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ASIEN/735: US-Truppenabzugsplan für Afghanistan fällt mager aus (SB)


US-Truppenabzugsplan für Afghanistan fällt mager aus

Amerikas Generäle degradieren Präsident Obama zum Befehlsempfänger


Durch die angebliche Tötung Osama Bin Ladens am 1. Mai im pakistanischen Abbottabad ist vor allem in den USA eine enorme Bewegung in die Diskussion um Sinn und Zweck des Krieges in Afghanistan gekommen. Schließlich waren dort die Amerikaner und ihre NATO-Verbündeten im Oktober 2001 einmarschiert, um den mutmaßlichen Auftraggeber der Flugzeuganschläge vom 11. September zur Strecke zu bringen und die Taliban-Regierung seines Schwagers Mullah Muhammed Omar zu stürzen. Fast zehn Jahre danach tobt der Afghanistankrieg auf hohem Niveau, kostet den USA rund 100 Milliarden Dollar im Jahr und immer mehr Zivilisten das Leben. 2010 waren es 2777 einfache Bürger, die bei Überfällen oder Bombenanschlägen der Taliban bzw. Razzien oder Raketenangriffen der NATO-Streitkräfte ums Leben gekommen sind.

In den USA würde eine Mehrheit der wählenden Bevölkerung laut einer am 9. Mai veröffentlichten Umfrage des demoskopischen Instituts Rasmussen entweder sofort oder innerhalb von zwölf Monaten die amerikanischen Soldaten aus Afghanistan abziehen. Wohlwissend um die pessimistische Stimmung im Volk und die eigene Wiederwahl 2012 fest im Blick hatte Präsident Barack Obama 2009 in seinem ersten Jahr als Präsident zwar dem Drängen des Pentagons nachgegeben und die Zahl der in Afghanistan stationierten US-Streitkräfte von rund 30.000 auf mehr als 100.000 erhöht, zugleich von Verteidigungsminister Robert Gates, dem Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, Admiral Michael Mullen, und dem damaligen CENTCOM-Chef und heutigen ISAF-Oberkommandeur, General David Petraeus, das Versprechen abgerungen, im Juli 2011 mit einem umfassenden Truppenabzug beginnen zu können.

In den letzten Monaten schien dieses Ziel immer mehr in Gefahr. Die Eskalationsstrategie von Petraeus hat bislang nicht den militärischen Erfolg gezeitigt, als daß man sagen könnte, der Aufstand der Taliban sowie deren Verbündeten von Gulbuddin Hekmatyars Gruppe Hisb-e-Islami und dem "Netzwerk" um Jallaludin Hakkani und seinen Sohn Sirajuddin wäre niedergerungen und flaue ab. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein, wie der spektakuläre Massenausbruch von mehr als 500 Taliban-Kämpfern aus dem Zentralgefängnis in Kandahar am 24. April und die 30stündige Offensive gegen Regierungsgebäude in der selben Stadt am 7. und 8. Mai demonstrieren.

Weil man von vornherein wußte, daß man die Taliban niemals zur endgültigen Kapitulation würde zwingen können, bestand das Ziel der Petraeus-Strategie lediglich darin, die NATO-Gegner "an den Verhandlungstisch zu bombardieren", das heißt, sie sozusagen soweit zu bringen, daß sie die Zwecklosigkeit ihres Widerstands einsehen und Gespräche mit den USA zwecks Beendigung des Krieges suchen würden - zu den Bedingungen Washingtons, versteht sich. Dahinter steckte der Wunsch der Amerikaner, die Taliban würden am Ende von ihrer Kernforderung, dem Abzug sämtlicher ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan, abrücken und dem Pentagon die Beibehaltung mehrerer Stützpunkte am Hindukusch gestatten. Für ein Einlenken der Taliban in diesem entscheidenden Punkt gibt es bislang nicht den geringsten Hinweis, ungeachtet aller Avancen und Versöhnungssignale des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai und der US-Außenministerin Hillary Clinton.

Vor diesem Hintergrund überrascht ein am 10. Mai erschienener Bericht des Wall Street Journal über die Begrenztheit der Abzugspläne der US-Militärs für Afghanistan wenig. In dem Artikel mit dem Titel "Military Draws Up Afghan Exit Plan" heißt es, der Entwurf der Generalität, den Petraeus in den nächsten Wochen - noch bevor er an die Stelle von Leon Panetta als CIA-Chef tritt und letzterer von Bob Gates den Posten des Verteidigungsministers übernimmt - dem Weißen Haus vorlegen soll, sieht den Abzug von 5000 US-Soldaten im Juli und weiteren 5000 bis Ende des Jahres aus Afghanistan vor. Zusammengerechnet wäre das eine Reduzierung um weniger als 10 Prozent und hätte mit dem von der Obama-Regierung in Aussicht gestellten "substantiellen Abzug" wenig gemein.

Parallel dazu, haben vor wenigen Tagen die Republikaner im Verteidigungsausschuß des Repräsentantenhauses einen Gesetzesentwurf eingebracht, der die am 14. September 2001 vom US-Kongreß an George W. Bush erteilte Ermächtigung zur Bekämpfung und Verfolgung der Verantwortlichen für die Flugzeuganschläge erheblich erweitern und damit den "globalen Antiterrorkrieg" langfristig zementieren soll. Der Gesetzesentwurf, gegen den linke Demokraten und Menschenrechtsgruppen bereits Sturm laufen, "bestätigt", daß "sich die Vereinigten Staaten mit Al Kaida, den Taliban und ihnen verbündeten Kräften in einem bewaffneten Konflikt befinden". Nach dem erfolgreichen Ende der Jagd auf Bin Laden hätten die USA die einzigartige Gelegenheit, mit erhobenem Haupt den Dauerkrieg in Afghanistan zu beenden. Doch ob die Militaristen dies Präsident Obama gestatten, muß sich noch zeigen.

14. Mai 2011