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AFRIKA/2156: Sudan - Bündnis zu Lasten der Verfolgten ... (SB)



Sudans Präsident Omar al-Bashir befindet sich stets auf der Suche nach weiteren Bündnispartnern. Seit Jahren sind seine Reisemöglichkeiten eingeschränkt, da ihn der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) unter anderem wegen mutmaßlichen Völkermords per Haftbefehl suchen läßt. Die Unterzeichnerstaaten des Statuts von Rom, die jenes in Den Haag ansässige Weltgericht anerkannt haben, sind verpflichtet, den sudanesischen Präsidenten zu verhaften, sollte er ihr Staatsgebiet betreten. Doch manchmal mahlen die Mühlen der Bürokratie langsam, beispielsweise in Südafrika, - nicht ganz zufällig, sollte man meinen -, und so ergaben sich schon mehrmals Konstellationen, in denen die mögliche Vollstreckung des Haftbefehls aufgrund des politischen Interesses einer Regierung unterblieb.

Der IStGH verliert zumindest in Afrika zunehmend an Ansehen, zumal die selbsternannte Weltordnungsmacht USA das Gericht sowieso nie anerkannt hat - was sie allerdings nicht davon abhält, es dann in Anspruch zu nehmen, wenn es ihrem hegemonialen Interesse dient, beispielsweise um ihren politischen Einfluß auf Sudan zu stärken. Trotz dieses aus seiner Sicht positiven Trends benötigt al-Baschir Bündnispartner, da der Haftbefehl bislang noch nicht zurückgezogen wurde. So hat er sich von Saudi-Arabien finanzieren lassen und der Kriegskoalition angeschlossen, die seit März 2015 einen Bombenkrieg gegen die Huthi-Rebellen in Jemen führt.

Eine weitere Ordnungsmacht in dieser Region stellt die Türkei dar, und auch zu diesem historischen Partner sucht Sudan Bündnisnähe. Ein Vergleich, um sich Erdogans Ambitionen anzunähern: Wenn hierzulande Menschen auf die einstige Macht des Königreichs Preußen ansprechbar sind und in Potsdam und Berlin die weiträumige preußische Architektur und Stadtplanung wieder aufleben lassen, so blicken sie auf eine Geschichte, die bis zum Beginn des 18. Jh. zurückreicht. Die Anfänge des Osmanischen Reichs hingegen sind im 14. Jahrhundert anzusiedeln, wobei Ausmaß und kulturelle Vielfalt der diesem Reich angeschlossenen Gebiete erheblich größer war. Als Bestandteil Ägyptens gehörte Sudan lange Zeit zu jenem Reich, an dessen vermeintlich glorreiche Zeiten der türkische Präsident anknüpfen will.

Einen Sultanspalast hat er sich bereits bauen lassen, nun zimmert er an der Expansion der türkischen Einflußsphäre. Während die christliche Welt das Weihnachtsfest feierte, weilte er drei Tage lang in Sudan, dem bis zur Abspaltung des Südens im Juli 2011 flächengrößten Staat des afrikanischen Kontinents. Es war der erste Besuch eines türkischen Staatsoberhaupts in Sudan überhaupt. Dabei wurden umfangreiche Abkommen auf den Weg gebracht, die das Handelsvolumen beider Staaten von derzeit rund 500 Millionen Dollar auf zunächst eine Milliarde und in den nächsten Jahren auf zehn Milliarden Dollar anheben sollen, wie die Türkische Radio- und Fernsehanstalt (TRT) in einer Serie von Artikeln zur Afrikareise Erdogans berichtete.

Außerdem wurde die Gründung eines hochrangigen strategischen Kooperationsrats beschlossen. Wenn man bedenkt, daß die Türkei - noch - Mitglied der NATO ist, ergeben sich hier ganz neue Konstellationen, auch hinsichtlich des militärischen Schutzes vor der NATO. Da der NATO-Rat alle Beschlüsse einstimmig trifft und alle Mitgliedsländer des Militärbündnisses darin vertreten sind, könnte die Türkei einen Angriff auf Sudan seitens der NATO verhindern. Diese These ist nicht so hergeholt, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Der westliche Militärpakt war 2011 am Sturz des libyschen Staatsführers Muammar Gaddafi beteiligt und trägt damit die Mitverantwortung für dessen Pfählung und Ermordung. Das schließt das Vorpreschen einzelner Staaten des NATO-Pakts nicht aus, doch gewährt die Verbindung zur Türkei al-Baschir einen gewissen Schutz. Schließlich wurde das Land in einem Atemzug mit - nach westlicher Lesart - "Terrorstaaten" wie Libyen, Nordkorea, Syrien und Iran genannt.

