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AFRIKA/2157: Drohnenmorde - der stille Krieg ... (SB)



In den frühen Morgenstunden des 2. Januar haben die US-Streitkräfte in Abstimmung mit der Regierung Somalias 50 Kilometer westlich der Hauptstadt Mogadischu ein mit Bombenmaterial beladenes Fahrzeug getroffen. Dabei wurden zwei Terroristen getötet. Dieser Schlag hat verhindert, daß die Bombe gegen Menschen in Mogadischu eingesetzt worden wäre. Zivilisten seien dabei nicht getötet worden ...

Das berichtete einen Tag nach dem Vorfall AFRICOM, das Afrikakommando der US-Streitkräfte, und kündigte weitere "angemessene Maßnahmen zum Schutz der Vereinigten Staaten, ihrer Partner und Interessen" an.

Vom Standpunkt eines beliebigen Beobachters aus - nennen wir ihn Mustafa - würde sich der Vorfall vermutlich vollkommen anders darstellen. Mustafa ist ein strenggläubiger Mann. Er hält die vorgeschriebenen Gebete penibel ein, denn er will alles richtig machen. Das verschafft ihm Zufriedenheit. Eines Morgens, als er gerade auf dem Weg zur Arbeit ist, geht er in Gedanken versunken noch einmal die vor ihm liegenden täglichen Aufgaben durch. Auf den sandigen Straßen herrscht wenig Verkehr. Da explodiert vor seinen Augen, ohne die geringste Vorwarnung und mit einem ohrenbetäubenden Knall, ein Fahrzeug. Metallteile, Glas, Körperteile und andere Dinge fliegen ihm um die Ohren. Er selbst wird von den Füßen gerissen. Einige Geschosse haben seine dünne Kleidung durchschlagen und ihn verletzt. Nichts davon ist lebensgefährlich, aber zur Arbeit kann Mustafa nicht gehen. Heute nicht und auch nicht in den nächsten Wochen. Er zittert am ganzen Leib, hat Angst. Fortan bleibt er zu Hause, weil er sich nicht mehr ins Freie traut. Als ob das lehmige Dach seines eingeschossigen Hauses den geringsten Schutz vor solchen Angriffen aus heiterem Himmel böte! Mustafa verliert seinen Job.

Die Familie wird zunächst von Nachbarn und Verwandten unterstützt, muß aber mit sehr viel weniger auskommen als vor dem traumatisierenden Vorfall. Seine beiden ältesten Söhne, 14 und 17 Jahre alt, die bislang durch Gelegenheitsarbeiten zum allzu geringen Einkommen der Familie beigetragen haben, hassen den unsichtbaren Feind dafür, was er mit ihrem geliebten Vater angestellt hat, und schließen sich denjenigen an, die schon länger gegen den Feind kämpfen. Auch wenn sie die religiösen Gebote nicht so gewissenhaft wie ihr Vater eingehalten hatten, nehmen sie nun in Kauf, daß ihnen ihre neuen Verbündeten strengste religiöse Disziplin abverlangen. Bis hin zur Selbstaufgabe ...

Nun die Frage: Glaubt irgend jemand, daß sich durch die Drohnenangriffe in Somalia Frieden erzwingen läßt? Müßte man nicht vielmehr annehmen, daß, wie in jenem Szenario angedeutet, die urplötzliche Vernichtung beliebiger Menschen der islamistischen Organisation al-Shabaab (übersetzt: die Jugend), die gegen die somalische Zentralregierung und deren Verbündete kämpft, laufend neue Rekruten in die Arme treibt?

Die von AFRICOM aufgestellten Behauptungen zur Tötung zweier Personen können nicht von unabhängiger Quelle verifiziert werden. Vielleicht wurden auf dem Fahrzeug Bombenmaterialien transportiert, vielleicht aber auch bloße Bauwerkstoffe. Die Verlautbarungen der US-Streitkräfte sind stets so formuliert, daß möglichst keine Zweifel an der vermeintlichen Rechtmäßigkeit der "Maßnahme" aufkommen sollen. Bei Bedarf läßt man wichtige Informationen einfach weg. Beispielsweise werden in der aktuellen Pressemitteilung keine Angaben über die Zahl der Verletzten gemacht.

