Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/2078: Bomben auf Mali (SB)


Die Francafrique ist tot - es lebe der Neo-Interventionismus

Frankreich und seine Verbündeten greifen militärisch in den malischen Bürgerkrieg ein



Wieder einmal fallen Bomben auf ein Land, und alle finden es gut. Frankreich hat seine Streitkräfte von der Leine gelassen und im Norden Malis sowie in zentralen Landesteilen mutmaßliche Stellungen Aufständischer angegriffen. Keine Stimme in den meinungsbeherrschenden deutschen Konzernmedien, die diese Entscheidung des französischen Präsidenten François Hollande grundsätzlich in Frage stellte. Fast alle fordern eine Beteiligung der Bundeswehr. Mit so willigen Kriegsbefürwortern in den Redaktionen landauf, landab lassen sich in Zukunft gewiß noch ganz andere Kriege führen.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Verteidigungsminister Lothar de Maiziere (CDU) haben bereits zum Ausdruck gebracht, daß sie zwar keine Soldaten in den Kampfeinsatz schicken wollen, aber daß erwogen bzw. geprüft wird, ob die Bundeswehr bei der Logistik sowie der Ausbildung malischer Regierungstruppen "helfen" kann. Spiegel online [1], anscheinend erpicht darauf, demnächst über einen weiteren Kriegsschauplatz mit deutscher Beteiligung berichten zu dürfen, sieht die Bundesregierung bereits unter "Zugzwang", da nun Frankreich vorgeprescht sei und Unterstützung sowohl von den USA als auch Großbritannien erhalte. Als ob die deutsche Regierung immer nur gezwungen wird, auf die eigentlichen Macher unter den NATO-Bündnispartnern zu reagieren, und keine eigenen Interessen in Afrika verfolgt.

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, sieht laut "Tagesspiegel" [2] in Mali deutsche, respektive europäische Sicherheitsinteressen bedroht - zumindest "langfristig". Um welche Fristen es sich hier handelt, blieb offen, doch was Arnold unter "Sicherheit" versteht, brauchte er nicht näher zu erläutern. Spätestens seitdem ein deutscher Bundespräsident sein Amt niedergelegt hat, weil er aussprach, was alle wußten, nämlich daß Deutschland auch deshalb Krieg führt, weil es schlicht seine Rohstoffinteressen wahren will, braucht nun wirklich niemand mehr um den heißen Brei herumzureden. Von "Zugzwang", wie ihn Spiegel Online fabuliert, kann jedenfalls keine Rede sein.

Fabulieren ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal der Medien. Auch Arnold kennt sich damit aus, hat er doch gefordert, daß man eine Unterstützung Frankreichs nicht "reflexhaft ablehnen" dürfe. Ja, wer soll denn das getan haben? Indem der Sozialdemokrat die Ablehnung einer Kriegsbeteiligung mit Reflexen, also unwillkürlichen Handlungen, verknüpft, spricht er umgekehrt einer ablehnenden Haltung gegenüber einem Militäreinsatz von vornherein jede willentlich gefällte Entscheidung ab.

Auch sagte er, im typisch vielschichtigen, beinahe beliebig auslegbaren, auf jeden Fall in alle Richtungen offenen Politjargon: "Wenn wir in Europa zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik stehen, können wir uns keinen Unilateralismus leisten." [2] Hier wäre zu fragen: Und wenn wir nicht dazu stehen, was geschieht dann? Und wieso kommt der Eindruck auf, daß Arnold Unilateralismus befürworten würde, wenn Deutschland ihn sich leisten könnte? Und wieso wird die Ablehnung einer Kriegsbeteiligung in diesem einen Beispiel mit dem Suffix "-ismus" belegt, womit eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung nahegelegt wird?

Als "konsequent und richtig" bezeichnete Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) im Deutschlandfunk [3] die Intervention französischer Truppen in Mali. Damit heißt der Minister zwar nicht den Tod von einer Million Kindern gut, weil das angeblich der richtigen Sache dient, wie es einst die US-Außenministerin Madeleine Albright mit Blick auf das Öl-gegen-Lebensmittelprogramm des UN-Sicherheitsrats gegenüber der irakischen Bevölkerung tat, aber die hinter der Aussage stehende Argumentationslogik ist die gleiche, nur daß die Dimension der in Kauf genommenen Kollateralschäden des "richtigen" Militäreinsatzes in Mali um einiges kleiner ist.

