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NAHOST/1450: Al Kaida richtet eigenen Staat im Osten Jemens ein (SB)


Al Kaida richtet eigenen Staat im Osten Jemens ein

Al Mukalla mutiert zur Hauptstadt eines neuen salafistischen Emirats


Seit null Uhr am 11. April schweigen im Jemen - mit gelegentlichen Unterbrechungen - die Waffen. In dem Armenhaus der arabischen Welt versucht eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition seit Ende März 2015 vergeblich, den gestürzten Präsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi gegen den Widerstand schiitischer Huthi-Rebellen und der mit ihnen verbündeten Teile der jemenitischen Streitkräfte, die dem früheren langjährigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh und seinem Klan die Treue halten, wieder an die Macht zu hieven. Bisher hat der Krieg im Jemen mehr als 6500 Menschen, rund die Hälfte davon Zivilisten, das Leben gekostet. Luftangriffe der ausländischen Interventionistenarmee haben weite Teile der Infrastruktur des Jemens zerstört. Rund 20 Millionen Menschen hungern, haben kaum Zugang zu sauberem Trinkwasser und sind auf humanitäre Hilfe zum Überleben angewiesen.

In den kommenden Tagen sollen in Kuwait Friedensverhandlungen zwischen den Huthis und den Saleh-Leuten auf der einen Seite sowie dem Ex-Präsidenten Hadi und den Saudis auf der anderen beginnen. Militärisch befinden sich die Kriegsbeteiligten in einer Pattsituation. Die Huthi-Saleh-Koalition kontrolliert nach wie vor den Norden des Landes einschließlich der Hauptstadt Sanaa; Hadi und seine Anhänger haben in der Hafenmetropole Aden und in weiten Teilen des Südens das Sagen. In der Mitte des Jemens verläuft die Front. Seit Monaten wird erbittert um die Stadt Taiz, die auf halber Strecke zwischen Sanaa und Aden liegt, gekämpft. Doch selbst, wenn die Bürgerkriegsparteien in Kuwait es schaffen, den politischen Prozeß wieder in Gang zu bekommen, dürfte der Jemen noch lange nicht zur Ruhe kommen. Dank der Kriegswirren hat Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel, gegen die die USA seit Jahren per Drohne Raketenangriffe durchführen, einen eigenen Staat eingerichtet und dürfte dort nicht so schnell wieder zu vertreiben sein.

Am 1. April 2015, wenige Tage nach Beginn der von Riad geführten Operation Entscheidender Sturm, haben Kämpfer der Al Qaeda in the Arabian Peninsula (AQAP) ein Gefängnis in der ostjemenitischen Hafenstadt Mukalla erstürmt und mindestens 150 Gesinnungsgenossen, darunter das Führungsmitglied Khalid Batarfi, befreit. Als Reaktion schrieb der Schattenblick unter Verweis auf eine Reihe ähnlich spektakulärer Gefängnisausbrüche, die dem großen Vormarsch der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) im Irak 2014 vorausgegangen waren, der Vorfall würde "für die Zukunft des Jemens nichts Gutes verheißen". Als in den folgenden Wochen und Monaten die von den Saudis angeführte Koalition die AQAP in Al Mukalla gewähren ließ und die Stadt als einzige des Jemens von der gegen die Huthis gerichteten Seeblockade ausnahm, konnte das neue Emirat der Salafisten samt Scharia-Gesetzgebung gedeihen.

Über das beunruhigende Ergebnis des inoffiziellen Stillhalteabkommens zwischen Riad und der AQAP im Jemen berichtete am 8. April die Nachrichtenagentur Reuters unter der Überschrift "How Saudi Arabia's war in Yemen has made al Qaeda stronger - and richer". In dem ausführlichen Artikel, der bei Kennern der Region wie zum Beispiel dem britischen Nahost-Korrespondent Patrick Cockburn für Aufsehen sorgte, hieß es unter anderem:

Stand sie einst wegen des Aufkommens des Islamischen Staats im Ausland und Repressalien im Innern am Rande der Bedeutungslosigkeit, so herrscht Al Kaida im Jemen inzwischen offen über einen Ministaat mit einer Kriegskasse, die mit schätzungsweise 100 Millionen Dollar aus geplünderten Bankeinlagen und Einkommen durch das Betreiben des drittgrößten Hafens des Landes gefüllt ist.

Wenn die Hauptstadt des Islamischen Staats das syrische Rakka ist, dann ist die von Al Kaida Mukalla, die südöstliche Hafenstadt des Jemens mit einer Bevölkerung von 500.000 Menschen. Al Kaida hat dort die Steuern für die Einwohner abgeschafft. Ihre mit Panzerfäusten bewaffneten Kämpfer treiben mit Schnellbooten bei den einlaufenden Schiffen Hafengebühren ein und drehen Propagandavideos, in denen sie mit dem Bau von Straßen und der Aufstockung von Krankenhäusern mit Gerätschaften und Medikamenten prahlen.

Das Wirtschaftsimperium wurde von mehr als einem Dutzend Diplomaten, jemenitischen Sicherheitsbeamten, Stammesanführern und Einwohnern von Mukalla beschrieben. Seine Entstehung ist die auffälligste, nicht-beabsichtigte Auswirkung der von Saudi-Arabien geführten Militärintervention im Jemen. Die Offensive, die von den USA unterstützt wird, hat Al Qaeda in the Arabian Peninsula (AQAP) zu ihrer größten Stärke, seit sie vor fast 20 Jahren entstanden ist, verholfen.

Am Ende des Reuters-Artikels vergleicht ein nicht namentlich genannter Diplomat die Situation im Südosten des Jemens mit derjenigen in Somalia. Ihm zufolge hätte man es aufgrund der Entwicklung in Al Mukalla und der umgebenden Provinz Hadramaut mit einer "widerstandsfähigeren" Al Kaida zu tun, die keine reine "terroristische Organisation" mehr, sondern die ähnlich der somalischen Al Shabaab "eine Bewegung" sei, "die ein Territorium mit vielen zufriedenen Menschen kontrolliert". Von dieser Lage dürften allenfalls diejenigen US-Rüstungkonzerne, die Raketen für das Pentagon und die CIA produzieren, profitieren.

16. April 2016


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