Von enormer symbolträchtiger Bedeutung erweist sich indessen Erdogans Besuch der sudanesischen Insel Sawakin im Zentrum der gleichnamigen Stadt am Roten Meer. Al-Baschir hat diese heruntergekommene, 60 Kilometer südlich von Port Sudan gelegene Insel mit ihren historischen Hanafi- und Schafa'i-Moscheen der Türkei für einen nicht näher bestimmten Zeitraum zum Wiederaufbau überlassen. Der Vorschlag dazu war anscheinend von Erdogan ausgegangen, der laut TRT in seiner Rede auf dem türkisch-sudanesischen Wirtschaftsforum gesagt hat: "Sie sollten uns die Insel für eine Weile überlassen und wir werden sie in ihrer ursprünglichen Form wieder aufbauen und wiederbeleben. Mein Bruder Omar al-Baschir sagte okay."

Die beiden "Brüder" hatten gemeinsam der kleinen Insel, die am Ende einer langen, sich zum Landesinnern öffnenden Bucht liegt, einen Besuch abgestattet. Einst hatte sie muslimischen Pilgern als Zwischenstopp gedient, bevor sie nach Dschidda auf der arabischen Halbinsel weiterreisten und sich auf den Weg zu heiligen Stätten in Mekka begaben. Die Insel war zur Zeit des Osmanischen Reichs jahrhundertelang die wichtigste Hafenstadt an der afrikanischen Küste des Roten Meeres. Jetzt sprach Erdogan davon, daß türkische Pilger zuerst auf der Insel landen könnten, bevor sie nach Mekka weiterreisten. Das würde die Beziehungen der beiden Länder stärken und die "Geschichte wieder aufleben lassen".

Geographisch ist es allerdings überhaupt nicht schlüssig, warum türkische Pilger, die über das Rote Meer nach Mekka reisen, in nennenswerter Zahl in Afrika einen Zwischenstopp einlegen sollten, nur um dann mit der Fähre nach Dschidda überzusetzen, das sie auch direkt hätten ansteuern können. Wenn man allerdings "die Geschichte wieder aufleben" läßt, wie Erdogan schwärmt, dann wäre die Sawakin-Insel wieder eine ostafrikanische Drehscheibe all der Völker, die einst dem Osmanischen Reich angeschlossen waren. Das erstreckte sich zeitweilig bis ins heutige Marokko. So nimmt es nicht wunder, daß Erdogan samt einer Reihe von Ministern im Anschluß an seinen Sudan-Aufenthalt nach Tunesien weitergereist ist, wo er Gespräche mit Regierungsvertretern geführt hat. Danach ging es weiter in den Tschad. Dort sagte Erdogan laut TRT, daß das Afrika-Verständnis der Türkei "keine Kolonialisierung" beherbergt. Warum fällt ihm bei einem Besuch des Tschad das Wort "Kolonialisierung" ein? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt ...

Jedenfalls wird Sudan vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse in die Türkei exportieren und aus der Türkei Maschinen und andere industrielle Produkte auf einer höheren Stufe der Wertschöpfungskette importieren. Solch ein Gefälle war schon immer Bestandteil des Kolonialismus, dessen Profiteure seit eh und je behaupten, er bringe beiden Seiten Gewinn. Auch Erdogan sprach von einer "Win-Win"-Situation und Partnerschaftlichkeit - er unterscheidet sich da nicht von deutschen Politikern wie Entwicklungsminister Müller, der einen Marshallplan "mit" Afrika propagiert und damit deutsche Wirtschaftsinteressen bedient.

Sicherlich wäre es weit übertrieben wollte man behaupten, daß nicht nur Erdogan nostalgische Großmachtsträume pflegt, sondern daß sich al-Baschir dem türkischen Präsidenten mit dem Abtreten der Insel Sawakin unterworfen hätte. Es werden an diesem Besuch jedoch die Interessen beider Seiten erkennbar. Erdogan verfolgt schon seit Jahren das Ziel, das 1922 endende Osmanische Reich wiederaufleben zu lassen, und die weitgehende Verfügungsgewalt über die Insel Sawakin ist ein Puzzlesteinchen auf dem Weg dahin. Ebenso wie Erdogans 2009 getätigte Behauptung, ein Muslim könne keinen Völkermord begehen; seine Regierung könne im Sudan keinen Genozid erkennen. Damit hatte er Omar al-Baschir in Schutz genommen, der zum Gipfeltreffen der Organisation der Islamischen Länder (OIC) nach Istanbul reisen wollte. Das hatte in der internationalen Staatengemeinschaft für Empörung gesorgt. Schließlich hat Sudans Staatschef die Reise von sich aus abgesagt, um die Türkei nicht in diplomatische Schwierigkeiten zu bringen.

