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AFRIKA/2154: Die dunkle Seite der Schokolade (SB)


Kakaoplantagen statt Naturparks


Was hat der westliche Wohlstand mit der Verelendung in den Ländern des Südens zu tun? Ist die Zeit des Kolonialismus nicht abgeschlossen und sind nicht die Länder seit mehr als einem halben Jahrhundert souverän, also für ihr Schicksal selbst verantwortlich? Solche und ähnliche Fragen werden in den Medien immer mal wieder gestellt und könnten in den nächsten Jahren sogar noch häufiger aufgeworfen werden, wenn in der westlichen Welt die nationalistischen Kräfte weiter wie bisher an Zuspruch und Zulauf gewinnen und sie ihre eigenen Machenschaften zu verschleiern trachten.

Der beispielsweise von AfD in Deutschland, FPÖ in Österreich, PIS in Polen und den Trumpisten in den USA propagierte Nationalismus verzichtet genausowenig darauf, sich mit ökonomischer, politischer oder militärischer Durchsetzungskraft andere Länder gefügig zu machen, wie der Liberalismus jener Staaten, die sich demokratisch nennen, Staatenbünde wie die EU schließen und eine Kooperation der Nationen predigen. Die Nutzbarmachung der natürlichen Ressourcen der Länder des Südens findet vorzugsweise mit Beteiligung örtlicher Sachwalter statt, die von der permanenten Plünderung profitieren - zu Lasten der eigenen Bevölkerung.

Wie verwoben der hiesige Wohlstand mit dem Elend in anderen Ländern ist, könnte man mit jedem Stückchen Schokolade schmecken, das man sich auf der Zunge zergehen läßt. Die zu seiner Herstellung verwendeten Kakaobohnen stammen vorwiegend aus Westafrika, hier insbesondere aus der Elfenbeinküste und Ghana. In beiden Ländern wurden schon riesige Waldflächen gerodet, um Platz für Kakaoplantagen zu schaffen. Der stetig wachsende Schokoladenkonsum in der ganzen Welt schafft eine so hohe Nachfrage, daß seit Jahren auch Nationalparks und andere Schutzgebiete der Motorsäge zum Opfer fallen, berichtet die Organisation Mighty Earth. [1]

Der in den USA ansässigen Naturschutzorganisation geht es nicht in erster Linie um die schon vor Jahren angeprangerte Kindersklavenarbeit auf den Kakaoplantagen, sondern vor allem darum, die wenigen verbliebenen Waldflächen und deren vom Aussterben bedrohten tierischen Bewohner zu retten. Sie fordert die Schokoladenhersteller auf, keine Kakaobohnen mehr zu kaufen, für die Naturparks gerodet wurden. Außerdem kritisiert sie, daß die großen Schokoladenhersteller von den niedrigen Entlohnungen der Bauern profitieren, die den Kakao anbauen und ernten. Diese erhielten nur 80 US-Cent (67 Eurocent) am Tag. In dem Report wird nicht näher darauf eingegangen, doch weil die Bauern nur einen Anteil von vier Prozent am Verkaufserlös des Kakaos erhalten, lassen sie Kinder als billigste und den billigen Arbeitskräften für sich schuften.

Die Bauern geben die Kakaobohnen an Zwischenhändler (sogenannte Pisteurs) weiter, welche die Ernten aus der Umgebung einsammeln und an Kooperativen verkaufen. Diese reichen sie an Agrounternehmen weiter, die schließlich die Schokoladenhersteller beliefern. Nach Einschätzung des Leiters der staatlichen ivorischen Waldschutzagentur Sodefor stammen 40 Prozent des Kakaos der Elfenbeinküste aus Schutzgebieten.

"Die Produzenten von Schokolade haben die Macht, entwaldungsfreien Kakao und eine angemessene Bezahlung der Bauern zu verlangen", sagt Glenn Horowitz, Vorsitzender von Mighty Earth. Er verweist auf andere Waren wie Palmöl, für deren Gewinnung die Lebensmittelhersteller gemeinsam mit den Händlern strenge Naturschutz- und Menschenrechtsstandards vereinbart haben. Würden diese eingehalten, so Horowitz, würde das einen erheblichen Unterschied im Anbau bedeuten. [2]

Die Elfenbeinküste und Ghana produzieren 2,6 Millionen Tonnen Kakao pro Jahr. Damit decken sie 60 Prozent der weltweiten Schokoladenherstellung ab. 2015 wurde mit Schokolade und Schokoladenprodukten ein Umsatz von schätzungsweise 100 Mrd. Dollar erzielt. Pro Jahr wächst der Markt um zwei bis fünf Prozent.

