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ASIEN/602: Nordkorea und USA auf gefährlichem Konfrontationskurs (SB)


Nordkorea und USA auf gefährlichem Konfrontationskurs

Steht die große Stunde des US-Raketenabwehrsystems kurz bevor?


Das Ergebnis der acht Jahre lang von der Regierung George W. Bushs mutwillig torpedierten Friedensbemühungen auf der koreanischen Halbinsel kann man dieser Tage mit Schrecken beobachten. Politiker in Pjöngjang und Washington reden sich gegenseitig in eine Krise hinein, die in eine regelrechte militärische Auseinandersetzung mit dem Einsatz von Atombomben und mit Abertausenden von Toten in Nordkorea, Südkorea und Japan ausarten könnte. Bedenkt man die Tatsache, daß Bill Clinton gegen Ende seiner zweiten Amtszeit nach jahrelanger Diplomatie ein Friedensabkkommen mit Nordkorea hätte abschließen können, mit dem der seit 1953 lediglich im Waffenstillstand befindliche Koreakrieg formell beendet worden wäre und der die Erstaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Pjöngjang und Washington zur Folge gehabt hätte, und daß der Demokrat auf diesen Schritt aus Rücksicht auf den unter zweifelhaften Umständen zustandegekommenen Sieg seines republikanischen Nachfolgers verzichtet hat, dann kann man über diese verlorengegangene Chance zum Frieden in Ostasien nur den Kopf schütteln. Rückblickend auf die maßgeblich von unverbesserlichen Kriegstreibern wie John Bolton bestimmte Koreapolitik der Bush-Regierung, müßte man diese als pathologisch kriminell bezeichnen.

Für die harte Haltung der Bush-Truppe gegenüber Nordkorea gab es mehrere Gründe, von denen der Anti-Kommunismus der wichtigste war. Mehr als zehn Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer wollten Bushs Republikaner nicht akzeptieren, daß sich die Demokratische Volksrepublik Korea - so der offizielle Name Nordkoreas - wenn auch unter Inkaufnahme großer Entbehrungen seiner Bevölkerung dem neoliberalen Globalisierungstrend weiterhin widersetzt, und haben deshalb alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Land in die Knie zu zwingen. Ein zweiter Grund für die Animosität Washingtons lag in der Eignung Nordkoreas als Buhmann-Nation, auf die man stets verweisen konnte, wenn es darum ging, die Notwendigkeit der weiteren Investition von Unsummen in die Entwicklung und den Bau eines Systems zum Schutz vor ballistischen Raketen, das bis heute niemals richtig funktioniert hat und nach Meinung unabhängiger, nicht auf der Gehaltsliste der US-Rüstungsindustrie stehender Wissenschaftler niemals richtig funktionieren wird, zu begründen. Wie wichtig dieses Thema für Bush und seinen Vizepräsidenten Dick Cheney war, zeigt sich anhand einer Personalie. Nicht zuletzt wegen seiner Rolle als Vorsitzender einer entsprechenden "unabhängigen" Kommission zur Einschätzung der von ballistischen Raketen für die USA ausgehenden Bedrohung und der Möglichkeit der Schaffung wirksamer Gegenmittel wurde Donald Rumsfeld im Januar 2001 US-Verteidigungsminister. Als Bush 2004 zur Wiederwahl antrat, sorgte Rumsfeld im Sommer desselben Jahres dafür, daß öffentlichkeitswirksam die ersten Abfangraketen zum Schutz vor nordkoreanischen Interkontinentalraketen - die es ebenfalls bis heute nicht gibt - in Silos in Alaska installiert wurden.

Heute setzt sich unter der demokratischen Regierung Barack Obamas diese Charade fort. Nachdem es am 18. Juni in der japanischen Tageszeitung Yomiuri geheißen hatte, die Nordkoreaner bereiteten den Start einer Langstreckenrakete vom Typ Taepodong-2 vor, die sie am 4. Juli - dem US-Nationalfeiertag - testen wollten und die eventuell die Strecke von rund fast 8000 Kilometer bis Hawaii schaffen könnte, erklärte später am selben Tag auf einer Pressekonferenz im Pentagon Robert Gates, der bereits Ende 2006 Rumsfeld als US-Verteidigungsminister ersetzt hatte und vom Obama als einziges Mitglied des Bush-Kabinetts übernommen wurde, er habe bereits eine mobile bodengestützte Raketenabwehrbatterie samt Radarstation nach Hawaii verlegen lassen. In einer entsprechenden Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press hieß es: "Theoretisch könnten die Systeme eine nordkoreanische Rakete aufspüren und abschießen, sollte es dazu kommen." Man beachte das Wort "theoretisch", das in diesem Zusammenhang von AP benutzt werden muß, weil das milliardenverschlingende Raketenabwehrsystem der USA bisher ausschließlich bei denjenigen Tests "funktioniert" hat, für die die Parameter zuvor zurechtgebogen worden waren.

