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NAHOST/1012: Neue Spekulationen über Militärangriff auf den Iran (SB)


Neue Spekulationen über Militärangriff auf den Iran

CIA-Chef Leon Panetta heizt den "Atomstreit" mit Teheran an


In der offiziellen Schlußerklärung des G8-Gipfels im kanadischen Toronto, der am 26. Juni zu Ende ging, forderten die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, Japan, Rußland und den USA vom Iran in Bezug auf dessen Atomprogramm größere Transparenz und die Einhaltung internationaler Verpflichtungen. Gleichzeitig erkannte man das Recht der Islamischen Republik als Unterzeichnerstaat des Nicht-Verbreitungsvertrages auf Zugang zu allen Aspekten der zivilen Kernenergie ausdrücklich an und sprach sich für eine friedliche Lösung des sogenannten Atomstreits aus. Die inoffiziellen Stellungnahmen der Vertreter der USA und ihrer Verbündeten hörten sich leider weniger entgegenkommend an.

Vor allem Silvio Berlusconi, der sich nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 mit seinem krassen Bekenntnis zum Kampf der Kulturen zwischen einem, aus seiner Sicht, aufgeklärten, säkularen Westen und einer rückschrittlich-engstirnigen Welt des Islams der neokonservativ-republikanischen Regierung George W. Bushs recht plump angedient hatte, rasselte mit dem Säbel. Nach den Gesprächen mit den Amtskollegen Angela Merkel, Nicola Sarkozy, David Cameron, Stephen Harper, Naoto Kan, Dmitri Medwedew und Barack Obama erklärte der italienische Premierminister vor der Presse: "Der Iran garantiert nicht die friedliche Nutzung des Atomstroms, und die Mitglieder der G8 sind besorgt und glauben absolut, daß Israel wahrscheinlich präemptiv reagieren wird." [1]

Die Worte Berlusconis, so drastisch sie auch klingen mögen, geben die angespannte politische Lage wieder. In den USA und Israel rüstet man scheinbar nicht nur verbal für eine militärische Auseinandersetzung am Persischen Golf auf. Am 25. Juni begrüßte Außenministerin Hillary Clinton das Gesetzespaket an schweren Handelssanktionen, das am Tag davor Repräsentantenhaus und Senat in Washington verabschiedet hatten, und erklärte, der Kongreß habe damit die Bemühungen des Weißen Hauses und des State Department, Teheran unter Druck zu setzen, enorm unterstützt. Bereits am 23. Juni hatten 87 von 100 US-Senatoren in einer Resolution ihre Unterstützung des Rechts Israels, sich gegen Angriffe der palästinensischen Hamas, der libanesischen Hisb Allah und des Irans zu verteidigen, zum Ausdruck gebracht.

In einem Brief, den die Kongreßabgeordnete Sue Myrick an Janet Napolitano, Obamas Ministerin für den Heimatschutz, schrieb und von dem am 25. Juni der konservative US-Nachrichtensender Fox News berichtete, warnte die Republikanerin aus South Carolina vor einer neuen gefährlichen, bislang unterschätzten Bedrohung der "nationalen Sicherheit" Amerikas. Laut Myrick lernen "iranische Agenten und Mitglieder der Hisb Allah" in Hugo Chávez' Venezuela Spanisch, bauen Tunnel unter der südlichen Grenze der USA für mexikanische Drogenschmuggler und wanderten zwar illegal, aber mit gefälschten mexikanischen Papieren in die USA ein, um nördlich des Rio Grande Angst und Schrecken verbreiten zu können.

Am 26. Juni nahm in der Nähe von Paris Bushs ehemaliger UN-Botschafter John Bolton zusammen mit dem früheren konservativen spanischen Premierminister José María Aznar und rund 100 weiteren Politikern aus den USA, Europa und dem Nahen Osten an einer Veranstaltung der iranischen Volksmudschaheddin (MEK) teil, ungeachtet der Tatsache, daß diese bekanntlich vom US-Außenministerium als "Terrororganisation" eingestuft werden. Bei der Veranstaltung ging es darum, das "Mullah-Regime" in Teheran zu verteufeln und drastischere Maßnahmen als die bislang beschlossenen diplomatischen und wirtschaftlichen Sanktionen zu fordern. Die Gelegenheit nutzte Bolton, der als unverbesserlicher Kriegstreiber gilt, um seinen Standpunkt erneut klar zu machen: Sanktionen würden den Iran nicht daran hindern, die Atombombe zu bauen; militärische Maßnahmen seien daher unvermeidlich und sollten lieber früher als später erfolgen.

Derweil in Israel empfing man am selben Wochenende hohen Besuch aus den USA. Am Sonntag, den 27. Juni traf sich John Kerry, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des Senats in Washington, mit dem israelischen Präsidenten Shimon Peres. Bei der anschließenden Pressekonferenz hob auch Kerry das Recht Israels auf Selbstverteidigung hervor und stellte fest, "niemand" unterschätze oder mißdeute "die Herausforderung, die der Iran für die Region" des Nahen Ostens darstelle; Teheran habe der restlichen Welt "keine Wahl gelassen", als den jetzigen Kurs der Sanktionen und des Drucks einzuschlagen, so der demokratische Senator aus Massachusetts. Kerry erwähnte vor den Journalisten die militärische Option mit keinem Wort. Dafür dürfte sie im Mittelpunkt der Gespräche gestanden haben, die der US-Admiral Michael Mullen, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, am 27. Juni bei einer kurzfristig anberaumten Stippvisite in Israel, anläßlich eines Heimflugs von Afghanistan, wo er Präsident Hamid Karzai über die Umstände der spektakulären Entlassung des ISAF- und OEF-Oberkommandeurs General Stanley McChrystal und dessen Ersetzung durch den bisherigen CENTCOM-Chef General David Petraeus aufklären mußte, mit dem israelischen Generalstabschef Gabi Ashkenazi geführt hat.

