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ASIEN/591: Krise um geplanten Raketentest Nordkoreas eskaliert (SB)


Krise um geplanten Raketentest Nordkoreas eskaliert

Hillary Clinton warnt Pjöngjang vor "Provokation"


Die USA nehmen den geplanten Start einer ballistischen Rakete Nordkoreas zum Anlaß, eine internationale Krise zu inszenieren. Warum sie es tun, ist unklar. Eigentlich hatte man erwartet, daß mit dem Einzug Barack Obamas ins Weiße Haus das Säbelrasseln Washingtons gegenüber Pjöngjang, das die gesamte achtjährige Amtszeit des texanischen Republikaners George W. Bush kennzeichnete, ein Ende finden würde und daß Amerikas neuer Präsident zur vorsichtigen Annäherungspolitik seines demokratischen Vorgängers Bill Clinton zurückkehren würde - zumal er dessen Ehefrau Hillary Clinton, die in den letzten acht Jahren im Senat den Bundesstaat New York vertrat, zur Außenministerin der USA ernannt hat. Ausgerechnet die ehemalige First Lady macht jetzt auf Kalte Kriegerin und hat am 25. März der kommunistischen Regierung in Pjöngjang mit schweren Konsequenzen gedroht, sollte sie den Raketenstart doch noch durchführen lassen.

Es fallen einem zwei Gründe für die derzeit harte Haltung Washingtons gegenüber den Nordkoreanern ein - die Wirtschaftskrise und die Bemühungen der Obama-Regierung um Frieden im Nahen Osten, Versöhnung mit Syrien und dem Iran sowie eine Neubelebung der Partnerschaft mit Rußland. In den letzten Wochen steht das neue Kabinett, allen voran Finanzminister Timothy Geithner, wegen der umfangreichen Maßnahmen zur Belebung der amerikanischen Volkswirtschaft und zur Rettung des Finanzsektors in der Kritik. Einige namhafte Ökonomen wie Joseph Stiglitz und Paul Craig Roberts werfen Obama und Geithner vor, mit den geplanten Ausgaben für Infrastrukturprojekte und zur Refinanzierung der Banken dem US-Staatshaushalt gigantische Schulden aufzubürden, welche das Land in den Bankrott treiben und den Dollar praktisch wertlos machen werden. Des weiteren sorgt die Tatsache, daß die Manager derjenigen großen Finanzinstitute - beste Beispiel der Versicherungskonzern AIG -, die vom Staat Hunderte von Milliarden Dollar an Hilfsgeldern erhalten, weiterhin üppige Bonuszahlungen einstreichen, für Empörung und Wut in der breiten, von Rezession und Arbeitslosigkeit bedrohten Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund kommt der Obama-Administration eine Krise mit Nordkorea, über das praktisch niemand in den USA etwas weiß, dafür aber jeder um so mehr Gruselgeschichten gehört hat, vielleicht ganz gelegen, um den Volkszorn der Amerikaner in eine andere Richtung zu lenken.

Hinzu kommt, daß sich Obamas demokratische Mannschaft wegen ihrer auf Diplomatie statt auf nackte Militärgewalt setzenden Außen- und Sicherheitspolitik heftigen, ununterbrochenen Attacken neokonservativer, republikanischer Hardliner ausgesetzt sieht. Mit Unbehagen betrachten diejenigen, die entweder den außenpolitischen Kurs Amerikas während der Bush-Jahre bestimmten oder diesen in den Medien guthießen, die Schritte Obamas zur Entschärfung des "globalen Antiterrorkrieges". Ihnen mißfällt die vorsichtige Kritik Washingtons an Israel wegen des fortgesetzten Baus jüdischer Siedlungen im besetzten Westjordanland der Palästinenser und wegen der übermäßigen Gewaltanwendung im Gaza-Streifen. Erschrocken sind sie zudem über die Signale, daß Obama einen Ausgleich mit dem "Mullah-Regime" in Teheran sucht und Gespräche mit Hamas und Hisb Allah aufnehmen, mit Rücksicht auf Rußland auf den Aufbau des geplanten Raketenabwehrsystems in Osteuropa verzichten und sogar mit "gemäßigten" Taliban eine Beendigung des Krieges in Afghanistan vereinbaren könnte.

Am 15. März trat der Ex-Vizepräsident Dick Cheney beim Nachrichtensender CNN auf und warf Obama offen vor, durch seine Entscheidung zur schnellstmöglichen Schließung des umstrittenen Gefangenenlagers Guantánamo Bay auf Kuba und zur Behandlung der dortigen Internierten als Menschen mit gewissen Rechten statt als rechtlose "feindliche Kombattanten" das amerikanische Volk "in Gefahr" einer erneuter "Terrorattacke" vom Ausmaß der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 oder noch größer gebracht zu haben. Bereits am 18. Februar hatte John Bolton, einst Enfant terrible der Bush-Administration, in einem Gastkommentar für die Los Angeles Times Clinton vorgeworfen, die von Nordkorea für die USA ausgehende Bedrohung zu unterschätzen und gegenüber Pjöngjang blinde "Naivität" an den Tag zu legen.