Dem oben geschilderten fiktiven Erlebnis Mustafas hätte genausogut ein Anschlag von al-Shabaab vorausgehen können. Die islamistische Organisation betreibt eine Politik des Terrors. Die richtet sich sowohl gegen staatliche Einrichtungen als auch die Zivilbevölkerung. Den Anschlägen al-Shabaabs in Somalia sind erheblich mehr Menschen zum Opfer gefallen als den Anschlägen durch US-Drohnen. Wobei sich die Islamisten schon zu vielen Anschlägen, auch mit hohen Opferzahlen, bekannt haben, nicht jedoch zu dem bislang tödlichsten Anschlag ganz Afrikas, der Sprengung eines Lkws im Oktober 2017 auf einem belebten Marktplatz in Mogadischu. Dabei waren 512 Menschen in den Tod gerissen worden.

Unabhängig von der Brutalität, mit der al-Shabaab vorgeht, erschließt sich nicht, warum demgegenüber die Drohnenmorde der USA als gut, rechtens und unvermeidlich angesehen werden sollten. Im "günstigsten Fall" - sofern man in diesem Zusammenhang überhaupt so eine Zuweisung machen will - wird dadurch ein Anschlag konkret verhindert. In der Summe nähren die Drohnenmorde jedoch den Widerstand gegen die auch in der nicht-kämpfenden Bevölkerung unbeliebten Amerikaner. Womöglich ist das auch der Zweck des Ganzen, denn die US-Streitkräfte können ihre "full spectrum dominance", ihre Herrschaft zu Wasser, zu Land, in der Luft, im Weltraum und im Cyberraum, nicht unter Beweis stellen, wenn es keinen Widerstand dagegen gibt. Es ist nur dem Anschein nach ein Widerspruch, daß die USA somalische Islamisten bekämpfen und zur gleichen Zeit durch die Art der Bekämpfung wissentlich am Leben erhalten.

Die Vereinigten Staaten haben seit längerem daran gestrickt, daß es zu der heutigen Situation kam. Um ein markantes Datum im steten Ringen unterschiedlicher externer Mächte um Einfluß in Somalia auszuwählen: 1993 haben die USA, die damals eine UN-Hungerhilfemission mißbrauchten, um in deren Schutz einen ihnen nicht genehmen somalischen Warlord zu fangen, 18 Soldaten verloren. Allerdings waren zuvor 50 vorwiegend gemäßigte Anführer, die sich versammelt hatten, um zu beraten, wie man das zerrüttete Verhältnis zu der UN-Mission und den Amerikanern verbessern könne, durch US-Kampfhubschrauber eliminiert worden. Zudem wurden bei der "Schlacht von Mogadischu", wie der Verlust amerikanischen Lebens bezeichnet und in dem Kinofilm "Black Hawk Down" heroisiert wird, mehr als 1500 Bewohner Mogadischus getötet - es handelte sich mithin um ein "Abschlachten von Mogadischu".

Die Ablehnung der Interventionsmacht USA wird vielleicht nicht von allen Clanen innerhalb der sich befehdenden somalischen Gesellschaft geteilt, aber besonderer Beliebtheit erfreut sich die ausländische Militärmacht nicht - sieht man von der Regierung Somalias ab. Die vor gut zehn Jahren begonnenen Raketenangriffe mittels Drohnen und anfangs auch Kriegsschiffen erreichten im vergangenen Jahr mit 35 Attacken ihren vorläufigen Höhepunkt. Die Regierung Donald Trumps hat AFRICOM mehr Entscheidungskompetenz für solche Angriffe zugestanden und außerdem große Gebiete im Süden Somalias zum Kriegsgebiet erklärt, was den Militäreinsatz dort vereinfacht.

Mit einem solchen Bündnispartner der Regierung Somalias braucht sich al-Shabaab keine Sorgen über einen Mangel an Rekrutennachwuchs zu machen. Am Horn von Afrika tobt ein stiller Krieg, von den Medien kaum beachtet, der jederzeit andere Länder treffen kann.

5. Januar 2018


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