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NAHOST/1374: Islamischer Staat (IS) legt libysche Ölfelder lahm (SB)


Islamischer Staat (IS) legt libysche Ölfelder lahm

Bürgerkriegsparteien nehmen an Friedensgesprächen in Marokko teil


Im bürgerkriegserschütterten Libyen spitzt die Lage immer weiter zu. Vor der Küste patrouillieren Marineschiffe der ehemaligen Kolonialmacht Italien, um Bootsflüchtlinge abzufangen und eventuelle Übergriffe von Anhängern des Kalifats Islamischer Staat (IS), dessen Fahne inzwischen über den nordafrikanischen Küstenstädten Sirte und Derna weht, zu verhindern. Nach der Enthauptung von 21 ägyptischen Kopten am 15. Februar hat Italien als letztes Land seine Botschaft in Tripolis geschlossen und das Personal abgezogen. Darüber hinaus hat der italienische Ölkonzern ENI, das aktivste ausländische Energieunternehmen in Libyen, alle seine Mitarbeiter nach Hause beordert.

Einem Anfang März veröffentlichten Expertenbericht der Vereinten Nationen zufolge hat der libysche Staat die Kontrolle über die meisten Ölfelder des Landes verloren. Dieser Umstand ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß Libyen derzeit über zwei Regierungen verfügt: die eine um das im Juni 2014 gewählte Parlament, die international anerkannt ist und sich aus Sicherheitsgründen nach Tobruk verlegt hat, und die andere um jene Interimsnationalversammlung, die nach dem Sturz Muammar Gaddhafis 2011 gegründet worden war, von islamistischen Milizen dominiert wird, in Tripolis sitzt und sich inzwischen Fajr Libya ("Libysche Morgendämmerung") nennt. Seit vergangenem Sommer liefern sich beide Seiten einen heftigen Bürgerkrieg, dessen Wirrungen nun der IS nutzt, um sich an der Mittelmeerküste Nordafrikas zu etablieren. Schätzungen zufolge kämpfen in Libyen rund 5000 ausländische Dschihadisten mit.

Nach Angaben der UN-Experten hat der Waffenschmuggel über Libyen militanten islamistischen Gruppen in der Nachbarregion, "insbesondere in Algerien, Ägypten, Mali und Tunesien", enormen Auftrieb verliehen. Darum plädiert die Expertengruppe für eine Aufrechterhaltung des UN-Waffenembargos, obwohl sich die Regierung in Tobruk dadurch benachteiligt sieht. Die UN-Experten raten des weiteren zu verstärkten Maßnahmen der "internationalen Gemeinschaft", um den Ölschmuggel aus Libyen zu unterbinden. In den letzten Monaten haben sich die Regierung in Tobruk und Fajr Libya Gefechte um wichtige Ölfelder, -raffinerien und -verladehäfen geliefert. Der IS dagegen scheint weniger die Kontrolle über solche strategisch wichtigen Anlagen erlangen, als vielmehr sie zerstören zu wollen, um so die schlechte wirtschaftliche Lage in Libyen zu verschärfen.

Im Februar haben IS-Milizionäre ein vom französischen Konzern Total betriebenes Ölfeld südlich von Sirte überfallen und 12 Mitarbeiter der Anlage getötet. Die Opfer, darunter zwei Philippinos und zwei Ghanaer, wurden entweder erschossen oder geköpft. Inzwischen ist die Ölproduktion in Libyen von 1,6 Millionen Barrel täglich zu Lebzeiten Gaddhafis auf weniger als 400.000 gesunken. Was das für die Staatseinnahmen bedeutet - ob von Tripolis oder Tobruk verteilt - dürfte jedem klar sein. Am 2. März haben IS-Freiwillige die beiden Ölfelder Bahi and Mabruk in Zentrallibyen mit Raketen und Granaten beschossen und die Pipeline zum Ölverladehafen Es Sidra schwer beschädigt. Am 6. März haben IS-Kämpfer das Ölfeld Al Ghani überrannt, elf Mitglieder des Sicherheitspersonals getötet und Teile der Anlage in die Luft gesprengt. Mit Hilfe von Truppen, die der Regierung in Tobruk gegenüber loyal sind, konnten nach einem stundenlangen Feuergefecht die Angreifer zum Rückzug gezwungen werden.

Angesichts der zunehmenden Überfälle hat am 4. März der staatliche libysche Ölkonzern erklärt, daß elf Ölfelder, die normalerweise mit 30 Prozent zur Gesamtproduktion des Landes beitragen, außer Betrieb seien. Vor dem Hintergrund dieser Ausfälle hat der Konzern auf "höhere Gewalt" verwiesen und seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ausländischen Gesellschaftern aufgekündigt. Am darauffolgenden Tag kamen unter Vermittlung des UN-Sondergesandten Bernardino Leon in Skhirat, nahe der marokkanischen Hauptstadt Rabat, Vertreter von Fajr Libya und der Regierung in Tobruk zu Friedensgesprächen zusammen. Angeblich wurde über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit diskutiert und über geeignete Personen für die verschiedenen Ministerposten gesprochen. Inwieweit beide Seiten tatsächlich einer Beilegung des Konflikts näher gekommen sind, ist unklar. Fest steht: Je länger der Bürgerkrieg in Libyen andauert, um so mehr werden die ursprünglichen Hauptakteure gegenüber dem IS an Boden verlieren.

7. März 2015


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