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HISTORIE/328: E-Mails aus den USA belasten Blair in Sachen Irak (SB)


E-Mails aus den USA belasten Blair in Sachen Irak

Tony Blair gerät in den Strudel von Hillary Clintons E-Mail-Affäre


Weitere Vorwürfe belasten den mutmaßlicher Kriegsverbrechen bezichtigten Tony Blair. In Verbindung mit den FBI-Ermittlungen gegen Hillary Clinton wegen rechtswidrigen E-Mail-Verkehrs aus ihrer Zeit als US-Außenministerin Barack Obamas sind Dokumente aufgetaucht, die den Verdacht erhärten, Blair habe als britischer Premierminister die Öffentlichkeit über seine Rolle bei der Vorbereitung der angloamerikanischen Invasion des Iraks im März 2003 belogen. Im Vereinigten Königreich reißt bis heute die Kontroverse über die Teilnahme der britischen Streitkräfte am Irakkrieg nicht ab. Eine 2009 ins Leben gerufene Untersuchungskommission, die sich unter der Leitung von Richter John Chilcot mit dem größten außenpolitischen Fehler Londons seit der Suezkrise 1956 befassen sollte und dazu bereits 2011 öffentliche Anhörungen durchführte, hat bis heute noch keinen Abschlußbericht veröffentlicht. Als Grund wird eine Verschleppungsstrategie seitens derjenigen vermutet, die im Abschlußbericht am heftigsten kritisiert werden - allen voran Ex-Premierminister Blair. Nach britischem Recht genießen solche Personen im Vorfeld der Veröffentlichung eines offiziellen Abschlußberichts ein weitgehendes Einsichts- und Einspruchsrecht.

Bei den auf Hillary Clintons Privatrechner gefundenen Dokumenten handelt es sich zum einen um eine geheime Mitteilung des damaligen US-Außenministers Colin Powell an US-Präsident George W. Bush und zum anderen um eine Depesche der amerikanischen Botschaft in London an das State Department in Washington. Beide Schriftstücke, die am 18. Oktober auf der Website der britischen Zeitung Mail on Sunday veröffentlicht und kommentiert wurden, stammen aus den Tagen vor dem zweitägigen Besuch Blairs auf der Privatranch Bushs in Crawford, Texas, Anfang April 2002. In seinem auf den 28. März 2002 datierten Brief berichtet General a. D. Powell dem Oberbefehlshaber Bush jun., Blair werde "in der Irak-Sache mit uns sein, sollten sich militärische Operationen als notwendig erweisen".

Laut Powell sei Blair schon damals von zwei Dingen überzeugt gewesen: erstens, daß die vom Irak ausgehende "Bedrohung" "echt" sei, und zweitens, daß ein "Erfolg gegen Saddam Hussein weitere Erfolge in der Region mit sich bringen" werde (beide Annahmen sollten sich bekanntlich auf spektakuläre Weise als Trugschluß erweisen). Des weiteren lobte Powell Blair als jemanden, der der Bush-Regierung entscheidend helfen könnte, öffentliche Einsicht in die vermeintliche Notwendigkeit einer militärischen Lösung des Problems Saddam Hussein zu erzeugen, insbesondere wenn diese ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats erfolgen sollte. Auch wenn die Zahl der Skeptiker in Großbritannien bis zum Schluß hoch geblieben ist, hat sich Blair dennoch allergrößte Mühe gegeben, den Erwartungen Powells und Bushs gerecht zu werden.

Im September 2002 veröffentlichte die 10 Downing Street ein Dossier, in dem es hieß, mit Biowaffen bestückte Scud-Raketen im Westen des Iraks könnten "innerhalb von 45 Minuten" nach Erhalt eines entsprechenden Befehls aus Bagdad auf britische Militärstützpunkte auf Zypern abgefeuert werden und stellten somit für das Vereinigte Königreich eine akute Bedrohung der nationalen Sicherheit dar (die spektakuläre Behauptung stellte sich nach dem Irak-Einmarsch als Hirngespinst heraus). Durch seinen vorgetäuschten Einsatz für eine "diplomatische Lösung" führte Blair monatelang Millionen gutgläubige Menschen über die wahren Kriegsabsichten der Bush-Administration in die Irre. Am 18. März 2003 gelang es ihm, gegen den Willen weiter Teile der eigenen Labour-Partei, dafür mit den Stimmen der oppositionellen Konservativen, eine parlamentarische Mehrheit für eine Kriegsteilnahme Großbritanniens zu erwirken. Am darauffolgenden Tag überschritten mehr als 100.000 amerikanische und britische Soldaten, die in den vergangenen Monaten in Kuwait und Saudi-Arabien zusammengezogen worden waren, die irakische Grenze.

Bis heute wehrt sich Blair gegen den Vorwurf, beim berühmten Gipfeltreffen in Crawford Bush gegenüber einen "Blutschwur" abgegeben zu haben. In den eigenen Memoiren sowie beim Auftritt vor der Chilcot-Untersuchungskommission tat der frühere Vorsitzende der britischen Sozialdemokraten die These, er habe bereits ein Jahr vor Beginn des Irakkrieges Bush seine Bereitschaft zur Teilnahme signalisiert, als "Mythos" ab. Dagegen sprechen zum Beispiel die Angaben des damaligen britischen Botschafters in Washington, Sir Christopher Meyer, der sich zum fraglichen Zeitpunkt ebenfalls in Crawford aufhielt, wonach Blair an jenem Wochenende in Texas bezüglich des Irak Saddam Husseins auf die "Regimewechel"-Linie von Bush und den US-Neokonservativen endgültig eingeschwenkt sei. In Großbritallen erhalten diejenigen, die seit Jahren eine Auslieferung Blairs an das Internationale Kriegsverbrechertribunal in den Haag fordern, durch die Veröffentlichung der Dokumente, die sich auf Hillary Clintons privatem Computer befanden, neuen Aufwind.

21. Oktober 2015


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