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NAHOST/1013: Barack Obama fabuliert vom Ende des Irakkriegs (SB)


Lage im Irak verheerend - US-Präsident täuscht Abzug vor


Der Angriffskrieg der Vereinigen Staaten und ihrer Verbündeten gegen Afghanistan und den Irak und das Besatzungsregime in beiden Ländern sind Zwischenstationen auf dem Weg zur angestrebten Kontrolle dieser Weltregion zwischen den eigentlichen Gegnern Rußland und China, welche die USA einzukreisen und in ihrem Einfluß zu beschneiden versuchen. Ein vollständiger Abzug stünde daher in Widerspruch zur beabsichtigten Dauerpräsenz und käme einer Niederlage gleich, die den ungeheuren Aufwand dieser Feldzüge zunichte machen würde. Zu keinem Zeitpunkt zielte die Invasion des Iraks auf das stets vorgehaltene Ziel ab, die Bevölkerung zu befreien und ihr zu einem besseren Leben zu verhelfen. Unterwerfung und Kontrolle bleiben Zweck dieses Kriegszugs, dessen Preis die Iraker und Afghanen mit unermeßlichen Opfern bezahlen müssen.

Seit der Invasion im Jahr 2003 wurde der zuvor mit Sanktionen drangsalierte Irak als funktionsfähiger Staat zerschlagen und mit dem Ziel gespalten, die dadurch ausgelösten erbitterten Konkurrenzkämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen zur Niederschlagung des Widerstands gegen das Besatzungsregime zu nutzen. Als dennoch eine militärische Niederlage der Besatzer nicht mehr auszuschließen war, gelang es unter enormem finanziellen Aufwand, Zehntausende gegnerische Kämpfer zu bestechen und in paramilitärischen Verbänden einzubinden. Weit davon entfernt, das Land zu befrieden, haben die Okkupationsmächte einen Hexenkessel angeheizt. Man könnte von einer Feuersbrunst sprechen, bei der sich die Brandstifter als Feuerwehr in Szene setzen und ihre langfristige militärische, geheimdienstliche und administrative Präsenz damit begründen.

Die Verlagerung erheblicher Teile der Kampftruppen aus dem Irak nach Afghanistan und die auch am Hindukusch angestrebte Verringerung des Kontingents ist der Notwendigkeit der fortgesetzten Kampagne geschuldet, die selbst die Kapazitäten der größten Militärmacht der Welt zu überfordern droht. Die Strategie des fortgesetzten Teilens und Herrschens unter der Doktrin des sogenannten Antiterrorkriegs findet ihre Fortsetzung in der Aggression gegen den Iran, der als nächstes Opfer in die Enge getrieben, geschwächt und fraktioniert werden soll.

Mehr als eine Million Iraker wurden im Verlauf des Kriegszugs getötet, weitere zwei Millionen ins Exil getrieben. Zehntausende unterwarf man der Gefangenschaft und Folter, die Opposition erfuhr massivste Repression, doch selbst der Ausbau eines Polizeistaats konnte nicht verhindern, daß fortgesetzte Anschläge zu hohen Opferzahlen führen und die Sicherheitslage außerordentlich prekär bleibt. Fast täglich kommt es zu Angriffen und Explosionen, von denen keine Bevölkerungsgruppe verschont bleibt. Offiziellen Angaben zufolge starben im Juli bei Anschlägen insgesamt 535 Menschen - 396 Zivilisten, 89 Polizisten und 50 Soldaten. Dies ist die höchste Zahl irakischer Opfer seit Mai 2008, wobei damals 563 Personen starben. Auch die Zahl der Verletzten war im Juli mit 1043 die höchste in diesem Jahr. [1]

Sieben Jahre Krieg haben verheerenden Folgen für die Bevölkerung gezeitigt. Laut einer Studie im Auftrag der Weltbank aus dem Jahr 2007 stehen 23 Prozent der Iraker weniger als 2,20 US-Dollar am Tag zur Verfügung, so daß sie in bitterer Armut leben. Arbeitslosigkeit und unzureichende Erwerbsmöglichkeiten weisen nach wie vor einen hohen Stand auf. Im vergangenen Jahr hatten nur 20 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Abwassersystem, 45 Prozent zu sauberem Wasser, 50 Prozent zu mehr als zwölf Stunden Strom pro Tag sowie 50 Prozent zu angemessenem Wohnraum und 30 Prozent Zugang zum Gesundheitswesen.

