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ASIEN/860: Südkoreas Präsident Moon setzt auf Entspannungspolitik (SB)


Südkoreas Präsident Moon setzt auf Entspannungspolitik

Seoul will sich in der Krise um Nordkorea wieder Gehör verschaffen


Seit Wochen nun dauert die diplomatische Krise um das Atom- und Raketenprogramm Nordkoreas an. Millionen von Menschen in Südkorea müssen erleben, wie mit ihren Leben als Verhandlungsmasse gespielt wird, während über ihre Köpfe hinweg sich die Streithähne in Pjöngjang und Washington mit den schrecklichsten Kriegsszenarien gegenseitig einzuschüchtern versuchen. Um dem völlig unverantwortlichen Treiben der Amerikaner und Nordkoreaner ein Ende zu bereiten, haben die Südkoreaner mit überwältigender Mehrheit am 9. Mai den linksliberalen Moon Jae-in zum neuen Präsidenten gewählt. Moon will die "Sonnenscheinpolitik" seiner früheren Vorgänger Kim Dae-jung und Roh Moo-hyun neu beleben, die, gebe man ihr eine Chance, auf Wandel durch Annäherung à la Willy Brandt und Egon Bahr zwischen Seoul und Pjöngjang hinausliefe. Man darf gespannt sein, ob beim dritten Anlauf Südkoreas Bemühungen um Entspannung auf der koreanischen Halbinsel von Erfolg gekrönt oder durch Provokationen der USA erneut sabotiert werden.

In den letzten drei Monaten haben mehrere Vertreter der neuen republikanischen US-Regierung - Vizepräsident Mike Pence, Außenminister Rex Tillerson, Verteidigungsminister James Mattis und CIA-Chef Mike Pompeo - Stippvisiten in Seoul dazu genutzt, um über den 38. Breitengrad hinweg den Nordkoreanern Kriegsdrohungen entgegenzuschleudern. Die Amerikaner haben sich regelrecht wie Kolonialherren aufgeführt. Schließlich war die südkoreanischen Politik selbst gelähmt. Gegen die konservative Präsidentin Park Geun-hye lief seit Dezember wegen Korruption ein Amtsenthebungsverfahren. Wegen der brisanten Angelegenheit mußte die Tochter des früheren Diktators Park Chung-hee Mitte März als Staatsoberhaupt zurücktreten. Ende März wurde sie verhaftet und Anklage gegen sie erhoben.

In dieser Zeit hat Washington ohne nennenswerte Rücksprache mit Seoul die Konfrontation mit Pjöngjang gesucht und in einem für Ostasien bisher beispiellosen Ausmaß Säbelrasseln betrieben. Seit dem Amtsantritt Donald Trumps als US-Präsident Ende Januar residiert kein US-Botschafter in der südkoreanischen Hauptstadt. Das State Department in Washington hat es bislang versäumt, einen Nachfolger für den im Februar ausgeschiedenen Mark Lippert zu ernennen. Dessen ungeachtet hat Trump im Februar im Weißen Haus mit dem japanischen Premierminister Shinzo Abe und im April auf seiner luxuriösem Golf-Anlage Mar-a-Lago in Florida mit dem chinesischen Präsident Xi Jinping die Nordkorea-Problematik eingehend erörtert. Als US-Außenamtschef Tillerson im März in Seoul weilte und dort "das Ende der strategischen Geduld" Washingtons gegenüber Pjöngjang proklamierte, hielt er es nicht einmal für nötig, dem geschäftsführenden Präsidenten Südkoreas, Hwang Kyo-ahn, einen Besuch abzustatten.

Darüber hinaus haben die Amerikaner die politische Lähmung Seouls dazu genutzt, um schnell wichtige Komponenten - mobile Radaranlagen und Raketenbatterien - ihres umstrittenen Raketenabwehrsystems namens Theater High-Altitude Area Defense (THAAD) nahe der Grenze zu Nordkorea zu installieren. Gegen die Präsenz von THAAD auf der koreanischen Halbinsel - und damit nur einige hundert Kilometer Luftlinie von Peking entfernt - läuft die Regierung der Volksrepublik China Sturm. Zu Recht befürchtet sie, daß sich das System weniger gegen nordkoreanische Kurz- und Mittelstreckenraketen als vielmehr gegen Chinas Interkontinentalraketen richtet, sie um ihre Abschreckungswirkung bringt und damit das Reich der Mitte der akuten Gefahr eines nuklearen Erstschlags seitens des Pentagons aussetzt. Die Chinesen stehen der nuklearen Aufrüstung Nordkoreas inzwischen hoch kritisch gegenüber, denn aus ihrer Sicht spielt Pjöngjang den Militaristen in den USA einfach in die Hände.

