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AFRIKA/2129: Ruandas Präsident Kagame, ein Flugzeugattentäter? (SB)


Wer enthauptete auf einen Schlag zwei Staaten ihrer Führung?

Frankreich nimmt Ermittlungen auf


Man stelle sich vor, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande sowie einige hochrangige Militärs und Berater würden zusammen in einem Flugzeug fliegen und beim Landeanflug von einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen. Anschließend brächen Unruhen aus. Würde bei solch einem Ereignis nicht sofort die Frage gestellt, wer für das Attentat verantwortlich ist? Und sollte man nicht von einer eigens von den Vereinten Nationen eingerichteten Untersuchungskommission erwarten, daß sie nicht nur zu den Unruhen, sondern auch hinsichtlich ihres Auslösers ermittelt?

Eigentlich ja, aber im Fall des Abschusses der Maschine des ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana und seines burundischen Amtskollegen Cyprien Ntaryamira am frühen Abend des 6. April 1994 beim Landeanflug auf den Flughafen der ruandischen Hauptstadt Kigali hat sich das noch im selben Jahr einberufene Ad-hoc-Tribunal für Ruanda regelrecht geweigert, die Täterschaft aufzuklären. Das ist schwer zu verstehen, zumal das Attentat den Auftakt zu einem 100 Tage währenden Blutbad war, bei dem rund 800.000 Ruander - vorwiegend vom Volk der Tutsi sowie gemäßigte Hutu - niedergemetzelt wurden.

Die frühere UN-Chefanklägerin Louise Arbour ließ sogar eine ganz heiße Spur, die eines ihrer internationalen Ermittlungsteams entdeckt hatte und mit einiger Berechtigung erwarten ließ, daß der oder die Attentäter binnen kurzer Zeit unter Eid genannt werden würden, fallen wie eine heiße Kartoffel. Und der eigentlich doch höchst erfolgreiche Leiter der Ermittlungsgruppe, der australische Anwalt Michael Hourigan, wurde zurechtgestutzt, mußte die bisherigen Ermittlungsergebnisse seines Teams verbrennen und wurde fortan kaltgestellt.

Daß das zu allerlei Mutmaßungen führen mußte, beispielsweise dahingehend, daß im Hintergrund einflußreiche Kräfte an den Fäden gezogen haben, konnte nicht ausbleiben; zumal der geopolitische Kontext bekannt war, wonach zur damaligen Zeit ein intensives Ringen um Erhalt und Zugewinn kolonialzeitlicher Einflußbereiche zwischen Frankreich auf der einen Seite und USA/UK auf der anderen stattfand. Frankreichs "Verlust" Ruandas an die angloamerikanischen Hegemonialinteressen in Folge der opferreichen Ereignisse in Ruanda gäbe ein durchaus plausibles Motiv für ein Attentat ab. Vielleicht kommt ja noch der Tag, an dem Arbour, die wert auf ihren integren Ruf legt, mehr darüber verrät, als was sie bisher zu ihrer damaligen Entscheidung gesagt hat. [1]

Eine Gelegenheit dazu bietet womöglich der jüngste Versuch Frankreichs, jene Kartoffel, die sie fallengelassen hat und die schon vor langer Zeit erkaltet ist, wieder aufzuwärmen und ihr, vielleicht in Scheiben geschnitten und scharf angebraten, noch Geschmack abzugewinnen. Anfang dieses Monats haben die französischen Behörden ein Ermittlungsverfahren wiedereröffnet, um die Verantwortlichen des Abschusses der Präsidentenmaschine festzustellen und zur Rechenschaft zu ziehen. [2]

An Bord der Falcon 50 hatten sich auch drei französische Besatzungsmitglieder befunden, was bereits vor vier Jahren Ermittlungen ausgelöst hatte. Es gibt zwei Hauptdeutungen der Ereignisse: Kagame, ein in Uganda lebender Sohn von Exil-Tutsi und 1994 Befehlshaber der aus dem Nachbarland stammenden Invasionsarmee Ruandische Patriotische Front (RPF), deren Mitglieder anfangs noch ugandische Militäruniformen trugen und die sich "Rebellenarmee" nannte, hat den Abschuß befohlen, weil er die Macht nicht mit Habyarimana teilen wollte. Oder aber radikale Hutu haben ihren eigenen Präsidenten umgebracht, weil auch sie mit dem 1993 gefaßten Kompromiß des Friedensschlusses nicht einverstanden waren.

