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NAHOST/1279: Syriens Rebellenarmee zerlegt sich selbst (SB)


Syriens Rebellenarmee zerlegt sich selbst

Islamische Front tritt gegen die Freie Syrische Armee an



In Syrien, wo der Krieg inzwischen mehr als 125.000 Menschen das Leben gekostet und mehr als zwei Millionen zu Flüchtlingen gemacht hat, befinden sich die Regierungstruppen von Präsident Baschar Al Assad auf dem Vormarsch. Nach wichtigen Geländegewinnen rund um Damaskus und in der nördlichen Handelsmetropole Aleppo, die bis vor kurzem als Rebellenhochburg galt, haben die staatlichen Streitkräfte nach tagelangen schweren Kämpfen am 8. Dezember die strategisch wichtige Kleinstadt Al Nabk zurückerobert. Al Nabk liegt auf halber Strecke zwischen Damaskus und Homs. Wer sie kontrolliert, kontrolliert auch die wichtigste Nord-Süd-Straßenverbindung Syriens. Durch den Einzug in Al Nabk haben Assads Streitkräfte den Weg für den geplanten Transport der rund 1300 Tonnen Chemiekampfstoffe aus den syrischen Waffenbeständen in die Mittelmeerhafenstadt Latakia freigemacht, von wo aus sie zur Vernichtung auf ein Spezialschiff der US-Kriegsmarine verladen werden sollen.

Für das Wiedererstarken der Regierungsseite im Syrienkonflikt gibt es zwar mehrere Gründe, doch vor allem die Entscheidung Barack Obamas, Anfang September keine Raketenangriffe auf Stellungen der syrischen Streitkräfte durchzuführen, hat den Rebellen und ihren Förderern - allen voran Saudi-Arabien -, die, wie es scheint, den Giftgasangriff am 21. August in Al Ghouta, einem Vorort von Damaskus, selbst inszeniert haben, um eine US-Militärintervention zu provozieren, den Wind aus den Segeln genommen. Vermutlich als Reaktion auf diesen Rückschlag haben sich am 22. November sieben sunnitische Milizen, die im Gegensatz zu den Al-Kaida-Ablegern Al-Nusra-Front und Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL) nicht auf den Terrorlisten der USA und der EU stehen, zu der etwa 45.000 Mann starken Islamischen Front (IF) zusammengeschlossen.

Wie Franklin Lamb in einem am 7. Dezember auf der Website Counterpunch veröffentlichten Artikel berichtete, wollen Saudi-Arabien und die arabischen Golfstaaten die IF mit sechs Milliarden Dollar zum Sieg im Syrienkrieg verhelfen. Laut Lamb, der derzeit eine Gastprofessur für Jura an der Universität von Damaskus innehat und unter anderem regelmäßig für Counterpunch über das Geschehen in Syrien berichtet, wirbt derzeit Saudi-Arabiens langjähriger Botschafter in Washington, Geheimdienstchef Prinz Bandar bin Sultan, bei seinen zahlreichen Kontakten in der US-Hauptstadt - im Kongreß sowie bei den verschiedenen Denkfabriken - um Unterstützung für das gewagte Vorhaben. Angeblich stößt Bandars Plan bei der israelischen Regierung auf Wohlwollen.

Doch selbst wenn die saudische Initiative in Washington Gefallen in neokonservativen, interventionistischen und pro-israelischen Kreisen finden sollte, muß das für die Obama-Regierung nicht zwingend etwas bedeuten. Wie man aus der Presse seit Monaten entnehmen kann, machen sich die Verantwortlichen in Washington genauso wie die in London, Paris und Berlin bereits ziemliche Sorgen um das große Gewaltpotential, das von den Zehntausenden ausländischen Gotteskriegern, die derzeit in Syrien ihr Unwesen treiben, ausgeht.

Die jüngste Annäherung zwischen dem Westen und dem schiitischen Iran einschließlich der Zwischenlösung im sogenannten Atomstreit ist nicht zuletzt auf den Wunsch zurückzuführen, mit Hilfe des Irans die Staaten Irak, Syrien und Libanon vor der endgültigen Auflösung infolge sektiererischer Gewalt doch noch zu retten. Nicht umsonst führen die USA unter britischer Vermittlung indirekte Geheimgespräche mit der "terroristischen" Hisb Allah, obwohl oder vielleicht gerade weil die Kämpfer der schiitisch-libanesischen Miliz in den letzten Monaten geholfen haben, das Kriegsgeschehen zu Gunsten der Assad-Getreuen zu wenden. Jedenfalls dürfte die Islamische Front mit ihrer Ankündigung, sie strebe die Errichtung eines islamischen Gottesstaats in Syrien an, in den Hauptstädten Nordamerikas und Westeuropas kaum positive Resonanz ausgelöst haben.

In Syrien selbst treibt das rücksichtslose Benehmen der salafistischen Dschihadisten den einfachen Menschen gegenüber immer mehr säkulare Rebellen dazu, die Freie Syrische Armee zu verlassen und das Amnestieangebot der Regierung in Damaskus anzunehmen. In einem Artikel, den die im irakischen Erbil erscheinende Zeitung Rudaw am 5. Dezember veröffentlichte, wurde ein desillusionierter Ex-FSA-Kämpfer namens Zigga, der sich vor kurzem mit sieben Kameraden in die Türkei abgesetzt hatte, mit folgender Aussage über die Gotteskrieger zitiert: "Unsere Revolution ist am Ende. Jetzt sind nur die Diebe geblieben. Wenn sie ein Auto haben wollen, rufen sie 'Allahu Akbar' und nehmen es. Wenn sie eine Frau haben wollen, rufen sie 'Allahu Akbar' und nehmen sie. Das ist nicht islamisch und auch nicht das, wofür wir gekämpft haben."

Am 3. Dezember hat die Islamische Front der FSA das Kommando aberkannt und sich selbständig gemacht. Drei Tage später haben IF-Kämpfer mehrere wichtige Stützpunkte der FSA an der syrisch-türkischen Grenze überrannt und die dortigen Waffenlager beschlagnahmt. Bei den Kämpfen kamen mehrere Beteiligte ums Leben. In einem am 7. Dezember auf der BBC-Website erschienenen Meldung hieß es, die Islamische Front hätte bereits angefangen, "systematisch" gegen die Konkurrenten von der FSA vorzugehen. In der BBC-Meldung beschrieb ein ehemaliger FSA-Kommandeur, der als einer der wenigen seiner Einheit die Festnahme durch die Gotteskrieger überlebt hatte, seine Erlebnisse wie folgt: "Sie sagten uns, wir wären keine echten Moslems. Ich habe gesehen, wie sie meine Freunde mit Eisenstangen traktierten, ihre Gesichter mit Munitionskisten einschlugen und sie anschließend töteten. Der Boden war mit Blut bedeckt. Wir haben eine Revolution für Freiheit und Gleichheit gemacht, doch die Dschihadisten wollen das nicht. Sie sind gekommen, um Syrien zu zerstören." Jener Zerstörungsprozeß, der bereits weit vorangeschritten ist, wird nicht einfach zu stoppen sein.

9. Dezember 2013