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HISTORIE/308: Intrigierte die Bush-Regierung gegen Gordon Brown? (SB)


Intrigierte die Bush-Regierung gegen Gordon Brown?

Washington soll sich in die Nachfolgeschaft Blairs eingemischt haben


Mit dem Sieg der Konservativen unter David Cameron bei den britischen Unterhauswahlen im vergangenen Mai und ihrer anschließenden Bildung einer Koalitionsregierung mit den Liberaldemokraten um Nick Clegg ist die Ära von "New" Labour zu Ende gegangen. Seitdem läuft die Aufarbeitung der dreizehnjährigen Regentschaft des "Triumvirats" aus Tony Blair, Gordon Brown und Peter Mandelson auf Hochtouren. Anfang Juli erschienen die Memoiren Mandelsons, des zweimaliger Ministers, EU-Handelskommissars und Strippenziehers extraordinaire der Blair-Brown-Jahre unter der Überschrift "The Third Man". Ab dem 1. September stehen Blairs mit Spannung erwarteten Memoiren unter dem Titel "A Journey" in den Bücherregalen.

Wegen der noch anhaltenden öffentlichen Kontroverse um die Teilnahme Großbritanniens an der Irakinvasion der USA im März 2003 wird Blair die PR-Auftritte im eigenen Land auf eine Signierstunde am 8. September in der Londoner Picadilly Dependence der Buchladenkette Waterstones und ein Fernsehinterview mit dem Reporter Andrew Marr, das am Abend des 1. September beim staatlichen Fernsehsender BBC2 ausgestrahlt wird, beschränken. Schließlich steht der ehemalige Premierminister im Verdacht, bei der Begründung für den Irakeinmarsch das Volk, das Parlament und Teile des eigenen Kabinetts belogen und die Existenz von Massenvernichtungswaffen in den Händen der irakischen Streitkräfte sowie von Verbindungen Saddam Husseins zum Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens postuliert zu haben, auf die seine eigenen Geheimdienste keine Hinweise hatten. Bei der laufenden Untersuchungskommission unter der Leitung von Richter Sir John Chilcot hat eine Reihe ehemaliger ranghoher Staatsbediensteter, darunter die ehemalige MI5-Chefin Baronin Elizabeth Manningham-Buller und der frühere Nahost-Referent bei der britischen Delegation bei den Vereinten Nationen in New York, Carne Ross, Blair schwer belastet. Presseberichten zufolge liegen der Chilcot-Untersuchungskommission sogar Notizen des früheren Premierministers vor, die zwar zur Veröffentlichung noch nicht freigegeben worden sind, aus denen jedoch klar hervorgeht, daß der britische Regierungschef bereits im Frühjahr 2002 dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush eine feste Zusage hinsichtlich einer Teilnahme der britischen Streitkräfte am geplanten Anti-Saddam-Feldzug Washingtons machte.

Die Enthüllungen aus der Chilcot Inquiry und die Tatsache, daß der heutige Sonderbeauftragte des Nahost-Quartetts kurz nach der Veröffentlichung seiner Memoiren in Großbritannien zu einer großangelegten PR-Reise in die USA aufzubrechen beabsichtigt, tragen zur Zementierung des Bilds von Blair als Handlanger der Amerikaner bei. Ein am 29. August in der konservativen Zeitung Sunday Telegraph veröffentlichter Bericht mit dem Titel "How Bush and Blair plotted in secret to stop Brown" läßt das wahre Ausmaß, in dem der damalige Premierminister Großbritanniens bereit war, die Interessen seines Landes denen der USA unterzuordnen, erkennen. In dem Artikel geht es nicht mehr nur um die Gleichschaltung der britischen Außenpolitik mit der der USA, sondern auch um die Einflußnahme Washingtons in der Frage, wer in London die Regierung leitet. Nach Angaben der beiden Telegraph-Journalisten Patrick Hennessy and Andrew Alderson hat Blair auf ausdrücklicken Wunsch der Bush-Regierung den eigenen Rücktritt als Premierminister solange wie möglich hinauszuzögern versucht, um den Einzug Browns in 10 Downing Street zu verhindern.

Als im Mai 1994 der damalige Labour-Chef und Oppositionsführer John Smith überraschend an einem Herzinfarkt starb, einigten sich Blair und Brown, damals die beiden aussichtsreichsten Bewerber um die Nachfolgeschaft, bei einem inzwischen legendären Treffen im Restaurant Granita im Londoner Stadtteil Islington auf einen Kuhhandel. Bei der Wahl des neuen Labour-Vorsitzenden würde es zu keiner Kampfabstimmung kommen; Brown, der Mann der Gewerkschaften, würde Blair, dem "Modernisierer", freiwillig das Feld räumen. Doch im Gegenzug würde Blair irgendwann nach dem zu erwartenden Sieg bei den Unterhauswahlen freiwillig als Premierminister zurücktreten und Brown den Posten überlassen.

