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ASIEN/640: Angriff auf Kabul dokumentiert Kampfkraft der Taliban (SB)


Angriff auf Kabul dokumentiert Kampfkraft der Taliban

NATO spielt jüngste Militäroperation der Taliban in Kabul herunter


In zunehmendem Maße klaffen die Wirklichkeit des Krieges in Afghanistan und ihre Kolportierung durch Medien und Politik des Westens auseinander. Nichts demonstriert dies besser als die Meldung des in der internationalen Berichterstattung tonangebenden britischen Radiosenders BBC World Service in der Nacht zum 19. Januar über den spektakulären Überfall, den die Taliban am Vormittag des 18. Januar in der afghanischen Hauptstadt durchgeführt hatten. Ohne groß auf die Details der Taliban-Operation einzugehen, berichtete der BBC-Korrespondent von der Zufriedenheit der NATO-Militärs mit den afghanischen Streitkräften, die sich in der Stunde der Not ausgezeichnet und die brenzlige Situation ohne direktes Eingreifen der westlichen Streitkräfte bewältigt haben sollen. Mit dieser positiven Interpretation der Ereignisse - im englischen PR-Jargon redet man von "Spin", das heißt, man gibt einer Geschichte einen für einen selbst hilfreichen "Drall" - wurde die Niederlage, der Beweis des Fehlens jegliche Sicherheit in Kabul, kurzerhand zum Sieg erklärt und die Botschaft in die Welt geschickt, der Ausbau der afghanischen Streitkräfte laufe prima, der Abzug westlicher Truppen sei damit nur eine Frage der Zeit.

Auch wenn sich die Nachrichtenmacher beim BBC World Service nach den Bedürfnissen und Wünschen des Foreign Office und des Ministry of Defence (MoD) in London richten, gelang es ihnen mit ihrer Meldung zum Überfall von Kabul gleichzeitig genau die Linie zu treffen, die der US-Verteidigungsminister Robert Gates am selben Tag auf dem Flug nach Indien gegenüber den mitreisenden Journalisten vertrat. Wie Elizabeth Bumiller am 19. Januar in der New York Times berichtete, hatte der frühere CIA-Chef "zu den Selbstmordanschlägen am Montagvormittag nahe des Präsidentenpalasts [Hamid] Karsais im Zentrum von Kabul wenig zu sagen". Bumiller zitierte den Iran-Contra-Veteran mit der Nullaussage: "Diese sehr sichtbaren Angriffe stellen eine Taktik in diesem Konflikt dar, und es ist sehr schwierig, sie alle zu verhindern."

Bekanntlich wollen die Karsai-Regierung und die NATO-Militärs in Afghanistan versuchen den Aufstand am Hindukusch niederschlagen, indem sie "gemäßigte" Taliban mittels Geld und Amnestie in den politischen Prozeß einbinden, um alle Feuerkraft auf die "Radikalen" um den Taliban-Chef Mullah Muhammed Omar richten und diese auslöschen zu können. Damit jedoch das Zuckerbrot für die einen funktioniert, soll die Peitsche effektvoll gegen die anderen zum Einsatz kommen (Dazu soll die von Barack Obama Anfang Dezember angeordnete Aufstockung der US-Streitkräfte um mehrere zehntausend Soldaten und die in letzter Zeit drastisch zugenommenen Drohnenangriffe auf Rebellenziele entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze dienen). Jener Vorstellung liegt die Vision der Obama-Regierung zugrunde, wie Gates sie den Journalisten im Flugzeug erläuterte und Bumiller sie in der New York Times wiedergab:

Ich wäre sehr überrascht, würden wir eine Versöhnung mit Mullah Omar erleben. Wir sind der Ansicht, daß die Chancen auf eine Versöhnung auf den oberen Ebenen nicht besonders gut stehen, bis die Taliban-Führung eine Änderung der Entwicklung feststellt und anfängt zu merken, daß sie nicht gewinnen werden. ... Wir könnten ein Anwachsen der Reintegration auf der Kommunal-, Bezirks- oder Provinzebene erleben, sobald die Leute unter Druck geraten, feststellen, daß sie nicht gewinnen können und begreifen, daß sie und ihre Familien, wenn sie sich reintegrieren und die Bedingungen der afghanischen Regierung akzeptieren, geschützt werden können.

Das Szenario von Gates klingt nicht besonders plausibel angesichts des Ausmaßes des jüngsten Überfalls der Taliban auf Kabul. An der Operation waren bis zu 20 Mann beteiligt. Zwar starben rund zehn davon, darunter mehrere Selbstmordattentäter, doch die anderen konnten entkommen. Man vermutet, daß sie ohnehin Hilfe von Sympathisanten bei der afghanischen Armee und Polizei erhielten. Bei dem stundenlangen Scharmützel wurde ein Einkaufszentrum in Brand gesetzt und zerstört, ein anderes schwer beschädigt, drei Soldaten und zwei Zivilisten wurden getötet, mehrere Bomben, darunter eine Autobombe, wurden gezündet und Raketen auf die Zentralbank und mehrere Ministerien abgefeuert. Stundenlang herrschte im Zentrum der afghanischen Hauptstadt das absolute Chaos. Und das ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als im Präsidentenpalast Karsai seine neue Regierung vereidigte. Es wundert daher in keiner Weise, daß die Taliban in ihrer Bekennerbotschaft zu dem Überfall die Operation als ihre negative Antwort auf das Versöhnungsangebot Karsais verstanden haben wollten. Die Taliban sehen sich nicht ganz zu Unrecht auf der Siegerstraße. An diesem Umstand werden die PR-Tricks der NATO-Propagandaabteilungen und die ihnen befreundeten Journalisten im Westen wenig ändern.

19. Januar 2010