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NAHOST/1069: Lieberman und Landau lehnen Friedensbemühungen ab (SB)


Ruf nach Sturz der Hamas und gezielten Tötungen


Israels Außenminister Avigdor Lieberman hat in der Vergangenheit wiederholt erklärt, daß es in den kommenden zehn Jahren kein Friedensabkommen mit den Palästinensern geben werde. Wie er nun im israelischen Rundfunk unterstrich, müsse man den Sturz des "Hamas-Regimes" im Gazastreifen herbeiführen, um einem endlosen Zermürbungskrieg zuvorzukommen. Weitere Waffenstillstandsversuche würden es nur der radikalen islamischen Organisation erlauben, sich nach dem Vorbild der libanesischen Schiitenbewegung Hisbollah weiter zu stärken, so Lieberman. Es wäre ein "großer Fehler", eine Rückkehr zur Ruhe im Gazakonflikt zu suchen. [1] Es gehe nicht an, daß die Islamisten darüber entschieden, "wann Ruhe ist und wann die Region wieder angeheizt wird". [2]

Noch deutlicher wurde Liebermans Parteikollege und Infrastrukturminister Uzi Landau, der sich für die Wiederaufnahme der Politik der "gezielten Tötungen" aussprach. "Wir müssen auf die Köpfe zielen", betonte Landau, auf die palästinensischen "Eichmanns", fügte er hinzu. Seiner Auffassung nach soll Israel die vor gut zwei Jahren "mit der Operation ,Gegossenes Blei' in Angriff genommene Aufgabe zu Ende führen". Im Verlauf des damaligen Massakers starben im Gazastreifen mehr als 1.400 Palästinenser, etwa 5.000 weitere trugen Verletzungen davon. Um die Hamas einzuschüchtern, so setzte Landau hinzu, "müssen wir ihre Angst ausnützen".

Der neu ernannte Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Beth, Yoram Cohen, gilt als einer der Architekten der Strategie "gezielter Tötungen", denen führende radikale Palästinenser wie der Hamas-Gründer Scheich Ahmed Yassin und dessen Nachfolger Abdelaziz Rantisi zum Opfer gefallen sind. Diese Praxis ist von den Vereinten Nationen und der EU scharf verurteilt worden.

Wenngleich Lieberman betonte, daß er keine Koalitionskrise provozieren wolle, widersprach er mit seiner jüngsten Stellungnahme doch Verteidigungsminister Ehud Barak, der sich nach tagelangem gegenseitigen Beschuß unter gewissen Bedingungen zu einem Waffenstillstand mit der Hamas bereiterklärt hat. Israel werde nicht mehr angreifen, sofern die Hamas die Waffen niederlege. Im Wortlaut ähnlich äußerte sich der stellvertretende Außenminister der Hamas im Gazastreifen, Ghazi Hamad. Über verschiedene Kanäle, darunter Ägypten und die UN sowie offenbar auch Norwegen und die Schweiz einigten sich die Konfliktparteien auf eine vorläufige, jedoch zwangsläufig fragile Waffenruhe.

In den vergangenen Tagen haben die israelischen Streitkräfte zahlreiche Luftangriffe auf den Gazastreifen geflogen. Am Donnerstag hatte eine aus dem Gazastreifen abgefeuerte Panzerabwehrrakete im Süden Israels einen Schulbus getroffen und einen 13jährigen Jugendlichen schwer verletzt. Bei den folgenden Militärschlägen der israelischen Armee wurden nach Angaben von Ärzten im Gazastreifen bis Sonntag 18 Palästinenser getötet und fast 70 weitere verletzt. Die Bilanz der knapp eine Woche andauernden Kämpfe sind 25 Tote, darunter eine Mutter mit ihrem Kleinkind, und über 100 Verletzte auf palästinensischer Seite. Damit ist diese Konfrontation die blutigste seit der dreiwöchigen israelischen Offensive zwischen Dezember 2008 und Januar 2009. Nach Angaben des Al-Mezan-Menschenrechtszentrums in Gaza-Stadt wurden seit Jahresbeginn bei Angriffen der israelischen Streitkräfte 48 Palästinenser getötet und 153 verletzt. Unter den Toten befinden sich sieben Kinder, unter den Verletzten 40 Kinder. Die Angriffe seien ein Verstoß gegen Grundprinzipien des Völkerrechts, das den Mord an Zivilisten und die Zerstörung ziviler Infrastruktur verbiete, so Al-Mezan. [3]

Nachdem das neue israelische Raketenabwehrsystem "Eisenhaube" überraschend erfolgreich eingesetzt wurde und am Wochenende zehn Grad-Raketen aus dem Gazastreifen abgefangen haben soll, deren Reichweite 30 Kilometer beträgt, beschloß die Regierung, vier weitere Anlagen im Wert von rund 60 Millionen Euro zu kaufen.

Sorgen bereitet der israelischen Regierung insbesondere eine mögliche Annäherung zwischen Fatah und Hamas, die eine über Jahre betriebene Strategie der Spaltung palästinensischen Widerstands gefährden könnte. Nachdem sich auch die neue ägyptische Führung für eine Annäherung der beiden Fraktionen ausgesprochen hatte, erklärte Premier Benjamin Netanjahu, Mahmud Abbas könne nicht gleichzeitig Frieden mit Israel und der Hamas schließen, die zur Zerstörung Israels aufrufe.

Auf Bitten des Präsidenten der Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, trafen Vertreter der Arabischen Liga zu einer Sonderberatung in Kairo zusammen. Nach Angaben ihres scheidenden Generaldirektors Amr Moussa wird die Arabische Liga den UN-Sicherheitsrat bitten, ein Flugverbot über dem Gazastreifen zu verhängen, um künftig Angriffe der israelischen Luftwaffe zu unterbinden. [4] Israel müsse gehindert werden, seine "brutale Aggression" fortzusetzen, heißt es in der Erklärung, die von den ständigen Botschaftern der Mitgliedsländer beschlossen worden war.

Mitte März hatte der UN-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone über Libyen verhängt, deren Durchsetzung zwangsläufig einen Angriffskrieg auslöste. Für eine Flugverbotszone hatte sich damals auch die Arabische Liga oder besser gesagt deren eilig in Kairo zusammengetrommelte prowestliche Fraktion stark gemacht und damit die pseudolegitimatorische Stimme aus der Region geliefert. Wenngleich der Sicherheitsrat einem Flugverbot über dem Gazastreifen niemals zustimmen wird, solange die USA von ihrem Veto Gebrauch machen, sorgen die Umwälzungen im Nahen Osten doch für beträchtliche Irritationen der israelischen Regierung, die sich durch das Wegbrechen kollaborierender arabischer Regimes mit drohenden Verwerfungen ihrer regionalen Dominanz konfrontiert sieht.

Anmerkungen:

[1] Hamas stürzen und "gezielte Tötungen": Minister gegen eine Rückkehr zur Ruhe (11.04.11)
http://www.news.at/articles/1115/12/293883/hamas-gezielte-toetungen-minister-rueckkehr-ruhe

[2] Hamas und Israel. Fragile Ruhe (11.04.11)
http://www.taz.de/1/politik/nahost/artikel/1/fragile-ruhe/

[3] Immer mehr Angriffe auf Palästinenser (12.04.11)
junge Welt

[4] Arabische Liga fordert Flugverbotszone (10.04.11)
http://derstandard.at/1301874296531/Arabische-Liga-fordert-Flugverbotszone

12. April 2011