Zu guter Letzt ist die Insel Sawakin von geostrategischer Bedeutung. Sollte die Türkei hier nicht nur ein paar zerfallene Moscheen wieder aufrichten, sondern wie geplant auch moderne Hafenanlagen bauen, wären diese auch vom Militär nutzbar und bildeten einen wichtigen Brückenkopf für türkische Expansionsbestrebungen. Weiter südlich, in der somalischen Hauptstadt Mogadischu, hat die Türkei in diesem Jahr bereits einen Militärstützpunkt eingerichtet.

Wo aber so viele Gewinner im Spiel sind, gerät leicht aus dem Blick, daß es auch Verlierer gibt. Das sind die in beiden Ländern verfolgten und teils harschen Repressionen ausgesetzten Volksgruppen, Lebensgemeinschaften, religiös oder kulturell von der Mehrheit abweichenden Gruppen und politische Oppositionelle. Von den Kurden und Kommunisten in der Türkei sei an dieser Stelle nicht die Rede, sondern von jenen Menschen in Sudan, die seit Jahren zum Spielball fremdnütziger Interessen auf einem Schlachtfeld geraten sind, das sie sich nicht ausgesucht haben.

Nach 16 Monaten intensiver diplomatischer Verhandlungen, so hieß es in den Medien, hat die neue US-Administration am 12. Oktober 2017 die 20 Jahre währenden Wirtschaftssanktionen gegen Sudan aufgehoben und das Land für ausländische Investoren geöffnet. Bereits im Januar 2017 hatte der aus dem Amt scheidende US-Präsident Barack Obama die Sanktionen gelockert. Sudan befindet sich nicht mehr im Fadenkreuz der USA, obgleich sich in dem Land innenpolitisch nicht viel getan hat. Um den 2003 begonnenen Konflikt zwischen der arabischstämmigen Regierung in Khartum und der vorwiegend schwarzafrikanischen Bevölkerung in der westsudanesischen Provinz Darfur ist es lediglich etwas stiller geworden, aber beigelegt ist er nicht. Seit Oktober sammelt die Regierung alle Waffen der Darfuris ein, angeblich um die Kämpfe rivalisierender Gruppen zu beenden. In der Vergangenheit waren Waffen jedoch das einzige Mittel der Menschen, sich gegen die Überfälle der regierungstreuen Reitermilizen ebenso wie gegen die bewaffneten Kämpfer aufständischer Gruppierungen sowie aus dem Süden eingesickerte Milizen zur Wehr zu setzen - wenngleich mit bescheidenem Erfolg.

Im Oktober 2017 berichtete die Menschenrechtsorganisation Enough Project, daß die sudanesische Regierung ihre paramilitärischen Truppen der Rapid Support Forces (RSF) einsetzt, um die Abgabe der Waffen zu erzwingen, und daß diese nur diejenigen Kräfte entwaffnen, die in Opposition zur Regierung stehen. Auch seien die RSF in die darfurische Region Jebel Amer eingedrungen, in dem mit der RSF verfeindete Milizen Musa Hilals jahrelang Goldbergbau betrieben haben. Hilal hat die Waffenabgabe verweigert und im Norden der Provinz Darfur rund 10.000 Kämpfer um sich geschart. Wird also bei der Entwaffnungskampagne der alte Konflikt lediglich mit neuen Legitimationskonstrukten fortgesetzt?

Nach Angaben des Enough Projects stammt ein Großteil der nun eingesammelten Waffen von der Regierung selbst, die einst die ihr treuen Milizen damit ausgestattet und instrumentalisiert habe. Zur Beurteilung dieser Behauptung scheint es allerdings geraten, darauf hinzuweisen, daß bereits im vergangenen Jahrzehnt das Enough Project als Speerspitze des humanitären Interventionismus unter dem Vorwand der Schutzverantwortung (R2P - Responsibility to Protect) für Darfur und gegen Sudans Regierung von sich Reden gemacht hat. Die große Nähe der in Washington ansässigen Organisation, die ein Ableger der US-amerikanischen Denkfabrik Center for American Progress ist, zur Partei der Demokraten in den USA ist kein Geheimnis.

Außenpolitisch hat sich Sudan unter anderem mit der oben erwähnten Kriegsbeteiligung gegen Jemen als willfährig erwiesen. So bleibt als vorläufiges Resümee festzustellen, daß Sudan seine Bomben eben nicht zur falschen Zeit auf die falschen Leute werfen darf - dann hat auch der Westen kein Problem damit. Und der langjährige sudanesische Präsident Omar al-Baschir weiß sehr genau, welchen Kräften er sich nicht in den Weg stellen sollte. So ergibt sich fast schon ein natürliches Bündnis mit der Türkei unter Recep Tayyip Erdogan.

28. Dezember 2017


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