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AFRIKA/2065: Ruandischer General im Exil erhebt schwerste Vorwürfe gegen Präsident Paul Kagame (SB)


Kagame ordnete 1994 Abschuß des ruandischen Präsidenten Habyarimana an

Aussage General Faustin Kayumba Nyamwasa vor südafrikanischem Gericht



Der ehemalige Stabschef der ruandischen Armee und frühere Botschafter Ruandas in Indien, General Faustin Kayumba Nyamwasa, hat am 21. Juni vor einem südafrikanischen Gericht erklärt, Ruandas heutiger Staatsführer habe 1994 das Attentat auf den damaligen Präsidenten des Landes angeordnet. [1] Offenbar interessiert eine so brisante Meldung von einem Insider aus dem ruandischen Regierungsapparat kaum jemanden, die internationale Medienberichterstattung darüber kann man jedenfalls nur als bescheiden bezeichnen.

Die Widersprüche um die Enthauptung gleich zweier Staaten durch ein einziges Attentat am Abend des 6. April 1994 konnten nie vollständig aufgeklärt werden. Damals wurde das Flugzeug des ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana beim Landeanflug auf den Flughafen in der ruandischen Hauptstadt Kigali mit Boden-Luft-Raketen vom Himmel geholt. Mit an Bord befanden sich unter anderem der burundische Präsident Cyprien Ntaryamira sowie der ruandische Stabschef. Der Vorfall gilt als der Zündfunke, der die enormen Spannungen innerhalb der Bevölkerung und die Kriegsvorbereitungen sowohl radikaler Hutu-Milizen als auch der vom Ausland unterstützten Tutsi-dominierten Invasionsarmee Ruandische Patriotische Front (RPF) in Gewaltakte explodieren ließ. Binnen einhundert Tagen wurden schätzungsweise 800.000 ruandische Tutsi und gemäßigte Hutu umgebracht. In dieser Zeit zogen die Vereinten Nationen ihre Blauhelmtruppe bis auf ein Restkontingent ab, und die RPF eroberte Schritt für Schritt das Land.

Der Kernwiderspruch dieses als "Ruanda-Genozid" in die Geschichte eingegangenen Massakers dreht sich um die Frage, wer damals das Flugzeug abgeschossen hat. Waren jene radikalen Hutu nicht mit dem Kurs ihres Präsidenten, ein Hutu wie sie, einverstanden, da er auf den gewaltigen Druck von außen reagierte und 1993 mit der RPF das Friedensabkommen von Arusha abgeschlossen hat? Mußte Habyarimana sterben, weil er in den Augen extremistischer Hutu zu nachgiebig war?

So lautet jedenfalls die Version, die sich bislang in der Lesart der ruandischen Presse sowie der westlichen Mainstream-Medien durchgesetzt hat. Widersprüche und offene Fragen werden ignoriert oder gar unterdrückt. So ist bis heute nicht geklärt, warum der Ermittler Michael Hourigan des von den Vereinten Nationen eingesetzten Sondertribunals für Ruanda, das die Rädelsführer des Genozids dingfest machen sollte, ausgerechnet zu dem Zeitpunkt seine Nachforschungen zum Flugzeugattentat abbrechen mußte, als er seiner damaligen Vorgesetzten Louise Arbour mitteilte, sein Team habe eine ganz heiße Spur und drei aussagewillige Zeugen, die auf den damaligen RPF-Anführer Paul Kagame als Attentatsverantwortlichen deuteten. Hourigan bereut bis heute, daß er damals die "sichere Leitung", die ihm die US-Botschaft für seine Meldung an Arbour eingerichtet hatte, benutzt hat ...

