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ASIEN/625: Obamas neue Af-Pak-Strategie eine Totgeburt? (SB)


Obamas neue Af-Pak-Strategie eine Totgeburt?

Amerikaner treten taktischen Rückzug in Teilen Südafghanistans an


Als letztes Jahr im US-Präsidentenwahlkampf Barack Obama mit dem Versprechen, Amerikas Soldaten so rasch wie möglich aus dem Irak abzuziehen, an den beiden Favoriten Hillary Clinton und John McCain in den Umfragen vorbeizog, erklärte der junge demokratische Senator aus Illinois, um sich vor dem Vorwurf, er habe keinen militärischen Sachverstand, zu schützen, als Präsident wolle er jenen "notwendigen Krieg" in Afghanistan forcieren, den die Regierung von George W. Bush wegen des Anti-Saddam-Hussein-Kreuzzugs im Zweistromland aus den Augen verloren habe, weshalb dort die Taliban immer stärker würden. Heute dürfte Obama seine damalige Festlegung auf eine erfolgreiche Beendigung der Operation Enduring Freedom schwer bereuen, denn die einzig verbliebene Supermacht und die um sie konstruierte NATO, die sich noch 1999, vor dem Hintergrund der Bombardierung Jugoslawiens, rühmte, die erfolgreichste Militärallianz der Menschheitsgeschichte zu sein, stehen im Kampf gegen die paschtunischen Stammeskrieger des Hindukuschs, die bereits die Armeen der russischen Zaren, des British Empire und der Sowjetunion aufgerieben und demoralisiert nach Hause geschickt haben, vor einer Niederlage.

Der Oktober 2009 geht mit mehr als 55 Gefallenen als bisher blutigster Monat für die US-Streitkräfte in Afghanistan seit dem Einmarsch vor genau acht Jahren in die Statistiken ein. Allein am 26. Oktober starben 11 Soldaten und drei Zivilbeamte der USA, als drei Hubschrauber abstürzten. In der südlichen Provinz Helmand prallten ein Cobra und ein Huey in der Luft zusammen und zerschellten am Boden, während in der westlichen Provinz Baghdis ein Chinook vom Himmel fiel, nachden er eine Gruppe von Soldaten und Agenten der amerikanischen Drug Enforcement Agency (DEA) aus einem Feuergefecht mit Drogenhändlern herausgeholt hatte. In einer Erklärung behaupteten die Taliban, sie hätte den Chinook abgeschossen. Am 27. Oktober kamen acht US-Soldaten, sieben bei einem Überfall in der südlichen Provinz Kandahar und einer bei der Explosion einer Straßenmine in der Nachbarprovinz Zabul ums Leben.

Am selben Tag meldete die Washington Post den Rücktritt Matthew Hohs, des ranghöchsten Vertreters des US-Außenministeriums in Zabul. Die Nachricht schlug in den USA hohe Wellen, weil Hoh der erste Diplomat seines Landes ist, der aus Protest gegen den Afghanistankrieg zurückgetreten ist, und weil er diesen Schritt trotz Umstimmungsversuchen seiner Vorgesetzten Karl Eikenberry, US-Botschafter in Kabul, und Richard Holbrooke, Obamas Sondergesandter für Afghanistan und Pakistan, vollzogen hat. Hoh, der zwischen 2004 und 2007 als Marineinfanterist im Irak stationiert war, hat im laufenden Streit in Washington um die richtige Af-Pak-Strategie zwischen den Kriegsfalken um Verteidigungsminister Robert Gates, den CENTCOM-Chef General David Petraeus und den ISAF-Oberkommandierenden General Stanley McChrystal auf der einen Seite, die eine kräftige Truppenaufstockung und eine Eskalation des Afghanistankrieges auf Jahre hinaus befürworten, und den Tauben um Vizepräsidenten Joseph Biden und John Kerry, den Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses des Senats, auf der anderen, die für eine Verständigung mit "gemäßigten" Taliban und eine Reduzierung der ausländischen Truppenpräsenz bei verstärktem Einsatz von Drohnenangriffen und Spezialstreitkräften gegen das Al-Kaida-"Netzwerk" eintreten, letzteren den Rücken gestärkt, als er erklärte, nach seinen fünf Monaten in Afghanistan könne er "das strategische Ziel" Amerikas am Hindukusch "nicht mehr begreifen". "Einfach ausgedrückt", könne er "den Wert oder den Zweck weiterer Verluste oder des Einsatzes weiterer Ressourcen der USA bei der Unterstützung der afghanischen Regierung in einem inzwischen seit 35 Jahren andauerenden Bürgerkrieg nicht erkennen", so Hoh.

