Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/965: Rivalität Riads und Teherans destabilisiert den Jemen (SB)


Rivalität Riads und Teherans destabilisiert den Jemen

Religiöser Zwist mischt sich mit geostrategischem Wettstreit


Seit der Islamistischen Revolution 1979 im Iran stehen sich Riad und Teheran unversöhnlich gegenüber. In den letzten dreißig Jahren haben die sunnitischen Saudis, die Schutzherrn der heiligen Städte Mekka und Medina, an vielen Schauplätzen die Gegner der schiitischen Iraner mit deren Revolutionsmodell unterstützt und umgekehrt. Die Rivalität der beiden Möchtegern-Großmächte hat unter anderem im Iran-Irak-Krieg, im libanesischen Bürgerkrieg, im Kampf der Taliban gegen die Nordallianz in Afghanistan sowie im Chaos der Post-Saddam-Hussein-Ära im Irak ihren blutigen Niederschlag gefunden. Jüngster Schauplatz des schiitisch-sunnitischen Machtkampfes ist der Jemen, der im Stellvertreterkrieg zwischen Riad und Teheran völlig unterzugehen droht.

Seit 2004 kämpfen mit Unterbrechungen für Friedensverhandlungen in der nordjemenitischen Provinz Saada zaidische Rebellen mit Truppen der jemenitischen Zentralregierung um Präsident Ali Abdullah Saleh. Die Zaidi, deren Glaubensrichtung dem Schiitentum nahesteht und deren Imane bis zur Gründung der Arabischen Republik Jemen im Jahre 1962 im Nordjemen das Sagen hatten, befinden sich seit fünf Jahren gegen die Regierung in Sanaa, der sie vorwerfen, sie zu diskriminieren und zu benachteiligen, im Aufstand. Infolge dieses Bürgerkrieges sind Hunderte Soldaten, Rebellen und Zivilisten ums Leben gekommen. Jüngsten Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks in Genf zufolge liegt inzwischen die Zahl der Menschen, die vor den Kämpfen in Saada geflohen sind, über 175.000.

Am 11. August haben Salehs Truppen die Operation Verbrannte Erde gestartet. Bislang hat diese ihr erklärtes Ziel, die Niederschlagung der nach der Familie ihrer Anführer benannten Houthi-Rebellen nicht erreicht. Im Gegenteil kommen die schlecht ausgerüsteten und scheinbar wenig motivierten Streitkräfte Sanaas gegen die Aufständischen, die offenbar die Unterstützung der Bevölkerung in der zaidischen Hochburg Saada genießen, nicht an. Womöglich ist das der Grund, warum am 4. November die Armee und Luftwaffe Saudi-Arabiens unter anderem mit Artilleriebeschuß und Luftbombardements erstmals offiziell in den Bürgerkrieg eingegriffen hat. Saudi-Arabien gilt seit 1994, als es den religiös geprägten Nordjemeniten um Saleh zum Sieg im Bürgerkrieg gegen jene säkularen Kräfte im Süden, die mit dem Ergebnis der Vereinigung ihrer Volksrepublik Jemen mit der Arabischen Republik Jemen vier Jahre zuvor nicht zufrieden waren, half, als inoffizielle Schutzmacht Sanaas. Berichten zufolge unterstützt Saudi-Arabien Salehs Operation Verbrannte Erde finanziell mit rund 1,2 Millionen Dollar im Monat sowie mit taktischem Aufklärungsmaterial.

Anlaß des offiziellen Eingriffs der Streitkräfte Riads in den jemenitischen Bürgerkrieg war ein Vorstoß der Houthi-Rebellen, die am 3. November auf der saudischen Seite der gebirgigen Grenzregion zwei Dörfer eingenommen und dabei einen saudischen Soldaten umgebracht haben sollen. Die Rebellen selbst behaupten, sie hätten lediglich einen Stützpunkt auf dem strategisch gelegenen Berg Jebel al-Dukhan erobert, von wo aus die regulären jemenitischen Streitkräfte sie beschossen hätten. Widersprüchlich sind auch die Angaben beider Seiten zum Verlauf der Kämpfe. Die Rebellen wollen fünf saudische Soldaten getötet und vier gefangengenommen haben. Sie behaupten, die saudische Luftwaffe habe willkürlich Dörfer angegriffen und zwei Frauen und ein Kind getötet. Bei einem Truppenbesuch in der südwestlichen Provinz Jizan am 10. November erklärte Prinz Khaled Bin Sultan, der Stellvertretende Verteidigungsminister Saudi-Arabiens, die Luftangriffe würden solange fortgesetzt, bis sich die Rebellen "Dutzende von Kilometern" von der gemeinsamen Grenze zurückgezogen hätten. Am selben Tag hat die saudische Marine vor der Küste Nordjemens im Roten Meer eine Seeblockade verhängt. Auf diese Weise soll verhindert werden, daß Waffen oder Kämpfer aus dem Iran die Rebellen erreichen.

