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NAHOST/1051: Ägyptens Militärregime läßt Hosni Mubarak fallen (SB)


Ägyptens Militärregime läßt Hosni Mubarak fallen

Westliche Medien meinen Dämmerung der Demokratie am Nil zu erkennen


Nach 18 Tagen landesweiter Massendemonstrationen in Ägypten ist am frühen Abend des 11. Februar Hosni Mubarak nach fast 30 Jahren als Staatsoberhaupt zurückgetreten, hat den Präsidentenpalast in Kairo geräumt und sich per Hubschrauber in seine am Roten Meer gelegene Sommerresidenz im Badeort Scharm El Scheich auf der Sinaihalbinsel begeben. Ob der 82jährige Ex-Luftwaffenchef dort den Rest seines Lebens in Ruhe wird verbringen können, ist nicht klar. In der Nacht vom 11. auf den 12. Februar kam es in ganz Ägypten zu spontanen Freudenfeiern samt Feuerwerk und Autokorso. Nach dem Sturz Mubaraks wähnen sich die meisten der 80 Millionen Ägypter an der Schwelle einer demokratischen Ära, in der soziale Gerechtigkeit herrscht und man keine Angst vor staatlicher Repression haben muß. Unterstützt werden sie in diesem Glauben von US-Präsident Barack Obama, der sich in der Öffentlichkeit mehr als jeder andere westlicher Politiker für einen Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse Ägyptens ausgesprochen hatte. Fest steht dagegen, daß in Ägypten, ungeachtet des Abgangs Mubaraks von der politischen Bühne, das Militär immer noch das Sagen hat. Seit dem Militärputsch gegen König Farouk 1952 sind dort die Generäle die bestimmende Kraft, haben den Liebling der Massen Gamal Abdul Nasser, den Friedensnobelpreisträger Anwar Sadat und nun dessen Nachfolger kommen und gehen gesehen. Daß sie bereit wären, sich einer gewählten Regierung aus Zivilisten unterzuordnen, muß sich noch zeigen.

Die letzten 24 Stunden der Herrschaft Mubaraks waren von Chaos gekennzeichnet. Am Nachmittag des 10. Februar erschien auf dem Kairoer Tahrir-Platz, dem Fokus der ganzen Protestbewegung, der Generalstabschef der ägyptischen Streitkräfte, Sami Hafez Enan, um den Demonstranten, die dort ausharrten, mitzuteilen, daß ihre Forderungen in Kürze in Erfüllung gehen würden. Zu diesen Forderungen gehörten der Rücktritt Mubaraks, die Freilassung aller politischen Gefangenen, die Auflösung des Parlaments und die Einsetzung eines unabhängigen Expertengremiums, dessen Mitglieder eine neue Verfassung ausarbeiten sollen, nach deren Annahme durch eine Volksbefragung freie Wahlen stattfinden sollen. Die Zusage Enans zusammen mit der Nachricht, daß der Oberste Militärrat erst zum drittenmal in der Geschichte nach den Kriegen 1967 und 1973 gegen Israel tage und Mubarak am Abend eine wichtige Rede geben werde, ließ die Erwartung aufkommen, daß eine grundlegende Veränderung bevorstehe.

Als dann am Abend Mubarak seinen Zeitplan, bis zum Ende der regulären Amtszeit im September Präsident zu bleiben, erneuerte und lediglich die Übertragung noch weitere Kompetenzen an seinen neuen Stellvertreter Omar Suleiman bekanntgab, war die Enttäuschung auf dem Tahrir-Platz und im ganzen Land groß. Schließlich hatte in den Tagen zuvor die Bewegung gegen das Regime an Kraft gewonnen, immer mehr Berufsgruppen wie Journalisten, Ärzte, Textilarbeiter, das Personal des Suezkanals et cetera legten die Arbeit aus Protest nieder. Der Oppositionsführer und ehemalige Chef der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) Mohamed ElBaradei warnte vor "Chaos" und appellierte an die Militärführung, für eine friedliche Beendigung der Konfrontation zwischen Volk und Führer zu sorgen. Am nächsten Tag kam es nach dem Freitagsgebet in den Moscheen zu den bisher größten Demonstrationen der ganzen Protestwelle. Im ganzen Land gingen Millionen Menschen auf die Straße, um dem "Tag des Abgangs" Nachdruck zu verleihen. Im noch tagenden Obersten Militärrat wurde offenbar die Entscheidung zur Deeskalation getroffen. Um 18 Uhr trat ein sichtlich niedergeschlagener Suleiman vor die Presse und gab den Rücktritt Mubaraks offiziell bekannt. In diesem Zusammenhang erklärte der ehemalige Geheimdienstchef, daß das Militär alle Maßnahmen für einen reibungslosen Übergang in eine demokratische Neuordnung ergreifen werde.

Was dies konkret bedeutet, weiß derzeit niemand außerhalb des Obersten Militärrats, in dem Berichten zufolge der 75jährige Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi, der seit 20 Jahren Verteidigungsminister ist, den Ton angibt. Über die Position von Vizepräsident Suleiman, in dessen Folterkellern seit 1993 zahlreiche Oppositionelle auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind und der mindestens genau soviel, wenn nicht sogar mehr als Mubarak selbst verhaßt war, herrscht derzeit völlige Unklarheit. Ungeachtet seiner guten Verbindungen zur Militärführung der USA und Israels könnte der ehemalige Geheimdienstchef, der bis zuletzt bei seinen öffentlichen Auftritten einen Rücktritt Mubaraks für ausgeschlossen gehalten und die Demokratiebefürworter als nützliche Idioten des Auslands beschimpft hatte, ebenfalls fallengelassen werden, um den Anschein des demokratischen Aufbruchs zu vervollständigen. In den nächsten Tagen sollen Gespräche zwischen Vertretern der Opposition und der Militärführung stattfinden. Diese werden zeigen, zu welchen Zugeständnissen - ob optischen oder doch grundlegenden - die Generäle bereit sind, um am Nil wieder Ruhe einkehren zu lassen.

12. Februar 2011