Dennoch, auch Frankreich hat die Bürger eines anderes Landes, die keine Kämpfer waren, umgebracht, weil es angeblich "richtig" und "konsequent" ist. In welcher Zahl, ist im übrigen noch unklar. Ein Sprecher der Rebellengruppe Ansar El-Dine, Sanda Ould Bouamana, sagte in einem Interview mit Al Jazeera [4], daß bei Frankreichs Bombenangriffen auf die malische Stadt Konna viele Zivilisten getötet worden seien; überall gäbe es Verletzte. Unter den Toten befänden sich lediglich fünf Kämpfer. Diese Angaben sind ebensowenig bestätigt wie die der Regierungen Frankreichs hinsichtlich der Opferzahlen. Demnach sind an mehreren Gefechtsstellen in Nord- und Zentralmali zusammen über 100 Menschen getötet worden.

Frankreich und England wollen die "Entstehung eines neuen sicheren Hafens für Terroristen an der Schwelle zu Europa" verhindern, heißt es in Presseberichten. Eine Schwelle gehört normalerweise weder zur Straße noch zum Nachbargrundstück, sondern zum eigenen Haus. Mali liegt über tausend Kilometer von Europa entfernt. Das ist so, als würde Dänemark die Schweiz als Schwelle zu seinem Territorium bezeichnen. Und da soll noch jemand behaupten, der Kolonialismus sei Geschichte!

Der rasche Vorstoß Frankreichs besaß eine klare strategische Komponente. Letztlich wollen die NATO-Staaten keine eigenen Soldaten in den Kampfeinsatz schicken. Das sollen die Truppen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS übernehmen. Der Einsatz - Unterstützungsmission genannt - von 3000 Mann wurde bereits vom UN-Sicherheitsrat in der Resolution 2085 abgesegnet. Um aber die Soldaten zügig nach Nordmali zu bringen, kommt man um den Lufttransport nicht herum. Die einzige Landebahn für Transportflugzeuge befindet sich in der Stadt Gao. Deshalb wollte Frankreich die Rebellen rechtzeitig stoppen, bevor sie sich in der Stadt festsetzen und dort einbunkern oder die Landebahn zerstören.

Hollande behauptet, daß die Intervention in Mali keinen Rückfall in alte Gewohnheiten darstelle. Frankreich hatte in der Vergangenheit häufiger militärisch zugunsten afrikanischer Potentaten, zu denen es beste Geschäftsbeziehungen unterhielt, interveniert. Dabei war es um Rohstoffsicherung gegangen und grundsätzlich darum, seinen Einfluß auf die ehemaligen afrikanischen Kolonien nicht zu verlieren.

Wenn man es hier in Mali mit keinem Rückfall in alte Zeiten, der Hochblüte der Francafrique, zu tun hat, so doch mit ihrer Transformation ins 21. Jahrhundert und der Anpassung des Kolonialismus an veränderte globalgesellschaftliche Bedingungen. Frankreich hat die Zahl der Militäreinsätze seit Beginn des letzten Jahrzehnts in Afrika nicht zurückgefahren: Elfenbeinküste (2002, 2004 und 2011), Tschad (2008), Libyen (2011) und Mali (2013) lauten die Stationen, an denen die Grande Nation die Waffen sprechen ließ. Auch der gescheiterte Versuch einer gewaltsamen Geiselbefreiung in Somalia vor wenigen Tagen sowie frühere Militäraktionen im Rahmen der Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika könnte man in die Liste der Militäreinsätze aufnehmen.

Jede Generation schafft sich ihre eigenen Kriegsvorwände. Mag die Francafrique beerdigt sein, die hegemonialen Interessen Frankreichs und seiner Verbündeten sind es nicht. Für den Militäreinsatz in Libyen 2011 und jetzt für den in Mali erteilte der UN-Sicherheitsrat grünes Licht. Und wer sitzt in diesem Weltgremium? Frankreich. Unter anderem. Auch die USA und England, die den Mali-Einsatz unterstützen. Das schmeckt nach Selbstmandatierung.

An die Stelle der Francafrique ist der vom UN-Sicherheitsrat beschlossene "gute" Interventionismus getreten - als ob jemals eine kriegführende Nation etwas anderes behauptet hätte, als daß sie im Namen des Guten und Richtigen handelte. "Böse" wäre somit eine Erfindung derjenigen, die sich den Guten zurechnen, um die eigenen Machenschaften legitim erscheinen zu lassen.


Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/bundeswehr-frankreichs-mali-einsatz-setzt-deutschland-unter-zugzwang-a-877279.html

[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/konflikt-in-mali-spd-politiker-arnold-fordert-deutsche-hilfe-fuer-mali/7623072.html

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1977304/

[4] http://allafrica.com/view/group/main/main/id/00022194.html

14. Januar 2013