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AFRIKA/2162: Mangel und Willkür - Afrikas Hungerspur ... (SB)



Nicht nur in unmittelbaren Kriegs- und Konfliktgebieten, auch am Rande der Gesellschaft wirtschaftlich aufstrebender Länder gibt es riesige Areale, in denen Menschen hungern. Ein Beispiel dafür ist Ostafrika. Ob Somalia oder Kenia, Uganda oder Südsudan, auf einer Fläche halb so groß wie Europa haben viele Millionen Menschen nicht genügend zu essen. Das geht aus jüngsten Zahlen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation, FAO, hervor [1].

Demnach besteht weltweit in 37 Ländern akute Nahrungsnot, davon liegen 29 in Afrika. Fast alle Länder des östlichen Afrikas sind davon betroffen. Es ist wenig überraschend, daß in Somalia, Südsudan, Demokratische Republik Kongo gehungert wird, denn in diesen Ländern werden gewaltsame Konflikte ausgetragen. Felder werden verwüstet, Ernten geraubt, Saatgut wird von Bewaffneten beschlagnahmt, und wer sich traut, sein Feld zu bestellen, läuft Gefahr, getötet zu werden. Zudem werden zahlreiche Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, und Lebensmittel verteuern sich, je weniger produziert werden. Die hohen Preise kann sich nicht jeder leisten. Alles in allem gilt die Sicherheitslage in 16 jener 37 auf Nahrungshilfe angewiesenen Ländern als unsicher.

Tansania und Kenia gelten als politisch stabil, und auch Äthiopien, in dem zwar die Opposition massiv unterdrückt wird, gilt im allgemeinen nicht als unsicheres Land. Dennoch wird in diesen Ländern gehungert. In diesen Fällen bemüht die FAO geringere Niederschlagsmengen als Erklärung für die eklatante Nahrungsnot. Der Nordosten Tansanias beispielsweise leide genauso unter zu wenig Regen wie Somalia, wo die Regenzeit namens Deyr die Ernten um rund 20 Prozent einbrechen ließ, heißt es. Für ganz Ostafrika hat die FAO einen Ernterückgang um 7,2 Prozent festgestellt. In Kenia fiel sogar bis zu 80 Prozent weniger Niederschlag als im Durchschnitt.

Seit Oktober vergangenen Jahres haben sich auf den meisten lokalen Märkten Äthiopiens und Sudans die Preise für Sorghum, Hirse und Weizen verdoppelt. Ausgelöst worden sei dies in Folge der Streichung staatlicher Zuschüsse. In Äthiopien können sich 7,88 Millionen Einwohner nicht ausreichend ernähren und benötigen Unterstützung, in Kenia sind es 3,4 Millionen.

Das kleine Land Dschibuti, das gegenüber von Jemen auf der anderen Seite des Roten Meers liegt, beherbergt eine Reihe von Militärstandorten, unter anderem von den USA, Frankreich, China, Deutschland und der Türkei. Ungeachtet der damit verbundenen finanziellen Unterstützung ist fast jeder fünfte Einwohner auf Nahrungshilfe angewiesen.

Die FAO gibt in ihrem Vierteljahresbericht vom März 2018 im wesentlichen die "Ernährungslage" und die "Aussichten der Getreideproduktion" wieder. Es wäre allerdings ein Irrtum anzunehmen, daß die dabei verwendeten Kategorien zur Interpretation der Datenlage wertneutral sind. Indem zwei Schwerpunkte der Analyse festgelegt werden - Konflikte und Klima - geraten andere Optionen der Gründe für den Nahrungsmangel in den Hintergrund oder werden ausgeblendet. Das betrifft dann natürlich auch die Schlußfolgerungen, die aus der Bestandsaufnahme gezogen werden können, um den Mangel zu beheben.

Ungleichgewichte im Welthandel? Fehlanzeige. Die FAO sieht es anscheinend nicht als ihre Aufgabe an, die globale Förderung "westlicher" Getreidesorten wie Weizen oder Mais zu brandmarken, obschon doch beide Pflanzen nach Afrika exportiert wurden und eine viel geringere Toleranz gegenüber Hitzestreß aufweisen als traditionell angebaute Getreidearten wie Hirse.