In einem Artikel der israelischen Zeitung Ha'aretz vom 26. Juni hieß es, bei dem Treffen Mullens wollten sich beide Seiten über "die Vorbereitungen sowohl Israels als auch der USA hinsichtlich der Möglichkeit eines nuklearbewaffneten Irans" austauschen. Bedenkt man, daß Tel Aviv und Washington wiederholt erklärt haben, daß sie unter keinen Umständen einen Atomstaat Iran akzeptieren werden, sind besagte "Vorbereitungen" als Kriegsvorbereitungen zu verstehen. Für diese Interpretation spricht auch die Angabe aus dem Ha'aretz-Artikel, wonach Mullen bei dem Treffen mit dem Oberkommandierenden der israelischen Marine, Eliezer Marom, zusammenkommen sollte. Als mögliches Gesprächsthema wurde der Überfall der Israelis auf den humanitären Gaza-Schiffskonvoi Ende Mai genannt, der mit der Erschießung von neun türkischen Menschenrechtsaktivisten seinen traurigen Höhepunkt fand.

Man kann sich aber auch vorstellen, daß die beiden Admirale Mullen und Marom über Anzahl, Bewaffnung und Position ihrer Marinestreitkräfte am Persischen Golf sprachen. Am 20. Juni hatte Ha'aretz unter Verweis auf die in London erscheinende, arabische Zeitung Al-Quds Al-Arabis berichtet, daß zwei Tage davor eine ungewöhnliche Armada, bestehend aus elf amerikanischen Kriegsschiffen und einem israelischen, den ägyptischen Suezkanal in südlicher Richtung, vom Mittelmeer zum Roten Meer und Indischen Ozean hin, passiert hatte. Bei einem der US-Schiffe soll es sich um einen Flugzeugträger gehandelt haben. Bereits am 30. Mai hatte die Londoner Sunday Times mit der Meldung weltweit für Aufsehen gesorgt, drei israelische U-Boote, die mit Atomraketen ausgerüstet sein sollten, hätten Stellung am Persischen Golf bezogen. Am 12. Juni legte The Times, das Schwesterblatt aus dem Hause des neokonservativen, australo-amerikanischen Medienoguls Rupert Murdoch, mit der Meldung nach, Tel Aviv habe von Riad grünes Licht für die Nutzung eines Korridors durch den Luftraum Saudi-Arabiens für den Fall bekommen, daß die Israelis einen Überraschungsangriff auf die iranischen Atomanlagen durchführen sollten.

In den letzten Tagen ist es vor allem in den Medien des Nahen Ostens verstärkt zu Berichten gekommen, deren Autoren ungewöhnliche militärische Bewegungen als Hinweis auf eine drohende Verwirklichung des befürchteten, immer wieder prognostizierten Showdowns Israels und der USA mit dem Iran deuteten. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte eine Seekarte des US-Militärs, in deren Besitz der private US-Nachrichtendienst Stratfor gekommen sein soll, die auf den 23. Juni datiert ist und auf der eine Massierung amerikanischer Seestreitkräfte, darunter die Flugzeugträger Harry S. Truman und Dwight D. Eisenhower samt ihrer dazugehörigen Begleitflottillen, vor der Straße von Hormus im Arabischen Meer eingezeichnet ist. Am 26. Juni wartete die Gulf Daily News mit der Nachricht auf, Teile der israelischen Luftwaffe übten bereits in Georgien und Aserbaidschan den Angriff auf den Iran vom Norden her, während die Nachrichtenagentur Associated Press erneut unter Verweis auf iranische und israelische Medienberichte die Geschichte vom stillen Abkommen zwischen Riad und Tel Aviv über die Nutzung eines Luftkorridors über dem Norden Saudi-Arabiens verbreitete.

Interessanterweise hat am darauffolgenden Tag am Rande des G20-Gipfeltreffens in Toronto der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan den Luftraum seines Landes für Maschinen der israelischen Luftwaffe für gesperrt erklärt. Nur wenige Stunden davor hatte der CIA-Chef Leon Panetta Öl ins Feuer gegossen, als er bei einem Auftritt in der allsonntäglichen Politsendung "This Week" von ABC erklärte, er glaube, daß der Iran inzwischen über genug schwach angereichertes Uran verfüge, um innerhalb von zwei Jahren zwei primitive Nuklearsprengköpfe bauen zu können. Die Frage des Moderators, ob sich die Iraner durch die ganzen Sanktionen von ihrem Streben nach der Atombombe würden abhalten lassen, ebenso die Frage, ob die Israelis warten würden, bis es soweit sei, beantwortete Panetta mit nein. Bekanntlich bestreitet der Iran, irgendwelche militärische Absichten mit seinem Atomprogramm, das von den Inspekteuren der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) kontrolliert wird, zu verfolgen.

Fußnote:

1. Melman, Yossi, "G-8 'fully believes' Israel will attack Iran, says Italy PM", Ha'aretz, 28. Juni, 2010

28. Juni 2010