Über die Dreistigkeit der kriegstreiberischen US-Neokonservativen soll man sich nichts vormachen, denn sie ist grenzenlos. Bolton, der in der Bush-Regierung zuerst als der für Rüstungskontrolle zuständige Staatssekretär im Außenministerium und später als US-Botschafter bei den Vereinten Nationen nicht unwesentlich zu den Spannungen zwischen Washington und Pjöngjang beitrug, die gleich nach dem Ende der Amtszeit Bill Clintons in Januar 2001 einsetzten und praktisch bis heute anhalten, tischte in seinem LA-Times-Kommentar die uralte Geschichte von der Existenz eines heimlichen und illegalen Uranreicherungsprogramms Pjöngjangs auf, blieb jedoch wie üblich den Beweis für seine Behauptungen schuldig. Mit diesem Vorwurf und ihrer arroganten, selbstgerechten Haltung haben Bush, Cheney, Bolton und Co. dafür gesorgt, daß Nordkorea 2003 aus dem Nicht-Verbreitungsabkommen austrat und drei Jahre später einen ersten Atomtest durchführte.

Das grandiose Scheitern der letzten US-Regierung, was die Nicht-Verbreitung von Atomwaffen auf der koreanischen Halbinsel betrifft, wäre ein trifftiger Grund, warum Bushs Kabinettsmitglieder eine Weile in Deckung gehen und den Mund halten sollten. Es wäre auch ein Grund, warum die Nachfolgeregierung die früheren Amtskollegen, wenn diese das Schwadronieren nicht lassen können, einfach ignorieren sollte. Die Tatsache, daß die regierenden Demokraten jedesmal springen, wenn die oppositionellen Republikaner sie des Kapitulierens vor irgendwelchen "Schurkenstaaten" oder des Ausverkaufs des amerikanischen "Freiheitsideals" bezichtigen, zeigt nur, wie einig die beiden Parteien in der Frage der Aufrechterhaltung der unangefochtenen Führungsrolle der USA sind.

Jedenfalls sprach das, was Clinton am 25. März bei einem Besuch in Mexiko-Stadt an der Seite ihrer Amtskollegin Patricia Espinosa erklärte, nicht gerade für die Souveränität von Amerikas neuer Außenamtsleiterin. Angesichts von Nachrichten in der südkoreanischen Presse, wonach jüngste Spionagesatellitenbilder eine Langstreckenrakete vom Typ Taepodong-2 auf der Rampe Musudan-ri an der Nordostküste Nordkoreas zeigten, warnte Washingtons Chefdiplomatin vor einem Start. Dies würde eine "Provokation" darstellen und schwere Konsequenzen nach sich ziehen. Dies könnte die Verhängung weiterer Sanktionen gegen Nordkorea durch die USA alleine und/oder durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bedeuten.

Bisher hat Nordkorea die dreistufige Taepodong-2 nur einmal, und zwar im Juli 2006, getestet, doch die Rakete explodierte nach nur 40 Sekunden Flug. Wenige später, nachdem im September das Finanzministerium in Washington Sanktionen gegen die Banco Delta Asia in der chinesischen Sonderzone Makau, über die Pjöngjang einen Großteil seines geringen Außenhandels abwickelt, verhängt und damit eine gerade erzielte Vereinbarung im Rahmen der Sechsparteiengespräche zwischen China, Japan, Nordkorea, Rußland, Südkorea und den USA torpediert hatte, führten im Oktober desselben Jahres die Nordkoreaner ihren ersten und bisher einzigen Atomtest durch. Darauf verabschiedete der UN-Sicherheitsrat Resolution 1718, die Nordkorea vor weiteren Tests von Langstreckenraketen und Atomwaffen abrät.

Diese Resolution ist es, die Clinton meint, wenn sie von einer "Provokation" spricht. In diesem Zusammenhang ist häufig in der Presse zu lesen oder in Funk und Fernsehen zu hören, besagte Resolution "verbiete" den Nordkoreanern den Raketenstart. Dies ist schlichtweg falsch. Nordkorea hat wie jedes andere Land das Recht, zu zivilen Zwecken Raketen in die Erdumlaufbahn zu schicken und dort Satelliten auszusetzen. Dies ist es auch, was Nordkorea mit dem geplanten Raketentest, über den man die zuständigen internationalen Behörden ordnungsgemäß in Kenntnis setzte, vorhat. Mit der erstmaligen Aussetzung eines eigenen Satelliten im All im April wollen die kommunistischen Nordkoreaner den kapitalistischen Brüdern im Süden, die ihrerseits im Juli ähnliches vorhaben, zuvorkommen und damit die eigenen technologischen Fähigkeiten unter Beweis stellen.

Je mehr die Amerikaner den Raketentest zum heimlichen Test einer Interkontinentalrakete aufbauschen, um so mehr fühlen sich die Nordkoreaner ihrerseits bedroht. In einer Meldung der nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA vom 24. März hat ein nicht namentlich genannter Vertreter des Außenministeriums in Pjöngjang das Theater um den Raketentest verurteilt und die USA und Japan, die selbst bereits nicht wenige Satelliten ins All geschossen haben, der Heuchelei bezichtigt. Es sei "pervers" zu behaupten, daß der Transport eines Satelliten ins All dasselbe wie der Test einer Interkontinentalrakete sei; das wäre, als würde man behaupten, "ein Küchenmesser" sei "von einer Bajonett nicht zu unterscheiden", so der Vertreter der nordkoreanischen Regierung.

26. März 2009