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AFRIKA/2142: USA weiten Krieg in Somalia aus (SB)


Mehrere Dutzend US-Soldaten nach Somalia entsandt


Somalia zählt zu den Ländern, die sowohl durch innere Zerwürfnisse als auch äußere Interventionen in Regionen permanenter Instabilität verwandelt wurden. Damit werden auch nur die geringsten Bemühungen bereits im Keim erstickt, einen anderen gesellschaftlichen Entwurf als den global vorherrschenden mit seinem neoliberalen Wirtschaftsmodell als Dreh- und Angelpunkt zu entwickeln und umzusetzen. Die für Somalia typische Clanstruktur erfüllte zu keinem Zeitpunkt das Ideal des friedlichen Zusammenlebens, bot jedoch für die Menschen am Horn von Afrika mit seiner langen, auch in früheren Jahrhunderten schon starken Fremdeinflüssen ausgesetzten Küste und als Drehscheibe für Handel und Expeditionen die Ratio des Überlebens.

In den siebziger und achtziger Jahren geriet Somalia wie eine Reihe weiterer postkolonialer Staaten zum Spielball der USA und der Sowjetunion, die auf dem afrikanischen Kontinent ihre Einflußgebiete ausdehnten und dazu Stellvertreterkriege vom Zaun brachen, deren Blutzoll notgedrungen andere für sie entrichten mußten. Zu Beginn der neunziger Jahre vertrieben einige Clans den somalischen Diktator und US-Verbündeten Siad Barre, von dem sie zuvor unterdrückt worden waren. Seitdem sind alle Versuche, eine Zentralregierung zu etablieren, die das ganze Land unter ihrer Kontrolle hätte, gescheitert.

1993 versuchten die USA, unter dem Deckmantel einer von den Vereinten Nationen initiierten Hungerhilfe politischen Einfluß in Somalia zurückzugewinnen und einen ihnen unbequemen Clansführer "aus dem Spiel" zu nehmen. Der Versuch scheiterte und brachte das ganze Land gegen die Ausländer auf, nicht zuletzt nachdem von US-Hubschraubern aus eine Versammlung mit über 50 moderaten Clansführern und anderen einflußreichen Personen Somalias, die sich zu Beratungen über die Frage getroffen hatten, wie man die wachsenden Spannungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Mitgliedern der UN-Hungerhilfemission abbauen könnte, zusammengeschossen worden war. Diese Spannungen waren nicht entstanden, weil die Somalier quasi von Natur aus undankbar gegenüber den ausländischen Helfern gewesen wären, sondern weil sie permanent gedemütigt und mißhandelt wurden.

Laut Amnesty International richteten damals kanadische UN-Soldaten einen verletzten, mutmaßlichen Lebensmitteldieb per Kopfschuß hin; ein 16jähriger Somalier wurde auf dem kanadischen Stützpunkt gefoltert und ermordet. Ein weiterer Somalier wurde ebenfalls getötet.

Auf einem Foto ist zu sehen, wie ein hochrangiger belgischer UN-Soldat auf einen somalischen Jungen uriniert, auf einem anderen Foto halten zwei belgische Fallschirmjäger einen somalischen Jungen über ein Feuer. Dieser erlitt schwere Verbrennungen. Die beiden angeklagten Soldaten wurden mangels eindeutigen Beweisen dafür nicht verurteilt. 15 andere belgische Fallschirmjäger waren wegen mutmaßlicher Folter, Tötung und Scheinexekutionen von Kindern angeklagt worden. Nur einer erhielt eine fünfjährige Haftstrafe, einige kamen mit eine Bewährungsstrafe davon, die meisten wurden überhaupt nicht zur Rechenschaft gezogen.

Während der gleichen Hungerhilfemission haben italienische Soldaten eine Somalierin mit einer Stange Sprengstoff vergewaltigt, Zigaretten auf den Körpern von Gefangenen ausgedrückt und diesen Nahrung und Wasser vorenthalten, um sie gesprächig zu machen. Ein Foto zeigt, wie italienische Soldaten Elektroden an den Genitalien eines am Boden liegenden Somaliers anbringen. Um nur eine Auswahl an schwersten Übergriffen seitens der sich "Helfer" nennenden UN-Soldaten anzuführen, wie sie von der Menschenrechtsorganisation dokumentiert wurden. [1]

In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, daß die USA bei einer Aktion zur Befreiung einiger von Somaliern gefangenen Soldaten mit Kampfhubschraubern (verfilmt und verfremdet als "Black Hawk Down") ganze Stadtviertel der somalischen Hauptstadt Mogadischu zusammengeschossen haben. Die meist aus Lehm gebauten Häuser hatten dem Beschuß wenig entgegenzusetzen. Die Schätzungen der Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung reichen von mehreren hundert bis zu 1500. Die USA verloren 18 Soldaten.

