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NAHOST/1071: Stürzt das Baath-Regime Baschar Al Assads in Syrien? (SB)


Stürzt das Baath-Regime Baschar Al Assads in Syrien?

Washington und Riad setzen zum Regimewechsel in Damaskus an


Die anhaltenden Turbulenzen in der arabischen Welt lassen die Frage aufkommen, wer nach Tunesiens Zine Al Abidine Ben Ali in Januar und Ägyptens Hosni Mubarak im Februar der nächste autokratische Herrscher des Nahen Ostens sein wird, der seinen Königs- bzw. Präsidentenpalast räumt. Als derzeit aussichtsreichter Kandidat für eine frühzeitige Pensionierung gilt der syrische Präsident Baschar Al Assad. Libyens Muammar Gaddhafi wird von einem von der NATO offen unterstützten Aufstand bedrängt, doch seine Regierung und ihre Streitkräfte halten sich bislang wacker. In Jordanien stellt die Protestbewegung gegen die Haschemitendynastie für König Abdullah bislang keine ernsthafte Herausforderung dar. In Bahrain halten die Interventionstruppen Saudi-Arabiens mit brutalen Methoden den sunnitischen Monarchen Hamad Al Khalifa an der Macht und die Demokratiebewegung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit in Schach. Gleichzeitig versucht Riad im Jemen eine Lösung zu finden, die dem langjährigen Präsidenten Ali Muhammed Saleh einen Abgang mit Würde - das heißt zeitlich gestreckt - ermöglicht und gleichzeitig den Wunsch der Menschen nach Veränderung befriedigt.

Für den 45jährigen Baschar Al Assad, der 2000 seinen Vater Hafiz nach dreißig Jahren als Staatsoberhaupt Syriens beerbte und der stets als Modernisierer galt, wird die Lage zunehmend vertrackter. Seit dem 15. März kommt es in verschiedenen syrischen Städten zu Protesten gegen die allmächtige Baath-Regierung, die sich in Gewalt zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften entladen und an Heftigkeit zunehmen, und das ungeachtet der Tatsache, daß Baschar am 16. April eine umfangreiche Regierungsumbildung vorgenommen und eine Aufhebung des seit 1963 in Kraft befindlichen Notstandsgesetzes für den 21. April angekündigt hat. Letzterer Schritt gehört zu den Hauptforderungen derjenigen, die zu Beginn der Proteste auf die Straße gingen.

Doch für Baschar stellen die Umtriebe irgendwelcher "zivilgesellschaftlicher" Gruppen in Syrien nicht das größte Problem dar, wenngleich diese offenbar von den USA im Rahmen der Middle East Partnership Initiative des State Department seit 2006 mindestens sechs Millionen Dollar zugesteckt bekommen haben sollen - siehe den am 17. April bei der Online-Ausgabe der Washington Post erschienenen, auf Enthüllungen von Wikileaks fußenden Bericht "U.S. secretly backed Syrian opposition groups, cables released by WikiLeaks show" von Craig Whitlock. Nein, die Hauptgefahr geht von mächtigen Exilpolitikern aus, die mit Hilfe der Saudis und der Amerikaner Assad stürzen wollen, um in Damaskus einen "Regimewechsel" durchzuführen, die Allianz Syriens mit dem Iran und der libanesischen Hisb Allah aufzukündigen, sich mit Israel zu arrangieren und selbst die Macht zu übernehmen.

Hauptdrahtzieher der Unruhen in Syrien sollen der ehemalige Vizepräsident Abdel Halim Khaddam und der ehemalige Generalstabschef Hikmat Shehabi sein. Berichten der israelischen, libanesischen und syrischen Presse zufolge stehen beide Exilpolitiker mit Gewährsleuten und der Moslembruderschaft in Syrien, die dort die Lage in den letzten Wochen erfolgreich destabilisiert haben, in Verbindung. Unter anderem über Said Hariri, den geschäftsführenden Premierminister des Libanon, halten sie Kontakt zu denjenigen Kräften, die bereits unter George W. Bush Baschar Al Assad von der politischen Landkarte verschwinden lassen wollten. Man erinnere sich, daß nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 die Neokonservativen der Bush-Regierung zum großen "Antiterrorkrieg" ansetzten und selbst nach dem Einmarsch der US-Streitkräfte in den Irak Syrien als Angriffsziel galt.