Ausrichtung der afrikanischen Länder auf Cash Crops? Fehlanzeige. Vermochten sie sich noch in den sechziger, siebziger Jahren ernährungsmäßig selbst zu versorgen, war es den vom Westen dominierten Institutionen Weltbank und IWF gelungen, über den Hebel der Verschuldung den afrikanischen Ländern Strukturanpassungsprogramme aufzudrücken, die diese zu bloßen Ressourcenstaaten, inklusive der agrarischen Ressourcen, für den Weltmarkt degradiert haben. Da blieben viele Millionen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern auf der Strecke, mußten sie doch plötzlich mit Kleinbäuerinnen und -bauern in Asien und Südamerika konkurrieren. Ausgerechnet unter den ursprünglichen Nahrungsproduzenten grassiert bis derzeit der Hunger besonders stark. Heute muß Afrika Nahrung importieren.

Überschwemmung afrikanischer Staaten mit subventionierten Agrarprodukten der Europäischen Union? Fehlanzeige. Obschon die EU nach wie vor durch ihre hochsubventionierten Billigexporte lokale Märkte in Afrika zerstört, so daß die Menschen ihre heimische Scholle verlassen und vermehrt in die Städte ziehen (oder versuchen, nach Europa zu migrieren) - in Folge unter anderem der Landflucht leben inzwischen in Afrika mehr Menschen in Städten als auf dem Land -, bleibt dieses Phänomen im FAO-Bericht unerwähnt.

Abschluß von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der EU mit ausgewählten afrikanischen Staaten? Fehlanzeige. Obschon diese Freihandelsabkommen mit den 78 AKP-Staaten (dazu gehören vor allem ehemalige europäische Kolonien in Afrika sowie in der Karibik und im Südpazifik) dazu geführt haben, daß die Länder ihre Importzölle aufheben mußten und den Staatshaushalten wichtige Einnahmen wegbrachen (die beispielsweise zur Stärkung des ländlichen Raums und des Kleinbauerntums hätten verwendet werden können), erfährt man darüber in dem FAO-Bericht nichts. Ebensowenig darüber, daß auch die Aufhebung von Zollschranken für Ressourcenausfuhren die Staatseinnahmen verringert hat und daß die verheißene Zunahme an Direktinvestitionen durch das ausländische Kapital die entstandenen Lücken bei den Steuereinnahmen nicht zu füllen vermochte. Zumal es den Investoren darum ging, sich die attraktiven Schnäppchen unter den Nagel zu reißen, nicht aber, auf breiter Front Wohlstand einkehren zu lassen. Die Rede ist hier nicht von China, das massiv in den Ausbau der Infrastrukturen in den afrikanischen Ländern investiert hat und sicherlich ganz ähnliche Ziele wie die EU verfolgt, sich dabei aber anderer Mittel und Methoden bedient, die den Anspruch der Entwicklungszusammenarbeit oftmals deutlich besser erfüllen, als was die Europäer zustandebringen.

Nochmals zur Erinnerung: Die FAO legt sich in ihrem von Tabellen und Grafiken bestimmten Vierteljahresbericht an anderer Stelle keine Zurückhaltung auf, denn durch ihre Analyse präferiert sie bestimmte Erklärungsmuster für die Nahrungsnot. Vermutlich ist es kein Zufall, daß dies der Lesart entspricht, die von den wirtschaftlich stärkeren Staaten des globalen Nordens auf die Mangelsituation favorisiert wird. Zum Beispiel stellt die Aussage, daß in Ostafrika der Regen ausblieb und deshalb die Erntemenge rückläufig ist, einen Erklärungsversuch für die Entstehung von Hunger dar. Das gesamte Zahlenwerk der FAO ist nicht wertneutral, sondern bewertet die obengenannten Einflußgrößen wirtschaftlicher Art offenkundig als vernachlässigbar, da sie im Unterschied zu Krieg und Klima nicht einmal erwähnt werden. Von diesen beiden Faktoren werden die Menschen (vermeintlich) schicksalhaft ereilt, wohingegen die vorherrschende Wirtschaftsordnung, die jene Hungerregionen hervorbringt und aufrechterhält, hinterfragbar ist. Der Kampf gegen den Hunger in der Welt könnte sehr viel entschiedener in Angriff genommen werden, wenn auch die fundamentalen gesellschaftlichen Voraussetzungen auf den Prüfstand kämen, die die Unterscheidung in Wohlhabende und Hungernde dauerhaft und unüberbrückbar befestigen sollen.


Fußnote:

[1] http://www.fao.org/3/I8764EN/i8764en.pdf

7. März 2018


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