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AFRIKA/2115: USA sorgen für Rekrutennachschub al-Shabaabs in Somalia (SB)


Drohne für Drohne

USA praktizieren außergerichtliche Hinrichtungen am laufenden Band und schaffen sich so immer weitere Interventionsvorwände



Am 31. Dezember 2014 hat das US-Verteidigungsministerium mitgeteilt, daß in Somalia ein hochrangiges Mitglied der al-Shabaab-Milizen von einem unbemannten Fluggerät der USA getötet worden ist. Bei dem zwei Tage vor dieser Meldung liquidierten Tahlil Abdishakur soll es sich um den Leiter des Nachrichten- und Sicherheitsdienstes dieser Milizenorganisation gehandelt haben. [1]

Den Angaben des Pentagons zufolge wurde das Fahrzeug, in dem sich der Mann befunden haben soll, von mehreren Hellfire-Raketen getroffen. Tahlil war für die "externen Operationen" al-Shabaabs verantwortlich, wird behauptet. "Sein Tod wird signifikanten Einfluß auf al-Shabaabs Fähigkeit haben, Angriffe gegen die Regierung der Bundesrepublik Somalia, das somalische Volk sowie US-Verbündete und -Interessen in der Region zuführen", heißt es in der Stellungnahme des Pentagons.

Demnach ereignete sich der Anschlag nahe Saakow, rund 320 Kilometer westlich der Hauptstadt Mogadischu, und es kam mindestens ein weiterer Fahrzeuginsasse ums Leben. Ganz genau weiß man das nicht. Dennoch behauptet das Pentagon zu wissen, daß es bei dem Anschlag zu keinen zivilen Opfern gekommen ist.

Falls das zutrifft, muß man wohl annehmen, daß sich diejenige Person, die den Joystick bewegt und den Auslöser gedrückt hat, um die Kampfdrohne zu steuern und die Raketen abzufeuern, vorher vergewissern konnte, daß sich in dem Fahrzeug zum Beispiel keines der von den Boko Haram in Nordnigeria entführten und später auf dem Sklavenmarkt verkauften Schulmädchen befunden hat ...

Mit dieser drastischen Andeutung soll veranschaulicht werden, daß die US-Streitkräfte keineswegs sicher sein können, wen sie mit ihren Drohnen töten, und daß sie auch den Tod von Zivilisten in Kauf nehmen. Theoretisch könnte es also sein, daß bei so einer außergerichtlichen Hinrichtung ausgerechnet ein Mädchen umgebracht wird, dessen Schicksal wie das von ursprünglich über 270 ebenfalls entführten Mädchen (einige von ihnen konnten fliehen) die ganze Welt bewegt und zu der breiten Solidaritätskampagne "Bring back our girls" (Gebt uns unsere Mädchen zurück) geführt hat. [2]

Selbst wenn das Konzept, mit Hilfe unbemannter Fluggeräte feindliche Kämpfer auszuschalten, aufgehen würde, wäre das noch immer keine Legitimation für außergerichtliche Liquidationen, wie sie die USA nicht zum ersten Mal in Somalia verübt haben.

Die indirekte (und manchmal direkte) Radikalisierung somalischer Kräfte aufgrund solcher suprematistischen Maßnahmen hat eine lange Tradition. Bereits Ende der siebziger Jahre unterstützte Washington den somalischen Diktator Siad Barre, wobei dieser erfolgreich aus dem Einflußbereich der Sowjetunion herausgelöst wurde. Barre, der sich 1969 an die Macht geputscht hatte, wurde seinerseits 1991 gestürzt. Danach stand das Land unter Kontrolle verschiedener einander befehdender Clans.

1992/93 nutzten die USA die eigentlich als Hungerhilfe gedachte UN-Mission UNOSOM, um in die inneren Machtkämpfe Somalias einzugreifen, und machten Jagd auf den Clanführer Mohammed Farah Aidid, den sie jedoch nicht erwischten. Dafür bombardierten und töteten sie rund 50 Clanführer, die sich versammelt hatten, um nach einer Lösung des Problems der sich immer stärker aufbauenden Spannungen zwischen der Bevölkerung und den US-Soldaten zu suchen. Schließlich wurden am 3./4. Oktober in der "Schlacht von Mogadischu" schätzungsweise 1000 bis 2000 somalische Einwohner insbesondere von US-Kampfhubschraubern aus getötet. Anschließend zogen sich die USA aus dem Bürgerkriegsland zurück.

