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NAHOST/1097: Die Türkei mischt sich in die Unruhen in Syrien ein (SB)


Die Türkei mischt sich in die Unruhen in Syrien ein

Außenminister Davutoglu zum Krisengespräch mit Assad in Damaskus


Seit fünf Monaten tobt in Syrien ein blutiger Machtkampf zwischen der Regierung von Präsident Baschar Al Assad und oppositionellen Kräften. Hinter dem Ringen um die Macht in Damaskus stecken nicht nur der Wunsch vieler Syrer nach politischen Reformen und einem Ende der Vetternwirtschaft des Assad-Clans, sondern auch die Bemühungen ausländischer Kräfte - allen voran der USA - Syrien aus seiner Militärallianz mit dem schiitisch-dominierten Iran und der schiitischen Hisb-Allah-Miliz im Libanon herauszulösen. Auf diesem Weg sollen die Mullahs in Teheran isoliert und der langgehegte Traum Washingtons von einem "Regimewechsel" im Iran verwirklicht werden.

Wie die Familie Assad gehört ein Gutteil der Führung in Damaskus der islamischen Sekte der Aleviten an, die in Syrien die Minderheit gegenüber den Sunniten stellen. Für die religiösen Fundamentalisten unter den Sunniten sind die Aleviten, die zu den Schiiten gezählt werden, keine richtigen Moslems, sondern in erster Linie Ketzer oder Ungläubige. Das gespannte Verhältnis zwischen Aleviten und Sunniten in Syrien erklärt, warum die alleinregierende Baath-Partei in Damaskus die Zügel bisher fest in den eigenen Händen hielt, sich lange Zeit gegen die Forderungen nach Demokratie und Mehrparteiensystem sträubte und hinter der politischen Opposition die Moslembruderschaft vermutet. Wie man weiß, haben sich aus den Reihen der Moslembruderschaft zahlreiche Männer rekrutieren lassen, die in den achtziger Jahren als heilige Krieger am Kampf der Mudschaheddin gegen die Sowjetarmee in Afghanistan teilgenommen und sich seitdem als "islamistische Terroristen" im Auftrag Osama Bin Ladens, Aiman Al Zawahiris und Omar Abdel Rahmans überall auf der Welt einen Namen gemacht haben. Man kann davon ausgehen, daß derlei "Gotteskrieger" die Straßenproteste gegen die Regierung in Damaskus nutzen, um mit Schüssen und ähnlichem die Sicherheitskräfte zu Überreaktionen zu provozieren.

Vor diesem Hintergrund darf man Zweifel haben, ob die jüngste Schreckensmeldung der westlichen Medien, die Zahl der Todesopfer in Syrien hätte inzwischen die Grenze von 2000 überschritten, zutrifft. Das gleiche gilt für die Annahme, alle Getöteten seien durch staatliche Gewalt ums Leben gekommen. Derzeit gibt es keine freie Berichterstattung aus Syrien. Die Hauptquellen für Nachrichten von dort sind die staatliche Nachrichtenagentur und die regierungstreuen Medien auf der einen Seite sowie auf der anderen die Aktivisten oppositioneller Gruppierungen, die PR-Büros im Ausland haben und von dort auch finanziell und logistisch unterstützt werden. Fest steht, daß die syrischen Sicherheitskräfte das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen versuchen und dabei nicht gerade zimperlich vorgehen. Gleichwohl stellt Damaskus politische Reformen in Aussicht. Am 6. August hat Außenminister Walid Moallem bis Ende des Jahres die Durchführung von Parlamentswahlen, an denen andere Parteien neben der bisher regierenden Baath teilnehmen dürfen sollen, angekündigt. Wie dieses ehrgeizige Ziel angesichts der derzeit herrschenden Spannungen verwirklicht werden soll, ist unklar.