Bei der Präsidentenwahl hat das Thema THAAD, einschließlich der selbstherrlichen Art ihrer Installation - an öffentlichen Anhörungen und vorgeschriebenen Prüfungen der Umweltverträglichkeit vorbei - sowie die zahlreichen Proteste dagegen viele Südkoreaner dazu veranlaßt, für Moon Jae-in zu stimmen. Nach dem Wahlsieg hat sich der einstige Stabschef des früheren Präsidenten Roh für eine friedliche Beilegung der Korea-Krise ausgesprochen und zu einem Treffen mit dem Staatsratsvorsitzenden des kommunistischen Nordkoreas, Kim Jong-un, bereiterklärt. Moon hat sich im Wahlkampf dafür stark gemacht, den nordkoreanischen Industriepark Kaesong, der 2002 nahe der Grenze zu Südkorea auf Betreiben Kim Dae-jungs eröffnet wurde, zu reaktivieren. Dort hatten zuletzt südkoreanische Unternehmen im großen Stil produzieren lassen. Das devisenarme Nordkorea hatte von Kaesong jährliche Einnahmen in Höhe von 100 Millionen Dollar zu verzeichnen. Als Reaktion auf den nordkoreanischen Test einer Wasserstoffbombe im Januar 2016 hat Seoul sämtliche südkoreanische Firmen und ihre Mitarbeiter dort abgezogen.

Auch Trump hat immer wieder eine prinzipielle Bereitschaft, sich mit Kim Jong-un an einen Tisch zu setzen, verkündet. Ob ihm die außenpolitische Elite in Washington einen solchen Schritt erlaubt, ist jedoch zweifelhaft. Aus ihrer Sicht würde eine solche Begegnung das nordkoreanische "Regime", das man seit Jahrzehnten durch diplomatische und wirtschaftliche Isolation zu stürzen versucht, außenpolitisch aufwerten und innenpolitisch stabilisieren. Dessen ungeachtet berichten südkoreanische und japanische Medien von informellen Annäherungsgesprächen zwischen Pjöngjang und Washington. Demnach haben sich vor kurzem Choe Son-hui, Leiter des Nordamerika-Büros im nordkoreanischen Außenministerium, und Robert Einhorn, der zuletzt unter der Regierung Barack Obamas im State Department als Sonderberater in Fragen Rüstungskontrolle und Nicht-Proliferation arbeitete, in der norwegischen Hauptstadt Oslo zu diesem Zweck getroffen.

Gleichzeitig drängt China die nordkoreanischen Verbündeten massiv zum Einlenken. Als Zeichen des Mißfallens hat die Volksrepublik vor Wochen erstmals den Import nordkoreanischer Kohle gestoppt. Einem im April erschienenen Bericht der Korea Times aus Seoul zufolge, die sich auf die taiwanesische Central News Agency bezog, hätten bei Geheimgesprächen Vertreter der nordkoreanischen Regierung gegenüber den chinesischen Kollegen drei Jahre verlangt, um Pjöngjangs Atomprogramm einzustellen. Dagegen sollen die Chinesen unter Hinweis auf die laufenden Kriegsvorbereitungen der USA erklärt haben, die notwendigen Abrüstungsschritte müßten innerhalb von drei Monaten vollbracht werden. Im Gegenzug sollte Nordkorea eine Sicherheitsgarantie von China und von den USA eine formelle Nicht-Angriffserklärung erhalten, so die Korea Times. Daß China Nordkorea nicht gänzlich fallen läßt, dafür jedoch eine Öffnung des Landes erwartet, zeigt die Einladung an Pjöngjang, eine Delegation zum großen Seidenstraße-Gipfel, der am 14. und 15. Mai in Peking stattfindet, zu entsenden. Man kann davon ausgehen, daß bei der Konferenz über wirtschaftliche Zusammenarbeit und Infrastrukturausbau ranghohe Diplomaten aus Nord- und Südkorea die Möglichkeit einer baldigen Begegnung zwischen Kim Jong-un und Moon Jae-in ausloten werden.

12. Mai 2017


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