Nach der Invasion von 2003 waren die staatlichen Betriebe fast ausnahmslos zerstört, geplündert oder geschlossen. Um die schrottreife Industrie nach 30 Jahren Krieg und Sanktionen wieder aufzubauen oder zu modernisieren, wären nach Regierungsangaben mindestens sieben Milliarden US-Dollar an Investitionen erforderlich. Es fehlt an staatlicher Unterstützung der Unternehmen, die Firmen konkurrierten gegeneinander um Geld, das jedoch vor allem in die Sicherheitsbranche, in Gesundheit, Bildung und die Ölindustrie fließt. Ob bis Ende des Jahres alle Fabriken wieder in Betrieb sind, wie dies behauptet wird, läßt sich schwer nachprüfen.

An den von den Besatzern hochgelobten Parlamentswahlen am 7. März durften nur Parteien und Politiker teilnehmen, die sich mit der Okkupation einverstanden erklärten. Die daraus resultierende Marionettenregierung ist jedoch noch immer nicht funktionsfähig. Der amtierende Ministerpräsident Nuri Al-Maliki weigerte sich, seine knappe Niederlage gegen den Herausforderer Ijad Allawi anzuerkennen. Er blieb kurzerhand weiter im Amt und blockiert die Bildung einer parteiübergreifenden Regierungskoalition, so daß de facto keine reguläre politische Führung vorhanden ist.

Die Intervention im Zweistromland als Erfolgsgeschichte zu verkaufen, ist daher nur unter Leugnung der katastrophalen Situation möglich. Von einem "demokratischen Irak, der souverän, stabil und autonom ist", zu schwadronieren, wie dies Präsident Barack Obama Ende Mai in einer Rede vor Angehörigen der Militärakademie West Point getan hat, heißt eine Fiktion zu beschwören, die in krassem Widerspruch zu den herrschenden Verhältnissen steht.

Der im Abkommen von 2008 vereinbarte Abzug der US-Militärs und die Übergabe der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit an einheimische Kräfte mündet in ein Täuschungsmanöver, das die Dauerpräsenz der Besatzungsmacht verschleiern soll. Unter dem Deckmantel angeblicher Unterstützung und Ausbildung üben die US-Streitkräfte weiterhin eine engmaschige Kontrolle der irakischen Armee und Polizei aus. Über den 1. September hinaus werden 50.000 US-Soldaten im Land bleiben, zu denen sich bis zu 65.000 Söldner gesellen, womit weiterhin eine gewaltige Streitmacht in Stellung gebracht wird.

Zudem kann der forcierte Ausbau gewaltiger Stützpunkte als sicheres Indiz dafür gelten, daß die USA ihr Besatzungsregime im Irak Ende nächsten Jahres keineswegs beenden wollen. Zwar ist die absolute Zahl US-amerikanischer Stützpunkte deutlich gesunken, doch baut das Pentagon im Gegenzug die sogenannten "enduring presence posts" aus. Darunter fallen insbesondere die vier großen Militärbasen "Joint Base Balad" im Norden, "Camp Adder" im Süden, "Al-Asad Air Base" im Westen und "Victory Base Complex" unter Einschluß des internationalen Flughafens von Bagdad. In allen vier Fällen handelt es sich um riesige Festungen, wobei derzeit allein in Balad mehr als 20.000 Soldaten stationiert sind. Parallel zur militärischen Dauerpräsenz werden zivile Komponenten langfristiger Kontrolle ausgebaut, in deren Zentrum die US-Botschaft in Bagdad steht. Die im Januar 2009 eröffnete neue Botschaft in der massiv befestigten und scharf bewachten Grünen Zone ist der größte und teuerste derartige Komplex weltweit, in dem 1.000 reguläre Mitarbeiter und bis zu 3.000 zusätzliche Personen beschäftigt sind.