Weil die Aufständischen in Afghanistan Unterstützung von ihren paschtunischen Stammesverwandten auf der anderen Seite der Grenze in Pakistan erfahren, führt die CIA dort zunehmend Raketenangriffe per Drohne durch, während Washington die Regierung in Islamabad dazu drängt, stärker gegen die Stammeskrieger und islamischen Militanten vorzugehen. Seit fast zwei Wochen führt die pakistanische Armee in der grenznahen Provinz Südwasiristan eine großangelegte Offensive gegen die pakistanischen Taliban um Hakimullah Mehsud durch, die sie ihrerseits mit erbittertem Widerstand vor Ort und diversen Anschlägen in anderen Teilen Pakistan beantworten. An dem Konflikt zwischen denjenigen, die eine Teilnahme Islamabads am Antiterrorkrieg Washingtons gutheißen, und denjenigen, welche den Absichten und dem Durchhaltevermögen der USA mißtrauen und deshalb meinen, man sollte die früheren guten Verbindungen zu den Taliban aufrechterhalten, droht Pakistan regelrecht zu zerbrechen. Wenige Stunden, nachdem am 28. Oktober die US-Außenministerin Hillary Clinton in Islamabad gelandet war, um Präsident Ali Asif Zardari und Premierminister Yousef Raza Gilani wegen ihres Festhaltens an einer Politik, die im eigenen Land höchst unpopulär ist, moralisch zu unterstützen, explodierte auf einem belebten Markt in Zentrum von Peshawar, der Hauptstadt der Nordwestfrontierprovinz (NWFP), eine Bombe, die mehr als 100 Menschen tötete und mehr als 200 schwer verletzt zurückließ. Interessanterweise haben sowohl die pakistanischen Taliban als auch Al Kaida in getrennten Erklärungen bestritten, für den Anschlag auf den Meena-Bazaar verantwortlich gewesen zu sein, und behaupteten, sie würden Bomben weder in Moscheen noch auf Marktplätzen legen.

Anders verhielt es sich bei der spektakulären Aktion, welche die afghanischen Taliban nur Stunden vorher in Kabul durchgeführt hatten. In einer Erklärung ließ Siraj Haqqani, Sohn des legendären Mudschaheddin-Kämpfers Jalaluddin Haqqani und Anführer einer Gruppe, die aus dem pakistanischen Nordwasiristan operiert, die Welt wissen, daß es seine Männer waren, die im Morgengrauen das Gästehaus Bekhtar der Vereinten Nationen überfallen, mehrere Geiseln genommen und das Serena, das einzige Fünf-Sterne-Hotel der Hauptstadt, sowie den Präsidentenpalast mit vereinzelten Raketen beschossen hatten. Mit der Selbstmordoperation, die mindestens zwei Stunden lang die Anwohner des Diplomatenviertels von Kabul in Angst und Schrecken versetzte und fünf UN-Mitarbeitern, drei Attentätern und mehreren Polizisten und Zivilisten das Leben kostete, haben die Taliban nach Angaben Haqqanis den Auftakt ihrer Kampagne gegen die Stichwahl um die afghanische Präsidentschaft zwischen dem Amtsinhaber Hamid Karsai und dem Ex-Außenminister Abdullah Abdullah am 7. November markieren wollen. Der Angriff verdeutlicht, daß man nirgendwo in Afghanistan mehr vor den Taliban sicher ist. In derselben Straße, in der das Mekhtar liegt, wohnt zum Beispiel auch Präsident Karsais Schwester. Berichten zufolge trugen die drei Angreifer nicht nur Sprengstoffgürtel, sondern auch Uniforme der afghanischen Polizei.

Während sich am Hindukusch die Lage deutlich verschärfte, veröffentlichte am 28. Oktober die New York Times zwei Berichte, welche die bereits weit verbreiteten Zweifel an einem für die USA positiven Ausgang der Operation Enduring Freedom verstärkt haben dürften. Unter der Überschrift "Brother of Afghan Leader Is Said to Be on C.I.A. Payroll" schrieben Dexter Filkins, Mark Mazzetti und James Risen, der Präsidentenbruder Ahmed Wali Karsai, der seit längerem der Verwicklung in den Opiumhandel verdächtigt wird, stehe seit acht Jahren auf der Gehaltsliste der CIA, für die er "verschiedene Dienstleistungen" erbringe. Da die CIA ohnehin seit Jahrzehnten im internationalen Drogengeschäft groß mitmischt, überrascht die Nachricht von der angeblichen Verbindung zwischen ihr und dem vermutlich führenden Opiumzwischenhändler Afghanistans mit besten Verbindungen zum Präsidentenpalast keineswegs, sondern erscheint nur logisch. Schließlich arbeitete Hamid Karsai selbst in den neunziger Jahren für die CIA, bis nach dem Sturz der Taliban die Wahl der Bush-Regierung nach einer geeigneten Marionette in Kabul auf ihn fiel.