Laut Mighty Earth wurden bereits zehn Prozent der Waldfläche Ghanas durch Kakao-Monokulturen ersetzt. In der einst dicht bewaldeten und sehr artenreichen Elfenbeinküste mußten sieben von 23 Schutzgebieten den Kakaoplantagen weichen. Demnach wurden dort zwischen 2001 und 2014 rund 1178,6 Quadratkilometer Schutzgebiete abgeholzt. Das Land, einst reich an Wald, ist heute zu weniger als elf Prozent von Wald bedeckt, und keine vier Prozent gelten als dicht bewaldet. Im gleichen Zeitraum hat Ghana 7.000 Quadratkilometer Wald abgeholzt. Das entspricht zehn Prozent seiner gesamten Waldfläche; wiederum ein Viertel davon geht auf das Konto der Kakaoproduzenten. Bei gleichbleibendem Trend wird Ghana binnen zehn Jahren seinen gesamten Wald außerhalb der Nationalparks verlieren.

Inzwischen zählen Waldbewohner wie Schimpansen zu den gefährdeten Arten, und Waldelefanten stehen kurz vor dem Aussterben. Einst lebten in der Elfenbeinküste Hunderttausende der Dickhäuter, heute sind es nur noch zwischen 200 und 400 Exemplare. Die Verkleinerung und Verringerung der Schutzgebiete hat Wilderern, die Elefanten der wertvollen Stoßzähne wegen töten, die Arbeit erleichtert. Und in 13 der 23 Schutzgebiete leben heute überhaupt keine Primaten mehr. Auch Zwergflußpferde, Flughörnchen, Schuppentiere, Leoparden und Krokodile verlieren mehr und mehr ihre Lebensräume.

34 führende Schokoladenhersteller haben sich Anfang des Jahres mit dem britischen Teilzeit-Ökobauern Prinz Charles zusammengesetzt und vereinbart, daß sie bis zum November einen Plan erstellen werden, wie die Abholzung für Kakaoplantagen beendet werden kann. Für Mighty Earth ist das ein Hoffnungsschimmer, wenn auch nur ein kleiner.

Die als "Wirtschaften" verharmloste Plünderung der Naturressourcen Westafrikas birgt weitere Aspekte, die in dem Report nicht erwähnt werden: Durch die starke Entwaldung der westafrikanischen Länder verändert sich das regionale Klima. Normalerweise würde der tropische Regenwald teilweise seinen eigenen Regen produzieren. Die Kakaoplantagen jedoch haben eine nicht annähernd so hohe Verdunstungsrate und schaffen das nicht. Dazu kommt noch der Klimawandel. Die wissenschaftlichen Projektionen zur globalen Erwärmung ergeben eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Rückgang der Niederschlagsmenge in Westafrika.

Beide Effekte zusammengenommen erhöhen den Druck auf die Landwirtschaft und verstärken die sowieso schon grassierende Landflucht. Das trägt zur Urbanisierung und somit Ausdehnung von Metropolen wie Abidjan in der Elfenbeinküste und Accra in Ghana durch informelle Siedlungen (Slums) bei. Geht es aber dem Land schlecht, bleibt davon die Stadt nicht unberührt. Auch dort wird sich das Überleben schwieriger gestalten, allein schon weil die Preise für Grundnahrungsmittel steigen, wenn die Leistungsfähigkeit der örtlichen Landwirtschaft schwindet.

Also werden in Zukunft weiterhin junge Menschen aus Westafrika aufbrechen, um in einer wohlhabenderen Weltregion ein Auskommen zu suchen. Das ist naheliegenderweise vor allem die Europäische Union. Man spricht dann von ihnen als "Wirtschaftsflüchtlinge" und ignoriert dabei oder nimmt es wissentlich in Kauf, daß wirtschaftliche Not existenzbedrohend sein kann und daß auf der anderen Seite der eigene Wohlstand - Schokolade satt zu Weihnachten, Ostern und in den Monaten dazwischen ebenfalls - mit dazu beigetragen hat, Menschen zu Flüchtlingen zu machen. Viele von ihnen, die aus Westafrika aufbrechen, dürften zeit ihres Lebens kaum oder noch nie Schokolade gegessen haben. Doch deren Herstellung hat zu ihren Fluchtgründen beigetragen.


Fußnoten:

[1] http://www.mightyearth.org/wp-content/uploads/2017/09/chocolates_dark_secret_english_web.pdf

[2] http://www.sierraclub.org/sierra/green-life/dark-side-chocolate-industry

16. Oktober 2017


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