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NAHOST/1328: Legen die USA und der Iran den Atomstreit bei? (SB)


Legen die USA und der Iran den Atomstreit bei?

John Kerry und Mohammed Sarif senden von Wien positive Signale aus



Am 20. Juli läuft die Frist aus, innerhalb derer eine Lösung des jahrelangen Streits um das iranische Atomprogramm gefunden werden sollte. Dazu hatten der Iran und die P5+1-Gruppe, die fünf ständigen Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA - plus Deutschland im vergangenen November in Genf den sogenannten Joint Plan of Action (JPA) vereinbart. Trotz aller Schwierigkeiten und zwischenzeitlichen Negativmeldungen sieht es so aus, als könnte bis zum 20. Juli, wenn auch nicht in allen strittigen Fragen, ein wichtiger Durchbruch erzielt werden. Anders sind die positiven Signale, die US-Außenminister John Kerry und sein iranischer Amtskollege Mohammed Dschawad Sarif in den letzten Tagen von Wien aussandten, nicht zu deuten.

Damals in Genf hatten sich die Iraner bereit erklärt, die Zahl ihrer in Betrieb befindlichen Zentrifugen auf 10.000 zu beschränken und weitere rund 10.000 aus der Urananreicherung auszuklinken, ihre Bestände von auf 20 Prozent angereichertem Uran 235 für die militärische Nutzung unbrauchbar zu machen und weitere Schritte, welche die Befürchtungen des Westens hinsichtlich der eventuellen Produktion von Nuklearwaffen zerstreuen sollten, zu unternehmen. Im Gegenzug wurden die Finanzsanktionen, welche der iranischen Wirtschaft schwer schaden, gelockert, und weitere Handelserleichterungen für den Fall einer generellen Einigung in Aussicht gestellt. Nichtsdestotrotz hieß es Anfang Mai, die Verhandlungen steckten in einer Sackgasse; die Iraner beharrten darauf, künftig bis zu 100.000 Zentrifugen, die auf fünf Prozent angereichertes Uran für die Verwendung in der zivilen Kernenergie produzieren sollten, in Betrieb zu nehmen, während ihnen die Amerikaner lediglich mehrere Tausend solcher Geräte zugestehen wollten.

Als dann am 8. Juli Ajatollah Ali Khamenei, das geistige Oberhaupt der Islamischen Republik, in einer Rede den Bedarf des Irans an Uranzentrifugen mit 190.000 bezifferte, schien der erhoffte Ausweg aus der Dauerkonfrontation zwischen Washington und Teheran in weite Ferne gerückt zu sein. Das für den 13. und 14. Juli geplante Treffen zwischen Außenminister Sarif in Wien und den Gesandten der P5+1-Gruppe stand plötzlich unter keinem guten Stern, zumal lediglich die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland mit Kerry, William Hague, Laurent Fabius und Frank-Walter Steinmeier Chefdiplomaten in die Donau-Metropole schickten. Rußland und China, deren Außenminister Sergej Lawrow und Wang Yi sich auf dem BRICS-Gipfel im brasilianischen Fortaleza aufhielten, wurden lediglich durch ihnen unterstellte Beamte vertreten.

Um so überraschender sind nun die auffallend positiven Meldungen aus der österreichischen Hauptstadt zu vernehmen. Zwar hat Kerry bei seiner Ankunft in Wien von "signifikanten Unterschieden" zwischen den Positionen Washingtons und Teherans gesprochen, dafür jedoch aufgrund der "produktiven Gespräche" seinen Aufenthalt an der Donau extra um einen Tag verlängert. Die Veranlassung hierzu dürfte der Vorstoß Sarifs gewesen sein, der am ersten Tag der Gespräche mit dem Angebot aufwartete, die iranischen Anreicherungskapazitäten für mindestens fünf Jahre nicht auszubauen. Obwohl die Gesprächsteilnehmer ursprünglich völliges Stillschweigen über den Inhalt der Verhandlungen vereinbarten, machte Sarif seinen "innovativen Vorschlag" am nächsten Tag in einem Interview mit der New York Times publik, vermutlich um die Regierung Barack Obama zu einem Entgegenkommen zu bewegen und sie gleichzeitig vor der zu erwartenden Kritik der israelischen Hardliner und der republikanischen Opposition im Washingtoner Kongreß in Schutz zu nehmen, die lieber auf Eskalation als auf Entspannung im Umgang mit dem "Mullah-Regime" setzen.

