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NAHOST/984: Washington und Jerusalem inszenieren einen Konflikt (SB)


Scharade für das staunende internationale Publikum


Die Vorstellung, in israelischen und US-amerikanischen Regierungskreisen herrschten Verwirrung oder kontroverse Auffassungen, deren sichtbarer Wellenschlag die widersprüchlichen Äußerungen und Signale im Umgang miteinander seien, mutet wenig überzeugend an. Sehr viel wahrscheinlicher ist da schon, daß die beiden Administrationen ihre Scharade fortsetzen, die alle Zuschauer in den Bann der Inszenierung schlägt, wie Washington und Jerusalem miteinander klarkommen. Mit wohltönenden Worten und vollmundigen Versprechen hat Barack Obama aller Welt vorgegaukelt, er werde den Durchbruch im Nahostkonflikt herbeiführen und einen substantiellen Friedensprozeß einleiten. Seither starrt man gebannt auf die beiderseitigen Befindlichkeiten und versucht jede diplomatische Nuance auszudeuten, als lasse sich aus dieser Farce tatsächlich ein Silberstreifen am Horizont ableiten. Offensichtlich ist das Gegenteil der Fall, denn von dem vielbeschworenen Druck der US-Regierung auf Premierminister Benjamin Netanjahu und dessen Kabinett ist nichts zu erkennen, obgleich man auf israelischer Seite immer neue Klötze nachlegt. Die Frage, ob die Regierung Netanjahu die Obama-Administration vor den Kopf gestoßen oder gar absichtlich beleidigt hat, geht dem Schauspiel auf den Leim, das die fortgesetzte Erniedrigung der Palästinenser ausblendet und den Konflikt als eine israelisch-amerikanische Seifenoper auf die Bühne bringt.

Nachdem sich US-Vizepräsident Joe Biden ungeachtet seines zwischenzeitlich zur Schau gestellten Grolls zuletzt in unverbrüchlicher Kumpanei zur Führung Israels bekannt und somit das allein maßgebliche Signal gesetzt hatte, sorgte Außenministerin Hillary Clinton im nächsten Akt mit angeblich harscher Kritik an den jüngsten Siedlungsplänen während eines fast einstündigen Telefongesprächs mit Netanjahu für einen Kontrapunkt. [1] Wenngleich sich natürlich verschiedene Fraktionen in den beiderseitigen Regierungen mit partiell divergierenden Absichten positionieren und nicht auszuschließen ist, daß unterschiedliche Strömungen einander in die Parade fahren, spricht doch wenig dafür, daß im Kabinett angesichts einer derart zentralen internationalen Konfliktregulation eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Daher muß man davon ausgehen, daß Clintons Schelte vor allem dem Zweck geschuldet ist, Härte gegenüber der israelischen Regierung zu simulieren, da andernfalls allzu offensichtlich würde, wohin die beiden Führungen Seite an Seite marschieren.

Zum Auftakt der wöchentlichen Kabinettssitzung beschwichtigte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit den Worten, er schlage allen vor, nicht zu übertreiben und sich erst einmal zu beruhigen. "Es gab hier einen bedauerlichen Zwischenfall, der ohne böse Absicht passiert ist. Dieser hat Schaden angerichtet und hätte sich natürlich nicht ereignen dürfen. Wir haben ein Komitee aus Generaldirektoren der Regierung eingesetzt, um ein Verfahren sicherzustellen, mit dessen Hilfe solche Zwischenfälle in Zukunft verhindert werden." [2] Schließlich hätten Israel und die USA gemeinsame Interessen, weshalb man gemäß dieser Interessen handeln werde, die für Israel von essentieller Wichtigkeit seien.

Bekanntlich hatte das israelische Innenministerium ausgerechnet am zweiten Tag des Besuchs von US-Vizepräsident Biden bekanntgegeben, daß die Neubaupläne für 1.600 weitere Wohnungen in dem jüdischen Viertel Ramat Schlomo im palästinensischen Ost-Jerusalem genehmigt seien. Daß es sich um eine zufällige Panne der Verwaltung gehandelt hat, kann man wohl ausschließen. Aber auch die Version, Innenminister Eli Jischai habe gezielt versucht, die Friedensgespräche zu verhindern und damit der Politik seiner religiösen Schas-Partei zur Durchsetzung zu verhelfen, die eine Teilung Jerusalems kompromißlos ablehnt, steht auf tönernen Füßen. Das ist genau die Spur, auf die Netanjahu das staunende Publikum lenken will, wenn er den Affront zu einer Unbotmäßigkeit oder gar nur ungeschickten Äußerung des Innenministers erklärt, die man untersuchen und künftig ausschließen werde.

Clinton hatte die Ankündigung der Siedlungspläne im US-Fernsehsender CNN als "Beleidigung" für die USA bezeichnet und damit sowohl im eigenen Land Profil gezeigt, als auch international den irreführenden Eindruck hochgehalten, Washington lasse sich von Israel nicht auf der Nase herumtanzen: "Die Ankündigung der Siedlungen, die noch am gleichen Tag geschah, als der Vizepräsident vor Ort war, war beleidigend. Es war ein äußerst unglücklicher und schwieriger Moment für alle." So scharf diese Worte anmuten mögen, fällt doch auf, daß weder der Vizepräsident noch die Außenministerin die Forderung erhoben haben, die israelische Regierung solle diese Siedlungspläne einfrieren.

Netanjahu rief nach dem Gespräch mit Clinton umgehend die treuesten Bündnispartner in Europa an und gestand in Gesprächen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi angeblich ein, daß er sich für diesen "peinlichen Vorfall" bei Biden entschuldigt habe. Wie der Premierminister nach Angaben eines Regierungsvertreters versicherte, werde es "keine Beschleunigung des Siedlungsbaus in Ost-Jerusalem" geben. Von den Plänen selbst rückte Netanjahu jedoch nicht ab.

Zieht man anhand der Faktenlage ein vorläufiges Fazit, treibt die israelische Regierung den Siedlungsbau uneingeschränkt und ungehindert voran. Ihr muß bewußt sein, daß sie damit die verhandlungsbereite Fraktion der palästinensischen Führung derart unter Druck setzt, daß sich diese von den geplanten indirekten Gesprächen zurückziehen muß, wie das nun geschehen ist. Damit setzt die Regierung Netanjahu ihre Strategie fort, die Palästinenser zu demütigen, ihr Land zu rauben und ihren Staat zu verhindern. Friedensgespräche auf gleicher Augenhöhe, die in einen beiderseits akzeptablen Kompromiß münden könnten, sind von Seiten Israels nicht erwünscht, weshalb sie zwar im Munde geführt, de facto aber torpediert werden. Phasenweise den Wunsch nach einer Friedenslösung vorzuhalten, ist für die israelische Führung aus strategischen und ideologischen Gründen unverzichtbar: Andernfalls könnten die Palästinenser auf breiter Front ihre letzten verblieben Hoffnungen und damit ihre Teilhaberschaft am eigenen Elend zu Grabe tragen wie auch die verbündeten Regierungen ihren Bevölkerungen schwerlich vorgaukeln, der Friedensprozeß scheitere an der Gewaltbereitschaft der Palästinenser.

Anmerkungen:

[1] Netanjahu spielt Streit mit den USA herunter (13.03.10)
http://www.zeit.de/newsticker/2010/3/14/iptc-bdt-20100314-127-24209010xml

[2] Streit um Wohnungsbaupläne. Netanjahu lässt Biden-Affront untersuchen (13.03.10)
http://www.tagesschau.de/ausland/israelkommission100.html

14. März 2010