Noch im Oktober haben die jemenitischen Behörden ein Schiff aufgebracht, auf dem sich angeblich Waffen aus dem Iran für die Houthi-Rebellen befanden. In den saudischen Medien wird berichtet, daß Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden die zaidischen Aufständischen trainierten und daß bei Kämpfen im Oktober die jemenitische Armee mehr als ein Dutzend Mitglieder der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz getötet und weitere gefangengenommen habe. Die Iraner bestreiten ihrerseits jede Verwicklung in den Aufstand. In einer Tonaufnahme, die am 10. November an Nachrichtenagenturen verschickt wurde, erklärte der Rebellenchef Abdel Maliki Al Houthi, er und seine rund 5000 Männer würden von keiner ausländischen Macht unterstützt werden.

Bei einer Pressekonferenz in Teheran am 10. November tat der iranische Außenminister Manuchehr Mottaki Berichte über Waffenlieferungen der Islamischen Republik an die Houthi-Rebellen als Erfindung ab. Er rief die benachbarten Länder dazu auf, alles zu unternehmen, um eine friedliche Beilegung des Konfliktes zu erreichen. "Jede Art von Instabilität in Jemen, jede Art von Instabilität im Irak, in Afghanistan oder in Pakistan wird sich auf die ganze Region auswirken", so Mottaki. Der Hinweis auf Pakistan war nicht zufällig. Die Iraner verdächtigen die Saudis, die sunnitische Separatistengruppe Jundullah, die mit einem Bombenanschlag am 18. Oktober in der südostiranischen Provinz Sistan-Belutschistan 49 Menschen, darunter mehrere ranghohe Mitglieder der Revolutionsgarden, getötet hat, und diverse sunnitische Gruppierungen, die in den letzten Jahren durch Anschläge und Übergriffe auf Schiiten in Pakistan auf sich aufmerksam gemacht haben, zu unterstützen. Ohne Saudi-Arabien beim Namen zu nennen warf Mottaki diesem vor, die Krise im Nachbarland Jemen zusätzlich geschürt zu haben, und warnte, wer "Öl ins Feuer" gieße, solle sich nicht wundern, wenn die daraus resultierenden Flammen auch ihn erfaßten.

Am selben Tag hat Mohammed Bin Abdul Rahman Al Rashid, Chef der Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel, in einer ins Internet gestellten Tonaufnahme die Sunniten des Jemens aufgerufen, es mit den Houthi-Rebellen aufzunehmen. Er kritisierte letztere wegen ihres Aufstandes und behauptete, der Iran und die Schiiten versuchten die Länder der islamischen Welt zu erobern und stellten für den wahren Islam eine größere Bedrohungen als die "der Juden und der Christen" dar. Die Parteinahme der Al Kaida im Jemen für die Regierung in Sanaa, mit der sie selbst im Clinch liegt, erinnert stark an jene Enthüllung Seymour Hershs in der Februar-2007-Ausgabe der Zeitschrift New Yorker. Unter der Überschrift "The Redirection" berichtete der Pulitzerpreisträger, als Reaktion auf den Sieg der Hisb Allah beim einmonatigen, sogenannten Libanonkrieg 2006 gegen Israel, hätten der damalige US-Vizepräsident Dick Cheney und der Nationale Sicherheitsberater in Riad, Prinz Bandar Bin Sultan Bin Abdul Asis, beschlossen, 400 Millionen Dollar in die geheimdienstliche Unterstützung sunnitischer Extremistengruppen aus dem Dunstkreis von Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" zu investieren, um den wachsenden Einfluß des Irans im Nahen Osten zurückzudrängen.

Vor diesem Hintergrund könnte M. K. Bhadrakumar mit seiner Analyse der Spannungen zwischen Riad und Teheran richtig liegen. In einem Artikel, der am 21. Oktober unter der Überschrift "Saudi-Iranian hostility hits boiling point" erschienen ist, äußerte der langjährige indische Diplomat a. D. die Vermutung, die Saudis steckten hinter dem Jundullah-Anschlag auf die iranischen Revolutionsgarden in Sistan-Belutschistan und heizten den Konflikt im Jemen aus Angst ein, die Regierung Barack Obamas und die des Irans seien dabei, den langjährigen "Atomstreit" beizulegen und das Ende der Ära der Konfrontation zwischen ihren beiden Ländern einzuläuten. Würden der Iran und die USA das Kriegsbeil begraben, ginge dies für Saudi-Arabien mit einer drastischen Verringerung seiner strategischen Bedeutung für die Amerikaner einher, weshalb Riad diese Eventualität mit allen Mitteln zu verhindern versuche, so Bhadrakumar. Stimmt diese Einschätzung, so ist mit einem baldigen Ende des Blutvergießens im Jemen nicht zu rechnen.

11. November 2009