal getagt. Schlimmer noch - während dieser Zeit ist es in Bagdad zu den schwersten Bombenanschlägen in diesem Jahr gekommen, die sich hauptsächlich in Wohngebieten der schiitischen Arbeiterklasse ereigneten. Allein am 17. Mai tötete im Viertel Schabb eine Autobombe 41 Menschen und verletzte 70, während eine zweite in Sadr City 30 Menschen ums Leben brachte und 57 weitere schwer verletzt zurückließ. Zu den Anschlägen hat sich zwar die sunnitische "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS), der derzeit in der Provinz Anbar irakische Streitkräfte und deren US-Militärberater schwer zusetzen, bekannt, doch die Anhänger Al Sadrs vermuten dahinter die Handlanger Al Malikis und Al Hakims.

Bereits 2014 hatte Al Sadr seine einst gefürchtete Mahdi-Armee reaktiviert. Sie nennt sich heute die Saraya Al Salam (Friedensbrigade). In den letzten Tagen war deren Präsenz auf den Straßen von Bagdad stärker als die der regulären irakischen Sicherheitskräfte. Der Machtkampf innerhalb des schiitischen Lagers droht offenbar in einen blutigen Bürgerkrieg auszuarten. Schließlich verfügt Al Hakim seinerseits in Form der Badr-Brigaden über eine der schlagkräftigsten Milizen des Landes. Derzeit ist unklar, wie sich die Sadristen gegen Al Maliki und Al Hakim durchzusetzen gedenken, genießen letztere doch bisher die Unterstützung des Irans. Bei der Besetzung der Grünen Zone vor drei Wochen hatten die Sadr-Leute hörbar gegen den Einfluß Teherans in der irakischen Innenpolitik skandiert. In Reaktion auf die gewaltsame Räumung der Grünen Zone am gestrigen Tag hat Al Sadr erklärt, die von ihm initierte "Revolution" wäre nicht aufzuhalten. Der Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung steht noch aus.

21. Mai 2016


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