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ASIEN/623: Pakistan sieht sich von Indien zunehmend umzingelt (SB)


Pakistan sieht sich von Indien zunehmend umzingelt

Innenminister Malik spricht die Ängste der Pakistaner aus


Durch die zunehmende Fokussierung der USA auf die Aktivitäten von Pro-Taliban-Kräften im Grenzgebiet zu Afghanistan geriet der Staat Pakistan immer mehr aus der Balance. Angetrieben vom Pentagon, gehen die pakistanischen Streitkräfte verstärkt gegen militante Islamisten im eigenen Land vor. Derzeit liefern sich im Stammesgebiet Südwasiristan 30.000 Soldaten und rund 10.000 Mitglieder der pakistanischen Taliban heftige Kämpfe, vor denen Hunderttausende Zivilisten auf der Flucht sind. Doch der Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern der Allianz Islamabads mit Washington tobt im ganzen Land, wie die jüngsten spektakulären Taliban-Überfälle auf das Armee-Hauptquartier in Rawalpindi am 10. Oktober und drei Polizeizentren in Lahore am 22. Oktober sowie der Drohnenangriff der CIA im Grenzgebiet Bajaur, der am 24. Oktober 22 Menschen tötete, zeigen.

Angesichts der zunehmenden Gewalt in Pakistan fragen sich dort viele Menschen, wer für diese bedrohliche Entwicklung verantwortlich ist. Für die meisten Pakistaner tragen die Amerikaner, die sich in Afghanistan übernommen haben und deshalb den Kampf gegen "Al Kaida" nach Pakistan hineintragen zu müssen meinen, die Hauptschuld. Gleich an zweiter Stelle hinter den USA steht deren neuer Verbündeter Indien, dem viele Pakistaner unterstellen, ihr Land soweit destabilisieren zu wollen, bis es an seinen ethnischen und religiösen Widersprüchen zerbricht. Nicht wenige Pakistaner hegen sogar den Verdacht, die Amerikaner verfolgten das gleiche Ziel, um sich des Problems der "islamischen Atombombe" zu entledigen und größere Kontrolle über die Zufahrten zum Persischen Golf einschließlich des strategisch wichtigen Tiefseehafens Gwajar zu erlangen, den die Chinesen derzeit ausbauen, aber den US-Energiekonzerne als Endpunkt einer vom Turkmenistan über Afghanistan und Pakistan ans Arabische Meer laufenden Öl- und Gaspipeline ins Visier genommen haben.

Ein eindrückliches Indiz des in Pakistan gegenüber Indien vorherrschenden Mißtrauens liefern mehrere Erklärungen des pakistanischen Innenministers Rehman Malik, der ein ehemaliger Polizist ist und im eigenen Land den Ruf des pro-westlichen Law-and-Order-Apostels genießt. In Reaktion auf den verheerenden Anschlag, der am 18. Oktober im Iran 42 Teilnehmer eines Treffens zwischen ranghohen Mitgliedern der Revolutionsgarden und schiitischen und sunnitischen Geistlichen tötete und für den die Regierung in Teheran die aus dem pakistanischem Belutschistan heraus operierende Gruppe Jundullah verantwortlich machte, die angeblich von der CIA mit Waffen und Geld versorgt wird, erklärte Malik auf einer Pressekonferenz, daß Indien hinter den separatistischen Umtrieben in der südwestlichen Provinz Pakistans steckt. Bei diesem einen Vorwurf wollte es Malik auch nicht belassen, sondern er erklärte wörtlich: "Wir verfügen über handfeste Beweise nicht nur in Bezug auf Belutschistan, sondern auch dafür, daß Indien in fast jede terroristische Aktivität in Pakistan verwickelt ist." Er beschwerte sich über die ständigen Drohungen aus Neu-Delhi, um zu warnen: "Wir sind ein Atomstaat und nicht schwach. Wir wissen, wie man notfalls Vergeltung verübt."

Bei einem Interview am 26. Oktober mit dem pakistanischen Nachrichtensender Geo TV verstärkte Malik seine Vorwürfe gegenüber den Indern. Erneut behauptet er, im Besitz von "handfestem Material", welches die Zusammenarbeit des indischen Geheimdienstes mit Separatisten in Belutschistan belege, zu sein. Er warf "bestimmten feindlichen Kräften" - darunter Indien - vor, die pakistanischen Taliban zu unterstützen, um Pakistan zu destabilisieren. Er behauptete weiter, pakistanische Stellen hätten bereits im Juli 2008 die Amtskollegen im indischen Sicherheitsapparat vor einem Großanschlag auf Mumbai gewarnt, somit seien letztere für das grausame Massaker, das in der westindischen Handelsmetropole vier Monate später verübt wurde, selbst verantwortlich.

Malik ging sogar soweit, die Möglichkeit öffentlich in Erwägung zu ziehen, daß Islamabad die Auslieferung von L. K. Advani, dem ehemaligen Premierminister Indiens und derzeit Chef der oppositionellen hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP), wegen dessen eventueller Verwicklung in das Attentat 1951 auf den damaligen pakistanischen Regierungschef Liaquat Ali Khan bei den Behörden in Neu-Delhi beantragt. Zwar liegen die Chancen, daß die Inder diesem Antrag entsprechen, ziemlich bei null, gleichwohl machen der Fall und seine brisanten Hintergründe nachvollziehbar, wie tief das Mißtrauen zwischen Islamabad und Neu-Delhi sitzt und warum sich Pakistan angesichts der engen Verbindungen zwischen Indien und der afghanischen Regierung von Präsident Hamid Karsai immer mehr umzingelt sieht.

27. Oktober 2009