Die Äußerungen Gates auf der Pressekonferenz fielen ebenfalls dermaßen schwammig und unsinnig aus, daß man dahinter Betrugsabsichten vermuten müßte. In der AP-Meldung wurde der ehemalige CIA-Chef und Veteran des Iran-Contra-Skandals hinsichtlich der vermeintlichen nordkoreanischen Bedrohung von der AP-Reporterin Anna Gearan mit den Worten zitiert: "Wir machen uns einige Sorgen, daß sie eine Rakete westwärts Richtung Hawaii abschießen könnten. ... Ohne telegraphieren zu wollen, was wir unternehmen werden, möchte ich lediglich sagen, ... daß wir in einer guten Position sind, sollte es erforderlich sein, Amerikaner und amerikanisches Territorium zu schützen." Die Worte Gates sind nicht ernst zu nehmen, denn er tut dies selbst nicht. Wäre die Bedrohung aus Pjöngjang wirklich akut, wäre dem Pentagonchef mit Sicherheit nicht der Fehler unterlaufen zu behaupten, die Nordkoreaner schickten ihre Raketen gen Westen, wenn sie Hawaii, Alaska oder Kalifornien erreichen wollten. Alle drei US-Bundesstaaten liegen bekanntlich östlich des Eremitenreichs Kim Jong-ils.

Nichtsdestotrotz haben die am 12. Juni auf maßgebliche Betreibung der USA verhängten Sanktionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gegen Nordkorea, mit denen Pjöngjang wegen seines Atomtests am 25. Mai bestraft werden soll, für eine deutliche Eskalation der Spannungen gesorgt. Das gleiche gilt für die kategorische Feststellung Obamas am 15. Juni anläßlich des Besuchs des konservativen südkoreanischen Präsidenten Lee Myung-bak im Weißen Haus, daß die USA ein atomarbewaffnetes Nordkorea "niemals akzeptieren" werden. Inzwischen haben Obama und Gates der US-Marine die Anweisung erteilt, nordkoreanische Frachter, in denen Raketenteile oder Material zum Bau von atomaren, biologischen oder chemischen Waffen vermutet werden, zu begleiten und beim Einlauf im Zielhafen für eine Überprüfung des Schiffsmanifests zu sorgen. Wie dies bewerkstelligt werden soll, sollte der fragliche nordkoreanische Frachter zum Beispiel einen iranischen, nicaraguanischen, syrischen oder venezolanischen Hafen ansteuern, ist unklar.

Es deutet vieles darauf hin, daß die jüngsten Atom- und Raketentests der Nordkoreaner mit der schlechten gesundheitlichen Verfassung Kim Jong-ils zusammenhängen und daß sich die Führung in Pjöngjang durch militärische Machtdemonstrationen den Raum für einen ordentlichen und halbwegs erfolgreichen Machtwechsel verschaffen will. In einer solchen Situation wäre der Lage in Ostasien eher geholfen, würden Obama und Konsorten größeres Fingerspitzengefühl an den Tag legen, statt die Gelegenheit zu nutzen, um den Druck auf Pjöngjang zu erhöhen und zu versuchen dort den von Washington seit langem ersehnten "Regimewechsel" herbeizuführen. Wie die Londoner Tageszeitung Independent am 17. Juni berichtete, hat Kims designierter Nachfolger als Staats- und Parteichef, sein 26jähriger Sohn Kim Jong-un, einige Tage zuvor der chinesischen Staatsführung in Peking einen heimlichen Besuch abgestattet und unter anderem angeblich mit Präsident Hu Jintao gesprochen. Hoffentlich können die Chinesen ihre nordkoreanischen Verbündeten und ihre amerikanischen Handelspartner aus der Sackgasse, in die sich diese hineinmanövriert haben, herausführen, bevor es zu spät wird.

19. Juni 2009