Frankreich hat schon einmal versucht, die Ermittlungen aufzurollen, jetzt liegen neue Beweise vor, die wieder einmal auf Kagame deuten und von so viel Gewicht sind, daß sie kaum ignoriert werden können. Ausgerechnet Kagames früherer Militärchef und enger Verbündeter General Faustin Kayumba Nyamwasa hat eine zwölfseitige eidesstattliche Erklärung abgegeben, in der er bezeugt, daß er am 6. April 1994 ins Hauptquartier einbestellt worden war, wo Kagame und zwei Adjutanten Rundfunkmeldungen über das Attentat lauschten. "Wir hörten den Ankündigungen und Kommentaren rund fünf Minuten lang zu, bis Paul Kagame die Lautstärke des Kofferradios herunterdrehte und uns berichtete, daß unsere Soldaten die Maschine von Präsident Habyarimana abgeschossen hätten", heißt es in der eidesstattlichen Erklärung, die der kanadischen Zeitung Globe & Mail vorliegt. Kagame habe erklärt, daß nur ein kleiner Kreis von Personen eingeweiht gewesen sei, um ein Durchsickern von Informationen zu verhindern, und die Aktion unter seinem direkten Kommando stattgefunden habe. [2]

Bereits am Morgen nach dem Abschuß griffen radikale Hutu zu den Waffen und töteten Tutsi. Nach 100 Tagen beendete Kagames RPF das Abschlachten. Seitdem kontrolliert sie das Land und Kagame war zunächst inoffiziell als Verteidigungsminister, dann offiziell als Präsident stets der erste Mann im Staat. Seitdem hat er die Macht nicht mehr aus der Hand gegeben. Das hat den günstigen "Neben"effekt, daß er als Präsident besser vor Strafverfolgung geschützt ist als ein Normalbürger.

Im Laufe der Jahre sind auffällig viele seiner politischen Gegner im In- und Ausland Anschlägen zum Opfer gefallen oder wie Kagames Konkurrentin um das Präsidentenamt, Victoire Ingabire, ins Gefängnis geworfen worden. Ein Zeuge ist auf unerklärliche Weise spurlos aus einem von hohen Mauern umgebenen und bewachten Sicherheitshaus des Internationalen Strafgerichtshofs in Arusha, Tansania, verschwunden, kurz bevor er vor Gericht ausgesagt hätte, daß er und andere Zeugen unter Druck gesetzt worden seien, vor dem UN-Tribunal falsch auszusagen (und somit Hutu zu belasten, also von RPF-Übergriffen abzulenken). Es fällt auf, daß immer dann, wenn solche Aussagen aktenkundig werden könnten, irgend etwas dazwischen kommt.

General Nyamwasa war von 1998 bis 2002 ruandischer Armeechef, ist aber in Ungnade gefallen, mußte um sein Leben fürchten und ist nach Südafrika geflohen, wo er heute noch lebt. Im Exil wurde schon zweimal versucht, ihn umzubringen, und die Spur deutet auf die ruandische Regierung.

Die Wiederaufnahme der Ermittlungen ist nicht der erste Aufwärmversuch des Ruanda-Attentats, und es ist auch nicht der erste Versuch, der unverzüglich eine harsche Reaktion seitens des heutigen ruandischen Präsidenten Paul Kagame ausgelöst hätte. Wenn Frankreich den "Showdown" [3] wolle, könne es ihn haben, tönte dieser, und die regierungsnahen Medien des Landes ergehen sich in Anschuldigungen Frankreichs. Es habe die damalige Habyarimana-Regierung unterstützt und wolle sich vom Vorwurf der Genozid-Beteiligung reinwaschen, wird in einer Wunde gewühlt, die bis heute offen ist: Frankreich hatte die Habyarimana-Regierung unterstützt, bis in die Zeit des Abschlachtens kamen noch Waffenlieferungen aus Frankreich an. Aber was das mit dem Abschuß der Präsidentenmaschine zu tun haben soll, will sich partout nicht erschließen ...


Fußnoten:

[1] http://www.theperspective.org/louisearbour.html

[2] http://www.theglobeandmail.com/news/world/probe-revisits-mystery-of-assassination-that-triggered-rwandan-genocide/article32316139/

[3] http://www.bbc.com/news/world-africa-37613315

19. Oktober 2016


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