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NAHOST/1137: Beispiel Libyen verheißt Syrien nichts Gutes (SB)




Beispiel Libyen verheißt Syrien nichts Gutes

Gaddhafi-Bezwinger nehmen Bashar Al Assad ins Visier

Am 1. April findet in Istanbul eine große Konferenz derjenigen, die sich hochoffiziös "Die Freunde Syriens" nennen, statt. Unter der Leitung von US-Außenministerin und Ex-First-Lady Hillary Clinton werden führende NATO-Diplomaten mit syrischen Oppositionellen über das weitere Vorgehen gegen das "Regime" Bashar Al Assads beraten. Bei diesem Anlaß werden die westlichen Vertreter eventuell den von ausländischen Dissidenten ins Leben gerufenen Syrischen Nationalrat zum einzigen legitimen Vertreter Syriens erklären. Ähnliches hat man letztes Jahr im Falle Libyens getan. Aufgrund angeblicher "Massaker" an der Zivilbevölkerung in dem nordafrikanischen Land haben die NATO-Staaten damals, angeführt von Frankreich, Großbritannien und den USA, der Regierung von Muammar Gaddhafi die Legitimität aberkannt und dafür den Nationalen Übergangsrat - ein Sammelsurium von Monarchisten, Al-Kaida-Mitläufern und wendigen Ex-Regierungsmitgliedern - zum einzigen Vertreter libyscher Nationalinteressen erhoben. Sollte ähnliches im Falle Syriens beim großen Anti-Assad-Powwow am Bosporus herauskommen, dann wäre das ein grausamer und keineswegs komischer Aprilscherz.

Ein halbes Jahr nach dem mit ausländischer Militärhilfe herbeigebombten "Regimewechsel" in Tripolis - einschließlich der öffentlichen, per Mobiltelefon übertragenen Folterung und Ermordung eines unbewaffneten und wehrlosen Muammar Gaddhafi - sieht die Lage in Libyen düster aus. Die diversen Milizen, deren Mitglieder letztes Jahr der Luftwaffe und den Spezialstreitkräften der NATO als Infanteristen und Kugelfänger zu Diensten standen, weigern sich, ihre Waffen an die neue Regierung abzugeben. In der Hauptstadt kommt es immer wieder zu Kämpfen zwischen Milizionären, während die Menschen in der östlichen - und ölreichen - Provinz um die gleichnamige Hafenstadt Benghazi mit der Abspaltung vom restlichen Land drohen. In den westlichen Städten Zintan und Misrata erkennen die dortigen Milizen den Anspruch der Zentralregierung auf das Gewaltmonopol nicht an. Laut Menschenrechtsgruppen werden in Libyen regelmäßig Menschen gefoltert und ermordet, wenn man sie als Anhänger einer gegnerischen Miliz oder der alten Gaddhafi-Ordnung ausmacht.

Über den Verbleib der Bestände der früheren Waffendepots der Gaddhafi-Streitkräfte herrscht völlige Unklarheit. Offenbar haben sich nicht nur Mitglieder von Al Kaida im Maghreb (AKIM), sondern auch jene Tuareg-Stämme, die im Bürgerkrieg auf Seiten der Gaddhafi-Truppen kämpften, mit schweren Waffen eingedeckt. Seit Mitte Januar führen nomadisierende Tuareg, die sich zur Azawad National Liberation Movement (MNLA) zusammengeschlossen haben, eine Offensive mit dem Ziel der Schaffung eines eigenen Staates in der südwestlichen Sahara durch. Im Norden Malis haben sie mehrere Städte erobert und der 7000 Mann starken Armee des Landes dermaßen zugesetzt, daß deren Offiziere am 21. März Präsident Amadou Toumani Touré wegen Unfähigkeit in der Krise abgesetzt haben. Vor den Kämpfen sind mehr als 150.000 Menschen auf der Flucht. Beobachter befürchten, daß die Unabhängigkeitsoffensive der Tuareg sich auch auf den Norden von Niger und Tschad ausbreiten und zu einem regelrechten Regionalkrieg führen könnte.

In den letzten Tagen ist es auch im Süden Libyens, in der Nähe der Grenze zum Tschad, zu heftigen Kämpfen zwischen den arabischen und schwarzafrikanischen Stämmen Abu Seif und Tabu gekommen. Presseberichten zufolge starben bei den mehrtägigen Auseinandersetzungen mehr als 70 Menschen. Die Tabu, die die arabischen Stämme bezichtigen, sie unter anderen mit Kampfflugzeugen angegriffen zu haben, drohen mit der Gründung eines eigenen Staates. In einer Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press vom 28. März sprach Eissa Abdul Maged, ein Anführer der Tabu, vom "Völkermord" an seinem Volk. Laut AP war bereits am Tag zuvor der in Paris lebende Jomode Elie Getty, der zum Tabu-Stamm gehört, aus dem Nationalen Übergangsrat in Tripolis aus Protest gegen deren Haltung in der Angelegenheit ausgetreten. Getty beschuldigte den Nationalen Übergangsrat, die Abu Seif bei ihrem Vorgehen gegen die Tabu zu unterstützen.

Das Chaos im eigenen Land hat den libyschen Außenminister Ashour Ben Khayil nicht daran gehindert, schwerste Vorwürfe gegen die Regierung Syriens zu erheben. Auf einer Pressekonferenz am 28. März in Bagdad - und damit am Vorabend des Gipfeltreffens der Arabischen Liga - behauptete Ben Khayil, in Syrien fände "ein Völkermord ... gegen ein Volk, dessen einziges Verbrechen darin besteht, daß es Freiheit und Würde fordert", statt. Die Schuldzuweisungen des libyschen Wendehalses sollen in ihrer Überzogenheit vielleicht von der Mitverantwortung Libyens für das Blutvergießen in Syrien ablenken. Schließlich war Libyen unter dem neuen "Regime" in Tripolis Ende letzten Jahres der erste ausländische Staat, der die diplomatischen Beziehungen zu Damaskus abgebrochen hat. Etwa zur gleichen Zeit sandten die Gaddhafi- Nachfolger mehrere Hundert libyscher Salafisten in die Türkei, die dann über die Grenze nach Syrien eindrangen und seitdem zusammen mit einheimischen und ausländischen Moslembrüdern ihr mörderisches Handwerk verrichten.

30. März 2012