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NAHOST/1189: Assads Gegner feuern den "Terrorismus" in Syrien an (SB)


Assads Gegner feuern den "Terrorismus" in Syrien an

Heuchelei des Westens erreicht neuen, traurigen Höhepunkt



In den ersten Jahren nach den 9/11-Flugzeuganschlägen in den USA war für die westlichen Industriestaaten nichts, rein gar nichts so wichtig wie die "Bekämpfung" des "internationalen Terrorismus". Deshalb hat die NATO wenige Tage nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Verteidigungsfall ausgerufen. Gemeinsam marschierten die Streitkräfte der USA und ihrer NATO-Verbündeten im Oktober 2001 in Afghanistan ein, weil sich dort der Drahtzieher der 9/11-Operation, Osama Bin Laden, befinden sollte. Damals versprach der US-Außenminister General a. D. Colin Powell bei einem Auftritt vor den Vereinten Nationen in New York, der Weltöffentlichkeit Beweise für die Verwicklung Bin Ladens in die grauenhaften Ereignisse von New York und Arlington zu präsentieren. Das Versprechen wurde jedoch niemals erfüllt. Dafür gibt es einen guten Grund. Als dem deutschen Journalisten Gerhard Wisnewski einige Jahre später aufgefallen war, daß auf Bin Ladens FBI-Fahndungsplakat im Internet nichts über seine Verantwortung als "Drahtzieher" des 11. Septembers stand, und er deshalb bei der US-Bundespolizei nachhakte, wurde ihm der Umstand damit erklärt, daß man schlicht über keine handfesten Beweise für eine Verbindung des Chefs des Al-Kaida-"Netzwerkes" zum "Tag, der die Welt veränderte" verfügte.

Ähnlich substanzlos begründeten die Angloamerikaner George W. Bush und Tony Blair die völkerrechtlich illegale Irak-Invasion 2003. Ihre Sorge um Massenvernichtungswaffen in den "terroristischen" Händen war natürlich völlig an den Haaren herbeigezogen. Erstens besaß das "Regime" in Bagdad keine ABC-Waffen und zweitens, die "Terroristen" um den einbeinigen Jordanier Musab Al-Zarkawi, denen Saddam Hussein angeblich jene Kampfstoffe hätte überlassen können, hielten sich zum fraglichen Zeitpunkt im kurdischen Norden des Zweistromlandes auf, der seit Jahren nicht mehr der Kontrolle durch die irakische Zentralregierung unterlag, dafür aber von der amerikanischen und britischen Luftwaffe militärisch gesichert wurde. 2009 haben die letzten westlichen Kampftruppen den Irak verlassen. Bis 2014 soll der Truppenabzug in Afghanistan vollzogen sein. Unterdessen setzt die Regierung Barack Obama den "globalen Antiterrorkrieg" in Form von Drohnenangriffen der CIA im Jemen, in Pakistan und Somalia, die leider sehr vielen Zivilisten das Leben kosten, unvermindert fort.

Ohnehin hat der große "Kreuzzug" gegen den "Terror" sehr an Überzeugungskraft verloren, seit die NATO im vergangenen Jahr al-kaida-nahen Kräften offen dabei geholfen hat, die Regierung in Libyen um Muammar Gaddhafi zu stürzen und den selbsternannten "Revolutionsführer" umzubringen. Unter den politischen Erschütterungen dieser Intervention leidet heute noch ganz Nordafrika. In Libyen haben islamistische Milizen das Sagen, die sich mit schweren Waffen aus den Arsenalen der früheren Streitkräfte Gaddhafis eingedeckt haben und die ihren Dschihad in die Nachbarländer - Algerien, Tunesien und Mali - exportieren. Kaum war Gaddhafi gestürzt, ließ die NATO noch im November 2011 über die Türkei mehrere hundert Mitglieder der Libyan Islamic Fighters Group (LIFG) um den Anführer Abdel Hakim Belhadsch nach Syrien einsickern, um den einige Monate zuvor dort ausgebrochenen Aufstand gegen das "Regime" von Bashar Al Assad zum Erfolg zu verhelfen.

