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ASIEN/651: Pakistans Militär hält Tausende ohne Anklage fest (SB)


Pakistans Militär hält Tausende ohne Anklage fest

Washington Post berichtet vom neusten Stand im "Antiterrorkrieg"


In Washington streiten sich seit Monaten die Regierung Barack Obamas und der Kongreß heftig darüber, was man mit den verbliebenen rund 170 Gefangenen in dem umstrittenen Internierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba tun sollte. Gleich nach der Amtseinführung als US-Präsident im Januar 2009 hatte Obama die Schließung des Lagers innerhalb eines Jahres verfügt. Doch die lobenswerte Absicht Obamas, das Ansehen Amerikas in der Welt durch die Entfernung dieses Schandflecks zu verbessern, ließ sich nicht verwirklichen. Die republikanische Opposition im Repräsentantenhaus und Senat, unterstützt von reaktionären Medienkommentatoren besonders im Bereich des Talk Radio, ging auf die Barrikaden mit der Behauptung, die Pläne von Justizminister Eric Holder, Khalid Sheikh Mohammed und die anderen fünf Verdächtigen des Komplotts um die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 vor ein ziviles Gericht in New York zu bringen, stellten eine akute Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA und der amerikanischen Bevölkerung dar.

Um sich des Vorwurfs zu erwehren, "soft on terrorism", das heißt den bösen Terroristen gegenüber zu nachgiebig, zu sein, rücken Weißes Haus und Justizministerium von ihrem ursprünglichen Ansinnen ab. Diejenigen mutmaßlichen "Terroristen", hinsichtlich derer man meint, genügend Beweise gegen sie zu haben, um gegen sie prozessieren zu können, werden wahrscheinlich vor irgendwelchen Militärtribunalen in den USA landen. Nach der Verurteilung sollen solche Personen ihre Freiheitsstrafe in einem Hochsicherheitstrakt in den USA verbüßen. Derzeit ist eine Anlage im Bundesstaat Illinois im Gespräch. Diejenigen, gegen die sich der ursprüngliche Verdacht nicht erhärtet hat, aber die wegen zu erwartender Repressalien in ihren Heimatländern nicht einfach abgeschoben werden können, sollen befreundete Staaten der USA bei sich aufnehmen. Und schließlich sollen diejenigen, die wirklich "böse" sein sollen, aber gegen die man rechtlich nichts in der Hand hat, für immer hinter Gittern bleiben - eventuell im Sondergefängnis auf dem Gelände des US-Militärflughafens Bagram, nahe der afghanischen Hauptstadt Kabul.

Welche gesetzlich zersetzende Wirkung von dem skandalösen Umgang der Behörden der USA, die sich selbst als internationale Wächter und Mahner der Menschenrechte verstehen, mit "illegalen Kombattanten" aus dem sogenannten "globalen Antiterrorkrieg" ausgeht, zeigen mehr als deutlich die Zustände in Pakistan. Dort hält das Militär inzwischen rund zweieinhalbtausend Menschen, die meisten von ihnen seit Beginn der jüngsten Offensive gegen Moslemextremisten in den an Afghanistan angrenzenden Regionen wie Bajaur, Swat und Nordwasiristan, ohne jedwede Anklage gefangen. Über diesen Skandal berichtete am 22. April die Washington Post in dem Artikel "Pakistan holding thousands in indefinite detention, officials say" unter Berufung auf amerikanische und pakistanische Regierungsbeamte sowie Vertreter von humanitären Organisationen wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).

Bei den meisten Gefangenen soll es sich um pakistanische Bürger handeln, doch unter ihnen gibt es angeblich auch Ausländer, Araber, Usbeken und Tschetschenen, die der Mitgliedschaft in Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" verdächtigt werden. Von einigen mutmaßlichen "Aufstandskommandeuren" einmal abgesehen, gelten die meisten Gefangenen als "Fußsoldaten". Egal, welchen Status die Männer in den Augen der pakistanischen Behörden haben, etwas eint sie alle. Seit mehr als einem Jahr hat von ihnen niemand Kontakt zu seiner Familie, zu einem Anwalt oder einem Vertreter einer Menschenrechtsorganisation gehabt. Das pakistanische Militär will nach Angaben seines Sprechers Generalmajor Athar Abbas die Männer nicht freilassen, aus Angst, sie schlössen sich erneut den pakistanischen Taliban an. Gleichzeitig weigert sich das Militär, die Männer den zivilen Gerichten Pakistans zu überantworten, weil die Beweise gegen sie so dürftig sind und die allermeisten von ihn schnell auf freien Fuß kämen.