Drei Jahre später errangen die britischen Sozialdemokraten den erwarteten erdrutschartigen Sieg gegen die nach 18 Jahren unter Margaret Thatcher und John Major ausgelaugten Konservativen. Blair zog als Premierminister in Downing-Street-Nummer-zehn ein und Brown als sein Schatzmeister gleich nebenan in die elf. Im Frühjahr 2001 gewann die Labour Party erneut die Unterhauswahlen. Allmählich wurde Brown ungeduldig und drang auf Einhaltung der Granita-Abmachung. 2003 willigte Blair laut Angaben des britischen Hauptstadt-Korrespondenten Adam Boulton ein, vor den nächsten Wahlen das Amt des Premierministers an Brown zu übergeben - nur um zwei Jahr später einen Rückzieher zu machen. Im Frühjahr 2006 gewann Labour trotz der zunehmenden Unbeliebtheit von Blair erstmals in ihrer Geschichte die Unterhauswahlen zum drittenmal hintereinander. Nach dieser großartigen Leistung war geplant, daß Blair den Stab an Brown weitergibt.

Doch wie die beiden Telegraph-Journalisten Hennessy und Alderson berichten, gab es mit dieser Planung ein großes Problem - auf Seiten der Bush-Regierung. Demnach war es nach der Wiederwahl Bushs im November 2004 und der Beförderung Condoleezza Rices im Januar 2005 von der Nationalen Sicherheitsberaterin zur Secretary of State zu einem für sie "ungemütlichen" Treffen zwischen ihr und Brown in Washington gekommen, in dessen Verlauf der britische Finanzminister offenbar einige sehr kritische Worte über die Außenpolitik Washingtons, insbesondere was die Schulden- und Entwicklungsfrage in Afrika betrifft, fallen ließ. Als der Engländer Blair dann im Sommer 2006 die USA besuchte, setzte ihm das Weiße Haus über die - aus der Sicht Washingtons - fehlende Eignung seines langjährigen schottischen Weggefährten für den Posten des britischen Regierungschefs in Kenntnis.

Aufgrund der Warnungen, die man ihm in der US-Hauptstadt mit auf den Weg gegeben hat, ist Blair von seiner angeblich letzten Reise als Premierminister in die USA als Mann zurückgekehrt, dem jeder Gedanke an einem Rücktritt fernlag. Wenige Tage nach der Ankunft in London kündigte Blair an, mindestens bis 2008 im Amt bleiben zu wollen. Laut Hennessy und Alderson wollte Blair die darauffolgenden zwei Jahre nutzen, um in der Öffentlichkeit und innerhalb der Labour-Partei den damaligen Umweltminister David Miliband als Nachfolger aufzubauen und damit Brown komplett zu übergehen. Doch wegen seiner Haltung in Bezug auf den Libanon-Krieg, zu dessen Beginn im Sommer 2006 er sich hinter Bush jun. gestellt und mit ihm die Anregung vieler Politiker in Europa, dem Nahen Osten und der restlichen Welt zurückgewiesen hatte, Israel zu einer Beendigung seiner massiven Luftangriffe auf das nördliche Nachbarland aufzufordern, kam es zu einer "Revolte" innerhalb des britischen Kabinetts. Beim Parteitag im Herbst desselben Jahres mußte Blair ankündigen, innerhalb von zwölf Monaten würde er zugunsten Browns als Premierminister und Parteivorsitzender zurücktreten.

Im Juni 2007, nach zehn Jahren als Schatzmeister, wurde Brown endlich britischer Premierminister (David Miliband wurde Außenminister und wird dieser Tage als künftiger Labour-Chef gehandelt). Die Beziehungen zwischen den Regierungschefs der USA und Großbritanniens wurden sachlicher. Mit dem von Bush gepflegten "Kumpeltum" wollte Brown nichts zu tun haben. Als Brown zum Beispiel im Juli 2007 den Landsitz des US-Präsidenten in Camp David, Maryland, besuchte, behielt er seinen Dienstanzug an und trug nicht Jeans und Pulli wie einst Blair. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz sprach er Bush mit "Herr Präsident" und nicht mit "George" an. Dadurch wurden ihm auch Peinlichkeiten wie jene berüchtigte Episode erspart, als der Texaner Bush auf dem G8-Gipfeltreffen im Juli 2006 im russischen St. Petersburg den britischen Premierminister herablassend mit "Yo, Blair" begrüßte.

29. August 2010