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HISTORIE/298: Irakkriegslügen der Blair-Regierung entlarvt (SB)


Irakkriegslügen der Blair-Regierung entlarvt

Entstehung des "dodgy Dossiers" deutet auf Kriegsverbrechen hin


Zweifelsohne wird die Beteiligung Großbritanniens an der Irak-Invasion der USA im März 2003 für immer ein großes Schatten über die politische Karriere Tony Blairs werfen. Als im Frühjahr 2002 dem Premierminister Großbritanniens klar wurde, daß die Administration von US-Präsident George W. Bush die Anschläge vom 11. September 2001 zum Vorwand zu nehmen beabsichtigte, um mit dem irakischen Präsidenten Saddam Hussein abzurechnen, hat er sich zur Teilnahme der britischen Streitkräfte an dem dubiosen Unternehmen entschieden. Die umstrittene Entscheidung stellt den damals noch populären Blair, der seit 1997 sein Land mit einigem Erfolg regierte, vor ein gewaltiges Problem. Die große Mehrheit der Briten lehnte einen Krieg gegen Saddam Husseins Irak, den sie nach der schweren Niederlage bei der Operation Wüstensturm 1991 und zwölf Jahren tiefgreifender Wirtschaftssanktionen für keine ernsthafte Bedrohung hielten, ab. Die verzweifelten Bemühungen des Premierministers, seiner Kabinettskollegen und ihrer Mitarbeiter ein plausibles Szenario zu entwerfen und zu verkaufen, das einen militärischen Überfall auf ein anderes Land und den Sturz dessen Regierung legitimierte, haben Blairs Ruf ruiniert und den Glauben von Millionen von Briten am politischen System ihres Staates schwer erschüttert. Bis heute dauert in Großbritannien der Streit um dieses Thema an, wie die jüngste Veröffentlichung neuer, einst geheimer Staatsdokumente aus der fraglichen Zeit zeigt.

Für September 2002 hatte die Bush-Regierung den Auftakt der großen Anti-Saddam-Propagandakampagne angesetzt. Im Mittelpunkt sollen die Verbindungen des irakischen Präsidenten zum Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens, des mutmaßlichen Anstifters der Flugzeuganschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington ein Jahr zuvor, und die "Massenvernichtungswaffen" Bagdads im Mittelpunkt stehen. Da weder die Verbindungen Saddam-Osama und die irakischen ABC-Waffen existierten, mußte um so mehr medienmanipulativ nachgeholfen werden. US-Vizepräsident Dick Cheney gab bei jeder Gelegenheit seine Überzeugung kund, Mohammed Atta, der Anführer der 19 mutmaßlichen Flugzeugattentäter vom 11. September, hätte sich im Vorfeld der Schreckenstat mit Vertretern des irakischen Geheimdienstes in Prag getroffen. Bush sprach von den "nuklearen Mudschaheddin", die angeblich in irgendwelchen geheimen Labors im Irak Atombomben für Saddam Hussein bauten. Die Nationale Sicherheitsberaterin der USA, Condoleezza Rice warnte eindringlich davor, man dürfe nicht warten, bis aus "dem rauchenden Colt" - gemeint waren die spärlichen, kaum vorhandenen Hinweise auf illegale Waffenentwicklung im Irak - eine "Pilzwolke" über eine amerikanische Großstadt werde.

Bei soviel verbaler Aufrüstung auf der anderen Seite des Atlantiks wollten Blair, sein Stabschef Jonathan Powell, sein Pressesprecher Alastair Campbell, Außenminister Jack Straw und Verteidigungsminister Geoff Hoon den amerikanischen Amtskollegen nicht nachstehen. Ihre Idee einer vom Irak ausgehenden Bedrohung der nationalen Sicherheit Großbritanniens und damit eines legitimen Kriegsgrunds wurde am 24. September 2002 in Form eines offiziellen Dossiers der Öffentlichkeit präsentiert. Demnach verfügten die britischen Geheimdienste über Erkenntnisse, wonach Saddam Husseins Streitkräfte chemische Kampfstoffe und ballistische Raketen mit ausreichender Reichweite besaßen, mit denen sie innerhalb von 45 Minuten nach Erhalt eines entsprechenden Befehls aus Bagdad vom Westen des Iraks aus britische Stützpunkte auf Zypern beschießen könnten.

Bereits damals haben die meisten Menschen begriffen, daß dieses Szenario an den Haaren herbeizogen war. Daß diejenige, welche das Szenario selbst entwarfen, dies selbst wußten, geht aus dem am 12. März freigegebenen Dokumente über die Arbeiten am sogenannten "dodgy" - heißt "windigen" - Dossier eindeutig hervor. In diversen Mitteilungen führender Vertreter der britischen Geheimdienste unter anderem an Powell und Straw läßt sich nachlesen, daß erstere große Zweifel an den "Erkenntnissen" hatten, mit denen sie selbst besagtes Dossier ausstaffieren sollten. Bezogen auf die Techniker und Wissenschaftler, die angeblich eine irakische Atombombe bauten, fragte ein Ministerialbeamter mit Sinne für Humor in einer Mitteilung nach deren Identität: "Dr. Frankenstein vielleicht?" Auf der höchsten politischen Ebene war man für solche Späße nicht zu haben. Aus den Dokumenten entnimmt man, daß die oberste Priorität der Blair-Regierung damals darin bestand, dem Dossier irgendwelche packenden Grafiken oder Bilder beizusteuern, die nach der Veröffentlichung an die Hinterwand des Fernsehstudios des Nachrichtensenders Sky News projiziert werden konnten.

Auch wenn den ganzen durchsichtigen Machenschaften Londons eine gewisse unfreillige Komik anhaftet, ist das Erfinden einer Begründung für einen illegalen Angriffskrieg eigentlich kein Anlaß zur Heiterkeit. Schließlich mußten Hunderttausende Iraker und mehrere Tausend amerikanischer und britischer Soldaten die selbstherrliche Entscheidung Bushs und Blairs zum Einmarsch in das Zweistromland und zum "Regimewechsel" in Bagdad mit dem Leben bezahlen.

Daß Blair wußte, daß er bereits in der propagandistischen Vorbereitung der Irakinvasion Kriegsverbrechen beging, läßt sich am Schicksal David Kellys erkennen. Kaum hatte der ehemalige UN-Waffeninspekteur im Mai 2003 dem BBC-Reporter Andrew Gilligan eröffnet, daß die Geheimdiensterkenntnisse über die vom Irak angeblich ausgehende Bedrohung vorsätzlich "aufgebauscht" worden waren, da wurde Großbritanniens führender Chemiewaffenexperte am 18. Juli in einem Waldstück nahe seiner Wohnung im Südengland tot aufgefunden. Gegen die offizielle Todeursache - Selbstmord - sprechen viele Indizien, nicht nur was den Zustand der Leiche und den Fundort betrifft. Als die spektakuläre Nachricht vom plötzlichen Ableben Kellys um die Welt ging, schloß Blair einen Staatsbesuch in Japan gerade ab. Auf dem Rückflug nach Großbritannien will ein Mitglied des mitreisenden Pressekorps gehört haben, wie Pressesprecher Campbell den sichtlich niedergeschmetterten Premierminister mit folgenden Worten anherrschte: "Das ist was Du gewollt hast. Du hast darum gebeten, also spiele jetzt mit Tony." [1]

14. März 2009

1. Rowena Kelly, "The David Kelly 'Dead in the Wood' PSYOP", Global Research, 20. Oktober 2006