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ASIEN/856: Nordkorea bringt den Verbündeten China gegen sich auf (SB)


Nordkorea bringt den Verbündeten China gegen sich auf

Kim Jong-uns Eigenmächtigkeiten werden Peking langsam zu viel


Nach dem jüngsten Test einer ballistischen Mittelstreckenrakete Nordkoreas und dem Attentat auf Kim Jong-nam, den Halbbruder des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un, in Malaysia tut sich eine Kluft zwischen Peking und Pjöngjang auf. Die Führung Chinas, die auf der globalen Ebene verstärkt die Supermachtsrolle für das Land beansprucht, ist durch die Eigenmächtigkeiten des kommunistischen Nordkoreas in Verlegenheit gebracht worden. Der chinesische Präsident Xi Jinping sieht seine Autorität durch den inoffiziellen Vasallen Kim in Frage gestellt. Die Majestätsbeleidigung kann er nicht ungestraft durchgehen lassen.

Die Nordkoreaner hatten, nachdem sie im Januar 2016 einen vierten Atomtest und im April desselben Jahres den ersten erfolgreichen Start einer U-Boot-gestützten ballistischen Rakete durchführten, der Regierung von US-Präsident Barack Obama ein vernünftiges Angebot gemacht. Demnach war Pjöngjang zum Verzicht auf weitere Atomtests bereit, sofern ihrerseits die USA und Südkorea keine großangelegten Militärmanöver mehr abhielten. Solche Kriegsspiele stellen für Nordkorea eine ernsthafte Bedrohung dar, denn man kann niemals wissen, ob nicht aus der Großmobilisierung plötzlich eine echte Militäroffensive wird. Schließlich herrscht auf der koreanischen Halbinsel lediglich ein Waffenstillstand. Wegen der Weigerung Washingtons, mit Pjöngjang einen Friedensvertrag abzuschließen, könnte der Koreakrieg, der von 1950 bis 1953 tobte und Millionen von Menschen das Leben kostete, jederzeit wieder aufflammen. Die Tatsache, daß sich die Verantwortlichen im Pentagon gemäß der eigener Planung für den Ernstfall namens OPLAN 5015 vorbehalten, Nordkorea präemptiv anzugreifen, trägt zusätzlich zur Instabilität in Ostasien bei.

Damals hat Obama den Vorstoß Pjöngjangs als nicht ernst gemeint zurückgewiesen. Nichtsdestotrotz haben die Chinesen nicht aufgehört, Washington dazu zu drängen, bilaterale Gespräche mit Pjöngjang aufzunehmen, um den Konflikt zwischen Nordkorea und den USA endlich beizulegen. Durch den Sieg des Republikaners Donald Trump über die Demokratin Hillary Clinton bei der US-Präsidentenwahl im November hat man sich in Peking berechtigte Hoffnung auf Fortschritte im problematischen Verhältnis zwischen den USA und Nordkorea gemacht. Ungeachtet seiner sonst aggressiven Tonart hatte sich Trump, der sich für den Weltmeister des Deals hält, im Wahlkampf für die Idee, sich mit Kim Jong-un an einen Tisch zu setzen, offen gezeigt.

Auch nach dem erstmaligen Test der nordkoreanischen Mittelstreckenrakete vom Typ Pukguksong-2, die festen Treibstoff verbrennt, auf ein lastwagenähnliches Fahrzeug montiert wird und mit einem Nuklearsprengkopf bestückt werden kann, am 12. Februar bereiteten die entsprechenden Stellen in Peking, Pjöngjang und Washington die Aufnahme informeller Gespräche vor, welche eine erste Entspannung ermöglicht hätten. Seit Wochen war auf beiden Seiten des Pazifiks darauf hin gearbeitet worden, daß sich Anfang März in New York unter der Schirmherrschaft des National Committee on American Foreign Policy eine nordkoreanische Delegation mit ehemaligen Ostasien-Fachleuten der US-Regierung trifft, um über Wege hin zu einer Annäherung zu diskutieren. Ziel war, daß auf die "back channel"-Diplomatie, sofern sie positiv verliefe, die Aufnahme formeller bilateraler Verhandlungen folgen sollte.

Der vorsichtige diplomatische Vorstoß hat zwar die Aufregung um den jüngsten nordkoreanischen Raketentest, nicht aber die Kontroverse um die Ermordung von Kim Jong-nam verkraftet. Am 18. Februar hat China ein Importverbot für nordkoreanische Kohle - eins der wichtigsten Exportgüter des armen Nachbarlandes - verhängt. Am 25. Februar hat die Trump-Administration die Visa für die Mitglieder der nordkoreanischen Delegation gestrichen und damit das geplante Treffen in New York unmöglich gemacht. Anlaß der Entscheidung war die Erklärung der malaysischen Polizei, Kim Jong-nam sei bei dem Überfall am Flughafen von Kuala Lumpur am 13. Februar mittels des hochtoxischen Kampfstoffs VX getötet worden (Am Überfall waren zwei Frauen, eine aus Malaysia und eine aus Indonesien, beteiligt, die nach eigenen Aussagen von nordkoreanischen Hintermännern zur Mitwirkung an einem vermeintlichen Streich à la Versteckte Kamera engagiert worden sein sollen).

Jedenfalls hat die Nachricht vom Chemiewaffeneinsatz der Nordkoreaner zwecks Liquidierung des Halbbruders von Kim Jong-un an einem öffentlichen Ort nicht nur die Politiker im befreundeten Malaysia, sondern auch in China, das seit mehr als siebzig Jahren seine schützende Hand über Nordkorea hält, erzürnt. Während die staatlichen nordkoreanischen Medien die Chinesen bezichtigten, nach der Pfeife der Amerikaner zu tanzen und sich in der Supermacht-Rolle zu gefallen, macht man sich in Peking ernsthaft Gedanken, wie man weiter mit Pjöngjang verfahren soll. Einerseits können die Volkschinesen das "Regime" Kim Jong-uns nicht einfach fallen lassen. Das würde zu Chaos mit Millionen von Flüchtlingen oder zu Krieg mit Millionen von Toten führen. Auch wenn Kims seltsamer Regierungsstil den Amerikanern den Vorwand bieten, in unmittelbarer Nähe zu China eine gigantische Militärmaschinerie samt Raketenabwehrsystem in Stellung zu bringen, möchte Peking nicht auf den Pufferstaat im Norden der koreanischen Halbinsel verzichten. Eine Lösung des Problems Nordkorea kommt für die Führung in Peking der Quadratur eines Kreises gleich und stellt die Möchtegern-Supermacht auf eine harte Probe.

27. Februar 2017


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