Zwischen 2005 und Anfang 2006 rüstete der US-Geheimdienst CIA eine Bande Warlords, die unter anderem mit Wegelagerei ihr Einkommen bestritten, mit Waffen und Geld aus, damit sie einen Stellvertreterkrieg gegen die allmählich erstarkende Union der Islamischen Gerichte führten. Der Schuß ging jedoch nach hinten los. Binnen eines halben Jahres wurden die Warlords vertrieben, und die Kämpfer der Union eroberten abgesehen von der Hauptstadt weite Teile des Landes. Anschließend führten sie ihre strenge Auslegung der Scharia ein, was zunächst nur bedingt gelang. (Das Verbot, im Fernsehen die Fußball-Weltmeisterschaft anzuschauen, war gegen den Willen der Bevölkerung nicht durchsetzbar.)

Die Somalier waren eigentlich nie besonders strenggläubige Muslime, sondern hatten sich stets eine gewisse Gelassenheit in religiösen Dingen bewahrt. Zudem war die Gesellschaft sehr stark von der Clanstruktur geprägt, was die Verbreitung einer monotheistischen Religion wie den Islam zwar nicht verhinderte, aber auch nicht gerade begünstigte; Staaten mit einer starken Zentralregierung sind dafür empfänglicher. Hinzu kommt eine tief in der Geschichte Somalias, die von Eroberungen durch fremdländische Interessen geprägt ist, verankerte Einstellung gegen Interventionen von außen.

Dieser Hintergrund hat mit dazu beigetragen, daß die Hungerhilfe der UNO nicht ausschließlich auf Wohlwollen, sondern auch auf Mißtrauen gestoßen war. Der vom Fernsehsender CNN begleitete, recht überheblich wirkende Auftritt der US-Soldaten und ihr gesamtes Verhalten während der "Hungerhilfe" bestätigten die Somalier in ihrer Ablehnung der "helfenden" Fremden.

An dieser Einstellung hat sich bis heute wenig geändert, wohl aber hat der fundamentalistisch ausgerichtete Islam erheblich an Boden gewonnen. Zwar wäre es eine zu verkürzte Darstellung, die Radikalisierung als bloße Reaktion auf den westlichen Interventionismus anzusehen, aber es wäre ebenso eine verkürzte Sicht, diesen bei der Analyse der heutigen Lage Somalias unbeachtet zu lassen.

Die bereits im vergangenen Jahrzehnt begonnenen Hinrichtungen von Einwohnern Somalias durch Raketen, die auch von US-Kriegsschiffen vor der Küste abgefeuert wurden, wird in diesem Jahrzehnt vermehrt mit Drohnen fortgesetzt. Anfang September 2014 wurde Ahmed Abdi Godane, mutmaßlicher Anführer al-Shabaabs, wiederum mittels eines unbemannten Fluggeräts getötet. [3]

Nun also Tahlil Abdishakur, ebenfalls ein mutmaßlich hochrangiges Mitglied der somalischen Milizen. Der möglicherweise bei der Leserschaft aufkommende Reflex, "wieder ein Bösewicht weniger", beruht - abgesehen davon, daß solche Maßnahmen aus rechtlichen Gründen abzulehnen sind - auf einer Fehleinschätzung. Mit jedem Drohnenmord wird die Zahl der al-Shabaab-Mitglieder nicht reduziert, sondern vergrößert. Somalier, die bis dahin vielleicht noch unschlüssig waren und Zweifel hegten, ob sie sich den Milizen anschließen sollen, werden höchstwahrscheinlich durch die Liquidierung ihrer Landsleute den Milizen in die Arme getrieben.

Wenn die Menschenrechte von denen, die sie propagieren, mit Füßen getreten werden, muß man sich nicht wundern, wenn in Somalia, Nigeria und anderen Staaten der Erde sich zunehmender Grausamkeit bedienende, religiös verankerte Bewegungen gegen die westliche Einflußnahme, etablierte Regierungsstrukturen und zu "Ungläubigen" abgestempelte Menschen erstarken.


Fußnoten:

[1] http://www.defense.gov/news/newsarticle.aspx?id=123899

[2] http://bringbackourgirls.us/

[3] http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2014/09/05/statement-press-secretary-death-ahmed-godane

2. Januar 2015


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