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NAHOST/1201: Die USA zwingen Syriens Opposition zur Neugründung (SB)


Die USA zwingen Syriens Opposition zur Neugründung

Die NATO bereitet erste Maßnahmen direkter Militärintervention vor



Nach einer Woche erbitterten Postengeschachers in Doha, Hauptstadt des Emirats Katar, hat sich die syrische Opposition am 11. November auf die personelle Zusammensetzung eines neuen Dachverbands geeinigt. An der Stelle des von der Moslembruderschaft dominierten Syrischen Nationalrates (Syrian National Council - SNC) tritt nun die Syrische Nationalkoalition der Opposition und Revolutionskräfte. Erforderlich wurde die Reorganisation nach der plötzlichen Aberkennung des SNC durch dessen bis dahin wichtigste Förderin, US-Außenministerin Hillary Clinton. Bei einem Besuch in der kroatischen Hauptstadt Zagreb hatte sich Barack Obamas Chefdiplomatin am 31. Oktober gänzlich unzufrieden mit den bisherigen Leistungen des SNC gezeigt und eine neue Vereinigung der syrischen Oppositionskräfte gefordert, in der weniger Exilpolitiker und dafür mehr die in Syrien gegen die Truppen Baschar Al Assads kämpfenden Gruppen das Sagen haben sollten. Kaum hatte die ehemalige First Lady, die derzeit in den USA als potentielle Nachfolgerin Obamas gehandelt wird, ihr Machtwort gesprochen, da trafen Syriens Oppositionelle, die finanziell und waffentechnisch vom Wohlwollen des Westens abhängen, in Doha zum großen Powwow zusammen.

In der Syrischen Nationalkoalition erhielt der SNC, der in Doha George Sabra, einen kommunistischen Christen, der wegen Dissidententums von 1987 bis 1995 in einem syrischen Gefängnis saß, zum neuen Vorsitzenden wählte, 22 der 60 zu vergebenden Sitze und blieb damit stärkste Einzelfraktion. Die restlichen Sitze gingen an die Freie Syrische Armee (FSA) und diverse andere militärische und politische Gruppierungen. Zum Chef und Aushängeschild der neuen Dachorganisation wurde Moaz Al Khatib, der in religiösen Fragen als gemäßigt geltende, sunnitische Imam der Umayyad-Moschee in Damaskus, der Syrien im Juli aufgrund von Repressalien verließ, gekürt. Stellvertreterposten gingen an den Geschäftsmann und ehemaligen Parlamentsabgeordneten Riad Seif und an die säkulare Politikaktivistin Suhair Al Atassi. Einen ersten Erfolg erzielte das neue Gremium, als der Golfkooperationsrat, bestehend aus Saudi-Arabien, Katar, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Oman und Kuwait die Vereinigung am Vormittag des 12. November zum einzigen Sprachrohr des syrischen Volkes erklärte. Wenige Stunden später ernannte die Arabische Liga die neue Koalition, wegen Bedenken des Iraks und Algeriens, zumindest zu ihrem Hauptansprechspartner.

Die Besetzung der wichtigsten Posten des SNC und der Syrischen Nationalkoalition mit säkularen und religiös-gemäßigten Persönlichkeiten steht im gewissen Widerspruch zu den Kräfteverhältnissen innerhalb der militanten Opposition in Syrien selbst. Dort sind es offenbar fanatische Salafisten, die den Kampf gegen die staatlichen Streitkräfte anführen. Jene al-kaida-nahen Milizen scheinen über die meisten und schwersten Waffen sowie über einen niemals versiegenden Zustrom an ausländischen Freiwilligen zu verfügen. Pressemeldungen zufolge bekommen die radikalen Gruppen Waffen und Munition hauptsächlich aus Saudi-Arabien und Katar, doch man kann davon ausgehen, daß ihnen auch die NATO unter die Arme greift. Viele Operationen der Aufständischen tragen die deutliche Handschrift westlicher Spezialstreitkräfte.

Die Umbesetzung der syrischen Oppositionsspitze scheint zudem mit einer von der NATO geplanten, bevorstehenden Eskalation des Krieges in Syrien zusammenzuhängen. Nach 18 Monaten vergeblichen Bemühens, das Assad-"Regime" zu stürzen, sieht es aus, als wollten Ankara, Berlin, London, Paris und Washington eine Entscheidung herbeiführen. Jetzt, wo in den USA der Präsidentenwahlkampf endlich vorbei ist, steht einer Militärintervention nichts mehr im Weg. Gerade ein Tag nach der offiziellen Verkündung der Wiederwahl Obamas als US-Präsident schlug der britische Premierminister David Cameron am 8. November vor, die NATO sollte die Aufständischen in Syrien offen mit Waffen beliefern (statt wie bisher verdeckt, versteht sich). Bekanntlich spielte Cameron letztes Jahr eine führende Rolle bei der Entscheidung der NATO, die libyschen Rebellen beim Aufstand gegen Muammar Gaddhafi zu unterstützen.

Der britische Generalstabschef Sir David Richards gab am 11. November im BBC-Fernsehen ein erstaunliches Interview, in dem er für einen Militäreinsatz der NATO im Nahen Osten eintrat, um "eine Ausweitung der Krise in Syrien" auf die Nachbarländer zu verhindern. Laut Richards finden derzeit auf höchster NATO-Ebene entsprechende Planungen statt. Dabei will man offenbar Hunderttausende syrische Flüchtlinge in der Türkei, im Libanon und in Jordanien als Vorwand für eine militärische Intervention nutzen. Man bereite sich auf eine "Katastrophe" vor; die geplante Operation sollte "begrenzt" sein, werde jedoch womöglich eine "enorme Anstrengung" darstellen, so Richard. Fast zeitgleich mit dem Auftritt des obersten britischen Militärs bei der BBC lieferten sich die Streitkräfte Israels und Syrien an der Grenze zu den Golanhöhen das erste Artillerieduell seit dem Sechstagekrieg 1967. Weitere Grenzzwischenfälle wie dieser, die ein Eingreifen der NATO als "Ordnungsmacht" über kurz oder lang erforderlich machen, sind vorprogrammiert.

13. November 2012