Für die Neokonservativen, die im Washington unter den Demokraten fast ebenso stark vertreten sind wie unter den Republikanern, und ihre Freunde in Israel muß Assad weg und Syrien neutralisiert werden, damit man endlich militärisch gegen die angeblich größte Bedrohung westlicher Interessen im Nahen Osten, die Islamische Republik Iran, vorgehen kann. Deswegen zum Beispiel hat man lange versucht, Assad die Ermordung des früheren libanesischen Premierministers Rafik Hariri im Jahr 2005 anzuhängen. Seit sich die Indizien, die in Richtung Damaskus deuteten, als wenig stichhaltig und eher aus der Luft gegriffen erwiesen haben, versuchen dieselben Kräfte das Bombenattentat der Hisb-Allah-Miliz in die Schuhe zu schieben. Wegen dieser Bezichtigung befinden sich in Beirut die Kräfte um Said Hariris Future Movement auf der einen Seite und um die Hisb Allah auf der anderen in einer Konfrontation, die jederzeit in einen blutigen Bürgerkrieg ausarten könnte.

Inzwischen steht Jamal Al Jarrah, ein Abgeordneter von Hariris Future Movement, im Verdacht, Mitglieder der Moslem-Bruderschaft in Syrien mit Waffen und Geld versorgt zu haben, damit sie durch Anschläge und politische Morde im eigenen Land die Atmosphäre anheizen. Verhaftete "Terroristen" haben in den letzten Tagen im syrischen Fernsehen Al Jarrah schwer belastet. Während der Politiker den Vorwurf von sich weist, hat die Hisb Allah polizeiliche Ermittlungen gefordert. Bereits am 14. April hat die libanesische Zeitung Al Akhbar anhand von Wikileaks-Informationen Hariri selbst in Erklärungsnot gebracht. Die Zeitung zitierte aus Dokumenten vom 24. August 2006, wenige Wochen nach dem sogenannten Libanonkrieg zwischen Israel und der Hisb-Allah-Miliz. In den Dokumenten aus der US-Botschaft in Beirut wird Hariri dahingehend zitiert, man sollte Assad stürzen und in Damaskus Khaddam, Shehabi und die Moslembruderschaft zur Macht verhelfen.

Rund ein halbes Jahr danach, im Februar 2007 nämlich, enthüllte Seymour Hersh in der Zeitschrift New Yorker Pläne des damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney und des ehemaligen saudischen Botschafters in Washington, Bandar bin Sultan, der seit einigen Jahren in Riad Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrats ist, den seit dem infolge des Libanonkriegs gewachsenen Einfluß Irans, Syriens und der Hisb Allah im Nahen Osten "zurückzudrängen", indem man die Sunniten gegen die Schiiten ausspielt. Am 31. März berichtete die israelische Tageszeitung Ha'aretz unter Verweis auf den arabischsprachigen iranischen Fernsehsender Al-Alam von interessanten Diskussionen aus dem Jahr 2008 zwischen Bandar und dem damaligen US-Botschafter im Libanon, Jeffrey Feltman. Bei nämlichen Gesprächen zwischen Bandar, einem Freund der Familie Bush, und Feltman, der heute unter Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton Staatssekretär im State Department und zuständig für Nahost-Angelegenheiten ist, ging es um die Rekrutierung von Studenten sowie jungen Arbeitslosen und Kleinkriminellen in Syrien für regierungsfeindliche Aktivitäten. Die Studenten sollten die friedlichen "demokratischen" Proteste gegen die Regierung in Damaskus anführen, während ihre ärmeren Altersgenossen für Unruhe sorgten, um die Gesetzeshüter zu Übergriffen zu verleiten.

Daß die derzeitige Gewalt in Syrien nicht ausschließlich von den staatlichen Stellen ausgeht, wie man anhand der Berichterstattung der westlichen Mainstream-Medien denken könnte, zeigt das Massaker, das sich am 10. April in der Küstenstadt Banyas zutrug. Bei einem Überfall auf eine Armeepatrouille wurden neun Soldaten getötet und 25 verletzt. Weil die Täter nicht aus den Reihen der "friedlichen" Regimegegner stammen könnten, hieß es im Londoner Guardian und bei der Nachrichtenagentur Agence France Presse, die Soldaten seien von ihren Vorgesetzten angegriffen worden, weil sie sich geweigert hätten, auf für "Demokratie" und "Freiheit" demonstrierende Zivilisten zu schießen. Dagegen berichtete am 16. April bei Counterpunch.org Peter Lee unter Verweis auf den Blogger Joshua Landis, Professor an der Universität von Oklahoma, der in Syrien zwischendurch gelebt hat und mit einem der getöteten Offiziere verschwägert war, die Soldaten seien von unbekannten Tätern und nicht aus den eigenen Reihen beschossen worden. Was die Frage der Urheberschaft für diesen blutigsten Einzelvorfall der letzten Wochen in Syrien betrifft, so wies Lee darauf hin, daß Banyas die Heimatstadt vom Ex-Vizepräsidenten Khaddam ist, und stellte die These auf, daß die Mörder vermutlich in Auftrag des schwerreichen Gewährsmann des saudischen Königshauses unterwegs waren.

19. April 2011