Man kann davon ausgehen, daß Sarifs Vorstoß sowohl in Absprache mit Präsident Hassan Rohani als auch mit Großajatollah Khamenei erfolgte. In seiner Rede hatte Khamenei einerseits insistiert, daß der Iran auf westlichen Druck hin nichts von seiner nukleartechnologischen Infrastruktur einmotten würde, andererseits die von ihm reklamierte Notwendigkeit einer deutlichen Aufstockung der Anzahl von Zentrifugen in einer nicht allzu nahen Zukunft verortet. Schließlich läuft der Vertrag mit Moskau über die Lieferung des mit russischer Hilfe gebauten, bisher einzigen iranischen Atommeilers Buschehr mit Uranbrennstäben erst in sieben Jahren aus. Eine Verlängerung ist zudem nicht ausgeschlossen. Der Iran plant den Bau weiterer Kernkraftwerke und will sich als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags das Recht, diese mit eigenem Brennmaterial zu befeuern, prinzipiell nicht beschneiden lassen. Aufgrund der aktuellen technischen Voraussetzungen würde der Iran vorerst mit 10.000 Zentrifugen auskommen bzw. könnte sich Teheran in Absprache mit der P5+1-Gruppe damit begnügen. Darüber hinaus sollen sich die Iraner bereit erklärt haben, den im Bau befindlichen Schwerwasserreaktor Arak so umzurüsten, daß die dort anfallende Menge an Plutonium extrem gering ausfällt und damit keine Atomwaffengefahr darstellt, und die unterirdische Anreicherungsanlage Fordow, die militärisch als unverwundbar gilt, von einer Produktionsstätte in einen reinen Forschungsbetrieb zu verwandeln.

Im Gegenzug erwartet der Iran, daß die P5+1-Gruppe so schnell wie möglich die bisherigen Handelseinschränkungen aufhebt. Vor allem in den USA dürfte das ein großes Problem sein. Mit Präsidialbefugnissen kann Obama lediglich kosmetische Veränderungen wie nach dem Beschluß des JPA im vergangenen November vornehmen. Für eine nachhaltige Aufhebung der zahlreichen amerikanischen Sanktionen müßten Repräsentantenhaus und Senat entsprechende Gesetze erlassen. Leider bilden im Kapitol diejenigen die Mehrheit, die den Iranern die Schmach der 444tägigen Besetzung der US-Botschaft 1979-1981 nicht verziehen haben und deshalb immer noch auf "Regimewechsel" aus sind oder aus politischer Gefälligkeit der zionistischen Lobby gegenüber Skepsis walten lassen.

Dies dürfte der Grund sein, warum die P5+1-Gruppe bei den aktuellen Verhandlungen argumentiert haben soll, sie bräuchte 20 Jahre, um alle Wirtschaftssanktionen zu beseitigen. Hossein Mousavein, der frühere Atom-Unterhändler Teherans, warnte in einem am 14. Juli in der Financial Times erschienenen Gastbeitrag, daß ein solcher Zeitraum vollkommen "unrealistisch" sei. Auch Khamenei, Rohani und Sarif haben innenpolitisch chauvinistisch-militaristische Kräfte, die sie besänftigen müssen. Derzeit sieht es also so aus, als würden der Iran und die P5+1-Gruppe am 20. Juli substantielle Fortschritte und eine Verlängerung bei den Verhandlungen verkünden, um die noch ausstehenden Problembereiche angehen zu können. Das ist auf alle Fälle der Alternative - steigende Spannungen und Säbelrasseln am Persischen Golf - vorzuziehen.

16. Juli 2014