Die eigentliche Frage zum Komplex Ahmed Wali Karsai und CIA müßte lauten: Wer hat Interesse daran, daß diese Verbindung gerade jetzt publik wird? Aus dem Bericht der New York Times wird man jedenfalls nicht schlau, wer die Quellen für die spektakulären Informationen waren, verweisen doch die Herren Filkins, Mazzetti und Risen lapidar auf "ehemalige und noch Dienst tuende Regierungsbeamte" und einen "Mitarbeiter des Kongresses", die natürlich nicht genannt werden wollten. Trotz der Spannungen zwischen der US-Regierung und Präsident Karsai in den letzten Monaten war es ausgerechnet Obamas Vertrauensmann John Kerry, der am selben Tag Ahmed Wali Karsai vor "Zeitungsberichten und Gerüchten" in Schutz nahm. Kerry erklärte, er frage seit Jahren nach handfesten Beweisen für eine Verwicklung des mächtigsten Politikers der Provinz Kandahar in den Opiumhandel und habe bis dato nichts derartiges vorgelegt bekommen. Die Unzufriedenheit, die Kerry mit der Informationspolitik der CIA auf diese Weise zum Ausdruck brachte, legt den Schluß nahe, daß es sich bei dem NYT-Bericht um einen für Außenstehende nicht leicht zu interpretierenden Warnschuß des Geheimdienstes an die Adresse Obamas handelte.

Der zweite Afghanistan-Artikel war vielleicht weniger spektakulär, dafür jedoch von größerer Tragweite als derjenige zur Hackordnung im afghanischen Drogengeschäft. Unter der Überschrift "U.S. to Protect Populous Afghan Areas, Officials Say" berichteten Thom Shanker, Peter Baker und Helene Cooper vom Stand der laufenden Af-Pak-Strategiedebatte. Demnach sollten sich die US-Streitkräfte in Afghanistan künftig darauf konzentrieren, die zehn größten Städte des Landes zu schützen. Anders ausgedrückt heißt dies, der Krieg um die Kontrolle über die ländlichen Gebiete ist entschieden; die Taliban haben ihn gewonnen (Anfang Oktober hat McChrystal mit der Räumung mehrerer kleinerer, gefährdeter Außenposten in der Provinz Nuristan die ersten Schritte in diese Richtung genommen). Das, was der Obama-Regierung vorschwebt, scheint auf eine Entflechtung der gegnerischen Streitkräfte, wie es nach dem Ende eines jeden Krieges passiert, hinauszulaufen. Möglicherweise geht der Versuch, Ahmed Wali Karsai zu diskreditieren, auf die in der New York Times erwähnte Tatsache zurück, daß er stets eine wichtige Funktion als Verbindungsmann zur Taliban-Führung um Mullah Muhammed Omar innehatte.

Wie man weiß, laufen in den USA die Neokonservativen, angeführt von dem Ex-Vizepräsident Dick Cheney und dem Ex-UN-Botschafter John Bolton Sturm gegen Obamas Überlegungen, die Probleme am Hindukusch mit weniger, statt mehr Waffengewalt anzugehen. Vermutlich, um sich vor deren medialen Angriffen zu schützen, flog Obama in der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober erstmals seit seiner Einführung als US-Präsident zum Luftwaffenstützpunkt Dover, Delaware, um demonstrativ der Heimkehr der 18 in den letzten Tagen in Afghanistan gefallenen US-Soldaten beizuwohnen und deren Familienangehörigen Trost zu spenden. Bereits drei Tage zuvor hatte Obama in Erwiderung des Vorwurfs Cheneys, er "zaudere" in der Afghanistanfrage und lasse damit die Männer und Frauen in Uniform im Stich, in seiner Rede auf dem Marinestützpunkt Jacksonville in Florida erklärt, er werde "die schwere Entscheidung", Amerikas Soldaten "der Lebensgefahr auszusetzen, niemals überhastet treffen". Für die Neocons kommt eine solche Haltung der Kriegsdienstverweigerung gleich.

29. Oktober 2009