Solche Aktionen trugen nicht unerheblich zu einem tief verwurzelten Haß gegenüber dem Westen und seinen Verbündeten bei und bildeten den Nährboden, auf dem nach der Jahrtausendwende andere ausländische Interessen mit ihrer fundamentalistisch ausgelegten Religion des Islam (gegenüber einer bis dahin in Somalia verbreiteten eher moderaten islamischen Praxis) an Einfluß gewinnen konnten. Mit der Folge, daß sich junge Somalier dem bewaffneten Kampf gegen den Westen bzw. gegen die Ungläubigen anschlossen und weiterhin anschließen. So wurden zwar die somalischen Milizen der dschihadistischen Organisation Al-Shabaab ("Die Jugend") 2011 aus Mogadischu vertrieben, aber sie beherrschen seit Jahren weite Landstriche in Süd- und Zentralsomalia und verüben nach wie vor bis in das Innere von militärischen Einrichtungen und Regierungsstellen hinein Sprengstoffanschläge.

Die neue US-Regierung unter Donald Trump knüpft an die interventionistische Politik ihrer Vorgängerregierungen nahtlos an. Ende März hat Trump den US-Kommandanten vor Ort größere Entscheidungsbefugnis bei Militäroperationen in Somalia eingeräumt. Und vergangene Woche bestätigte eine Sprecherin des bei Stuttgart ansässigen US Africa Command, Samantha Reho, gegenüber AFP einen Bericht von Voice of America (VOA), wonach mehrere Dutzend Soldaten der 101st Airborne Division nach Somalia entsandt werden, um die reguläre somalische Armee bei der Ausbildung und (nicht näher spezifizierten) Sicherheitseinsätzen sowie beim Kampf gegen Al-Shabaab zu unterstützen. Die 101st Airborne Division verfügt über umfangreiche Einsatzerfahrungen im Irak und in Afghanistan. Laut Reho ist dieses leichte Infanterieregiment auf "Luftschläge" spezialisiert. [2]

Der im Februar gewählte somalische Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed besitzt neben der somalischen auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Das ist keine gute Voraussetzung, um mit Al-Shabaab auch nur ins Gespräch über einen Waffenstillstand zu kommen - was von beiden Seiten sowieso nicht angestrebt wird. Anfang April erklärte der neue somalische Präsident den islamistischen Milizen den Krieg.

Die somalische Regierung wird von einer im Aufbau begriffenen, aber wenig schlagkräftigen eigenen Armee sowie der 22.000 Personen starken "Friedensmission" Amisom (African Union Mission in Somalia) geschützt. Offiziell werden die USA demnächst mit vorerst rund 90 Soldaten in Somalia tätig sein, wobei die vermeintlich geringe Zahl zu einem falschen Eindruck beitragen könnte, haben doch die Vereinigten Staaten in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder Angriffe mit Drohnen geflogen oder Raketen von vor der Küste Somalias manövrierenden Kriegsschiffen abgefeuert.

Die Frage ist sicherlich müßig, ob die jüngsten Anschläge Al-Shabaabs auf den neuen Militärchef am 9. April und tags darauf auf eine Militärakademie in Mogadischu eine Antwort auf Donald Trumps Ankündigung verstärkter militärischer Interventionen in Somalia waren oder ob sie als eine Antwort auf die Kriegserklärung Mohamed Abdullahi Mohameds zu deuten sind. In diesem Krieg wird keine Seite obsiegen, die Hauptverluste jedoch muß wie immer die Zivilbevölkerung tragen.

Da das Durchschnittsalter der somalischen Bevölkerung bei rund 18 Jahren liegt und in dem Land seit über einem Vierteljahrhundert Bürgerkrieg herrscht, kennt die junge Generation und somit die große Mehrheit der Somalier nichts anderes als Krieg. Ob sie sich davon beeindrucken läßt, daß die USA in Zukunft vielleicht intensiver als bisher irgendwelche mutmaßlichen Anführer per Drohnenattacke eliminieren oder vermeintliche Ausbildungslager der Milizen per Raketenbeschuß zerstören? Wohl kaum. Eher ist damit zu rechnen, daß sie sich in Zukunft noch geschickter tarnen als bisher und um so brutaler auf solche Angriffe antworten werden. Im übrigen dürfte das Ansehen der somalischen Armee bei der Jugend kräftig darunter leiden, daß immer mehr ausländische Soldaten zur Unterstützung der Regierung in dem Land oder seinen Nachbarstaaten wie Dschibuti stationiert werden.

Bei einer Ausweitung des Kriegs, wie sie offenbar jetzt von den USA angestrebt wird, dürfte eine Beendigung des Bürgerkriegs in Somalia sicherlich nicht einmal ansatzweise gelingen. Solange aus dem Ausland agierende, fremdnützige Interessen versuchen, Somalia unter ihre Kontrolle zu bekommen, werden die Kämpfe andauern.


Fußnoten:

[1] https://www.amnesty.de/umleitung/2002/deu05/003?print=1

[2] http://www.africadaily.net/reports/A_few_dozen_US_troops_deployed_to_Somalia_Pentagon_999.html

19. April 2017


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