Die USA und ihre Verbündeten erhöhen kontinuierlich den diplomatischen Druck auf Damaskus. Vor kurzem hat Hillary Clinton, deren Außenministerium im Rahmen von Washingtons Middle East Initiative für die Zusammenarbeit mit oppositionellen Gruppen in Syrien zuständig ist, erklärt, die Regierung um Präsident Assad hätte jede "Legitimität" verspielt. In den vergangenen Tagen haben Bahrain und Saudi-Arabien aus Protest gegen das angeblich unverhältnismäßige Vorgehen der Sicherheitskräfte in Syrien ihre Botschafter aus Damaskus abgezogen. Der saudische König Abdullah hat bei einem Fernsehinterview am 7. August das Blutvergießen in Syrien sogar als "inakzeptabel" bezeichnet. Die Einwände Riads muten im höchsten Maße heuchlerisch an, sind doch im März saudische Truppen in Bahrain einmarschiert und haben mitgeholfen, die Demokratiebewegung dort brutal niederzuschlagen. Gleichzeitig mischt sich Saudi-Arabien seit Monaten in den innenpolitischen Machtkampf im benachbarten Jemen ein und versucht - auch mit drastischen militärischen Mitteln - die bürgerkriegsähnlichen Zustände dort zu seinen Gunsten zu lenken. Die Kritik Abdullahs an der syrischen Regierung muß als moralische Unterstützung für die Moslembruderschaft gesehen werden, gelten doch die Saudis als Wächter der heiligen Stätten Mekka und Medina sowie oberste weltliche Vertreter des Sunnitentums.

Mit Spannung richtet man seine Aufmerksamkeit auf das heutige Treffen in Damaskus zwischen Präsident Assad und dem türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu. Die beiden Nachbarländer Türkei und Syrien pflegen seit Jahren freundschaftliche Beziehungen. Unter anderem wegen der distanzierten Haltung zu Israel hat sich Ankara bislang nicht in eine offen feindliche Position gegenüber dem "schiitischen Halbmond" Iran-Syrien-Hisb Allah drängen lassen. Statt dessen haben sich die Türken 2010 um eine diplomatische Lösung des "Atomstreits" zwischen den USA und den Iran bemüht. Hinzu kommt, daß die Türkei, Syrien und der Iran eine ähnliche Haltung in der Kurdenfrage haben und den Unabhängigkeitsbestrebungen dieser Volksgruppe feindlich gegenüberstehen. Gleichwohl kann die Türkei nicht tatenlos zusehen, wenn Syrien in Chaos versinkt.

Deswegen hat der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan im Vorfeld des Besuchs Davutoglus in Damaskus das Vorgehen der Sicherheitskräfte in Syrien scharf verurteilt und erklärt, die Geduld Ankaras mit der Regierung Assad gehe allmählich zu Ende. Doch nicht nur das. Im selben Zusammenhang hat Erdogan die Lage in Syrien zu einer "inneren Angelegenheit" der Türkei erklärt. Beobachter sehen in dieser Äußerung nicht nur den Anspruch der Türkei als Regionalmacht, sondern auch die versteckte Drohung, daß das NATO-Land militärisch in die Geschehnisse in Syrien eingreifen könnte - zunächst durch die Einrichtung einer Schutzzone für Flüchtlinge an der gemeinsamen Grenze.

Die schärferen Töne aus Ankara wecken in rechtskonservativen Kreisen im Iran den Verdacht, daß die Türken in die Destabilisierung Syriens involviert sind. In einem Artikel, der am 2. August in der Sobh'eh Sadegh, der Wochenzeitschrift der iranischen Revolutionsgarden, erschienen ist, hat der Autor R. Grumabdri die Türkei bezichtigt, ein doppeltes Spiel mit Syrien zu treiben, nämlich nach außen hin für demokratischen Wandel zu appellieren, während sie zusammen mit den Amerikanern und anderen durch die Unterstützung umstürzlerischer Kräfte die zaghaften Bemühungen der Assad-Regierung um politische Reformen torpediert. Die zweigleisige Politik Ankaras zwinge den Iran allmählich, sich auf die Seite entweder der Türkei oder Syriens zu stellen. Wegen der ideologischen Überschneidungen würde sich die Regierung in Teheran im Ernstfall für Syrien entscheiden, so Grumabdri. Auch in Rußland, dessen Marine in der syrischen Hafenstadt Latakia ihren einzigen Militärstützpunkt im Mittelmeer unterhält, macht man sich über die zunehmende Destabilisierung Syriens durch die westlichen Mächte Sorgen. Nicht umsonst hat Rußlands Botschafter bei der NATO, Dmitri Rogozin, am 5. August unter Verweis auf die instabile Lage in Syrien vor einem "größeren Regionalkrieg" unter Teilnahme der USA und des Irans gewarnt.

9. August 2011