Vor diesem Hintergrund kann die jüngste Erklärung Präsident Obamas, der Irakkrieg nähere sich wie versprochen seinem Ende, nur als fortgesetzte Propagandakampagne interpretiert werden. Wie er bei einer Tagung eines Veteranenverbandes in Atlanta versicherte, werde die Kampfmission in wenigen Wochen enden. Bis Ende August ziehe man die Kampftruppen ab, worauf die 50.000 verbleibenden Soldaten für Sicherheit bei zivilen Projekten sorgen, antiterroristische Einsätze leiten und die einheimischen Sicherheitskräfte ausbilden sollen. [2] "Dies sind gefährliche Aufgaben", fügte Obama hinzu. "Es wird weiterhin Kräfte geben, die mit Bomben und Kugeln versuchen, den Fortschritt im Irak aufzuhalten. Die harte Wahrheit ist, daß wir das Ende amerikanischer Opfer im Irak noch nicht gesehen haben." [3]

Bis Ende 2011 will Obama angeblich alle Truppen aus dem Irak abziehen und damit eines seiner wichtigsten Wahlversprechen einlösen. Er habe ein "verantwortungsvolles Ende des Krieges" angekündigt, "und das ist genau das, was wir tun - wie versprochen und im Zeitplan", erklärte der US-Präsident. Mit dem schrittweisen Abzug veränderten sich die Verpflichtungen der USA im Irak: Der Militäreinsatz weiche einem zivilen Einsatz unter Führung von Diplomaten.

Unterdessen steht Obama wegen des verlustreichen Kriegs in Afghanistan zunehmend unter innenpolitischem Druck, da er die Truppen am Hindukusch massiv aufgestockt hat, ohne greifbare Erfolge im Kampf gegen die Aufständischen vorweisen zu können. "Wir stehen in Afghanistan vor großen Herausforderungen", erklärte Obama. Das amerikanische Volk solle aber wissen, "daß wir Fortschritte machen und uns auf Ziele konzentrieren, die klar und erreichbar sind". Um welche Ziele es sich dabei im einzelnen handeln soll, erfuhren die Veteranen nicht, die mit der abgewirtschafteten Pseudoerklärung abgespeist wurden, Al Qaida habe die Angriffe des 11. September 2001 geplant. Er werde nicht zulassen, daß deren Führung an irgendeinem Ort ein Refugium genießt, und ihr eine definitive Niederlage beibringen, erklärte Obama.

George W. Bush hatte den Amerikanern bei der Invasion im März 2003 versprochen, die US-Soldaten würden im Irak mit Girlanden empfangen. Der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz versicherte damals dem Kongreß, man werde die Truppen bis zum Herbst 2003 auf 25.000 reduzieren können. [4] Sieben Jahre später, in denen über eine Million Iraker und mehr als 3.000 US-Soldaten getötet sowie über eine Billion Dollar für diesen Krieg aufgewendet wurden, hausiert Barack Obama mit alten Lügen und neuen Versprechen - solange ihm noch jemand Glauben schenkt.

Anmerkungen:

[1] Schönreden hilft nicht (03.08.10)

junge Welt

[2] Irak-Strategie. Obama will Diplomaten statt Soldaten. US-Präsident Obama spricht vor Veteranen in Atlanta (02.08.10)
http://www.focus.de/politik/ausland/irak-strategie-obama-will-diplomaten-statt-soldaten_aid_537325.html

[3] Wahlversprechen. Obama: Irak-Kampfeinsatz endet im August (03.08.10)
http://derstandard.at/1277339419929/Wahlversprechen-Obama-Irak-Kampfeinsatz-endet-im-August

[4] US-Abzug aus dem Irak: nicht triumphal sondern sang- und klanglos (03.08.10)
http://blogs.taz.de/arabesken/2010/08/03/us-abzug_aus_dem_irak_nicht_triumphal_sondern_sang-_und_klanglos/

3. August 2010