In dem Post-Artikel beklagt Ali Dayan Hasan, Südasienreferent der New Yorker Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), die Tatsache, daß wegen der mangelnden Dokumentation der pakistanischen Militärbehörden bezüglich der Zahl, des Aufenthaltsorts und der Identität der Gefangenen diese leicht gefoltert und getötet werden könnten (Bereits am 4. April hatte HRW einen Bericht veröffentlicht, in dem Hasan auf der Basis von Interviews mit mehr als 100 Familien im Swat-Tal dem pakistanischen Militär vorwarf, bei besagter Operation dort im letzten Herbst mehr als 300 mutmaßliche Taliban-Sympathisanten außergerichtlich hingerichtet zu haben). Den Umgang der pakistanischen Militärbehörden mit den Inhaftierten aus dem Grenzgebiet zu Afghanistan bezeichnete Hasan gegenüber den Post-Journalisten Griff Witte und Karen DeYoung als "Gesetz des Dschungels" und erklärte: "Wir haben es hier mit einem krassen Verstoß gegen die Menschenrechte und einer sehr schlechten Anti-Terror-Strategie zu tun." Speziell zu letzterem Punkt schreiben Witte und DeYoung folgendes:

US-Beamten geben sich besorgt darüber, daß die Inhaftierungen die pakistanische Öffentlichkeit zu einem Zeitpunkt in Rage versetzen könnten, an dem die Regierung dort für ihre Offensiven die Unterstützung der Bevölkerung braucht. "Sie gehen mit der lokalen Bevölkerung hart um und entfremden sie. Das Ergebnis ist ein klassischer Fall, der an Vietnam erinnert; man erzeugt nur noch mehr Sympathie für die Extremisten", erklärte ein Vertreter der Obama-Regierung, der sich wegen der Brisanz des Themas nur unter der Bedingung der Anonymität äußerte.

Die späte Erkenntnis des Obama-Vertreters verwundert mehr als nur ein bißchen. Im US-Präsidentenwahlkampf 2008 hatte Obama Hoffnungen geweckt, als er erklärte, das Phänomen des "muslimischen Extremismus" in Pakistan könne nur beseitigt werden, wenn man das Problem Kaschmir anpacke, und dies zu tun, seinerseits versprach. Nach dem Wahlsieg über den Republikaner John McCain in November 2008 wurde Richard Holbrooke gleich als Sonderbeauftragter ins Team Obama geholt, damit der frühere Bosnien-Vermittler, der für seine ruppige, knallharte Verhandlungsart bekannt ist, nach dem Regierungswechsel in Washington Islamabad und Neu-Delhi zu einer für beide Seiten akzeptablen Lösung des ewigen Kaschmirkonfliktes zwingen sollte. Als jedoch die Inder, die George W. Bush zu Amerikas bevorzugten Verbündeten in Südasien erhoben hatte, energisch gegen den drohenden Kaschmir-Vorstoß Washingtons Einwände erhoben, verschwanden die Pläne ganz schnell wieder in den Schubladen. Statt dessen hob die Obama-Administration die sogenannte Af-Pak-Strategie, die Ausweitung des Kriegsschauplatzes Afghanistan auf Pakistan, aus der Taufe, verstärkte die CIA-Drohnenangriffe auf Ziele im Grenzgebiet und feuerte die pakistanischen Streitkräfte zu einem rabiaten Vorgehen gegen Talibanziele an. Das Ergebnis ist bekannt. Tausende von Toten und Verletzen, Hunderttausende von Flüchtlingen, zahlreiche zerstörte Dörfer und eine immer stärker werdende Taliban-Bewegung, deren Anhänger inzwischen nach Belieben nicht nur im Grenzgebiet, sondern auch im ganzen Pakistan Bombenanschläge und Überfälle durchführen.

23. April 2010