Ironischerweise hatten die Amerikaner und Briten nur wenige Jahre zuvor mutmaßliche "Terroristen" wie den erwähnten Belhadsch entführt und nach Tripolis und Damaskus geflogen, um sie von Gaddhafis und Assads Vernehmungsbeamten foltern zu lassen. Die Verlogenheit Londons und Washingtons in diesem Zusammenhang verschlägt einem regelrecht die Sprache. Jene Islamisten, die man einst zur Hauptbedrohung der westlichen Zivilisation erklärte, sind plötzlich keine "Terroristen" mehr, wenn sie Dutzende Menschen in den Straßen von Damaskus, Aleppo oder Homs durch Autobomben und Selbstmordanschläge umbringen. So schrieb Ed Husain, der vor einem Jahr im Namen des enorm einflußreichen New Yorker Council on Foreign Relations zusammen mit Jared Cohen von Google Ideas in Dublin den "Summit Against Violent Extremism" veranstaltete, in einem am 6. August auf der CFR-Website veröffentlichten Beitrag folgende bemerkenswerte Sätze (in der SB- Übersetzung):

Im großen und ganzen sind die Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) müde, gespalten, chaotisch und ineffektiv. Die Rebellen fühlen sich vom Westen in Stich gelassen und sind deshalb zunehmend demoralisiert. ... Al-Kaida-Kämpfer dagegen könnten für eine Belebung der Moral sorgen. Der Zustrom an Dschihadisten bringt Disziplin, religiösen Eifer, Kampferfahrung aus dem Irak, Finanzierung durch sunnitische Sympathisanten am Golf und, am wichtigsten, tödliche Ergebnisse. Kurzum, die FSA braucht Al Kaida jetzt.

Inzwischen scheinen sich die USA jedoch von dem zunehmenden Chaos in Syrien, an dem sie selbst kräftig mitgewirkt haben, distanzieren zu wollen. Das läßt sich jedenfalls aus einem Artikel, der am 15. Oktober in der New York Times unter der Überschrift "Rebel Arms Flow Is Said to Benefit Jihadists in Syria" erschienen ist, herauslesen. Darin berichtete Reporter David Sanger, Vertreter der Obama-Administration "versuchten zu verstehen", wie der größte Teil der Waffen, mit denen Katar und Saudi-Arabien die Aufständischen in Syrien ausrüstet, in die Hände derjenigen Milizen gelangen, die am stärksten religiös motiviert sind. Laut Sanger wachsen in Washington die Zweifel, "ob die Strategie des Weißen Hauses einer minimalen und indirekten Intervention in den Syrien-Konflikt sein beabsichtigtes Ziel, einer demokratisch-gesinnten Opposition beim Sturz einer unterdrückenden Regierung zu helfen, erfüllt oder statt dessen die Saat künftiger, den USA feindlich gesonnener Aufstände sät."

In dem NYT-Artikel werden auch die Kataris und die Saudis von einer Mitschuld am Blutbad in Syrien, das inzwischen rund 30.000 Menschen das Leben kostete, quasi freigesprochen. Demnach verließen sich Riads und Dohas Waffenhändler auf "Mittelsmänner, darunter Libanesen, die selbst Probleme haben, die Verbindungen der Gruppen, mit denen sie zu tun haben, nachzuvollziehen". Das klingt wie eine weitere, nicht besonders plausible Schutzbehauptung. Die sunnitische Fraktion im Libanon um Saad Hariri und dessen "Future Movement" pflegen seit Jahren engste Kontakte zu den gewaltbereiten Gesinnungsgenossen im Nachbarland. Darüber hinaus hat am 15. Oktober Aron Lund in der Zeitschrift Foreign Policy unter der Überschrift "Holy Warriors - A Field Guide to Syria's Jihadi Groups" dezidiert die Herkunft, Stärke, religiös-ideologische Ausrichtung, Verbindungen und geographische Hauptbetätigungsfelder der verschiedenen islamistischen Milizen in Syrien erläutert. Und da soll man ernsthaft glauben, die zuständigen CIA-Experten im sogenannten "Nervenzentrum" in der türkischen Stadt Adana unweit des NATO-Luftwaffenstützpunktes Incirlik, die für die Verteilung der Waffen an die syrischen Rebellen zuständig sind, wüßten nicht, mit wem sie es zu tun haben?

16. Oktober 2012