Wie die Geschichte weiterging ist bekannt. Hourigan, ein angesehener australischer Kriminalbeamter und Rechtsanwalt, nahm seinen Hut, nachdem ihm von Arbour ein Maulkorb verpaßt worden war und er ihr seine Beweismittel aushändigen mußte. Jahre später gab der Ermittler eine eidesstattliche Erklärung zu dem Vorgang seines Rücktritts und seinen Ergebnissen ab [2]. Jener der Attentatsplanung verdächtige Paul Kagame wurde erst Verteidigungsminister, dann Präsident Ruandas und regiert das Land mit harter Hand. Oppositionelle werden ausgeschaltet - was in manchen Fällen wörtlich zu verstehen ist. Ein von der Regierung in Auftrag gegebenes, überaus wortreiches Gegengutachten kommt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, daß die Hutu ihren eigenen Präsidenten umgebracht haben. Heute werden mit rechtlichen Mitteln, unter anderem dem Gesetz gegen Genozidleugnung, unliebsame Meinungen innerhalb Ruandas massiv unterdrückt.

General Nyamwasa, einst ein enger Vertrauter Kagames, ist in Südafrika als Zeuge vor Gericht geladen. Angeklagt sind drei Ruander und drei Tansanier, die beschuldigt werden, ihn vor seinem Haus in Johannesburg nach einer Einkaufstour mit seiner Frau angeschossen zu haben. Der Vorfall ereignete sich im Juni 2010, nur wenige Monate nachdem der in Ungnade gefallene General ins südafrikanische Exil geflohen war. Nyamwasa wurde ins Krankenhaus gebracht und überlebte das Attentat, eine Kugel steckt weiterhin in der Nähe seines Rückgrats fest. Noch während seiner Genesung soll ein ruandischer Geschäftsmann mit belgischem Paß namens Pascal Kanyandekwe versucht haben, ihn zu erwürgen. [3] Die südafrikanischen Polizei habe dies verhindert, so heißt es.

Vergangene Woche sagte Nyamwasa vor Gericht aus, daß er seiner Vermutung nach umgebracht werden sollte, weil er wisse, daß der heutige Präsident Ruandas das Attentat auf Präsident Habyarimana angeordnet habe. Der Richter Stanley Mkhari ließ die Aussage des Zeugen mit der Begründung, es handele sich um bloße Spekulation, nicht weiter ausführen und nahm sie nicht als Beweis auf. Nyamwasa berichtete außerdem, er habe noch vor dem Attentat auf ihn die Gelegenheit erhalten, ein Telefonat mit dem Brigadier Jack Nziza von der ruandischen Militärführung mitzuhören, in dem das Attentat auf ihn besprochen worden sei. Der Angriff auf ihn sei jedoch erfolgt, noch bevor die von ihm unterrichtete südafrikanische Polizei Schutz für ihn abgestellt hatte.

Obwohl die Erklärung Nyamwasas zu den mutmaßlichen Machenschaften Paul Kagames von höchster Brisanz ist, zumindest aus Sicht der ruandischen Bevölkerung sowie der Angehörigen der bei dem Attentat ums Leben gekommenen Passagiere und Besatzung, die ein Recht auf genaue Aufklärung reklamieren, erregt die Zeugenaussage vergleichsweise wenig internationale Aufmerksamkeit. Es hat den Anschein, als besäße niemand ein Interesse daran, den Ruf Kagame zu demontieren. Dem im ugandischen Exil aufgewachsenen und aus dem Tutsi-Adel hervorgegangenen früheren Geheimdienstchef der ugandischen Armee, der 1990 gerade eine Spezialausbildung an der US-Militärakademie in Fort Leavenworth absolvierte, die er abbrach, um die überraschend führungslos gewordene RPF zu übernehmen, ist es gelungen, sich der schützenden Hand einflußreicher Freunde zu versichern. Abgesehen von den USA und Großbritannien, die Kagame benutzt haben, um Frankreichs Einfluß in Afrika zurückzudrängen, haben sich, nach einer jahrelangen Eiszeit, während der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys auch Frankreich und Ruanda wieder angenähert.

Das wären plausible Gründe, weswegen General Nyamwasa eine eigentlich ungeheuer folgenschwere Aussage treffen kann und nichts passiert. Ein weiterer Grund, weniger offensichtlich, aber deswegen keineswegs geringer zu bewerten, ist das, was mit dem ruandischen Gesetz gegen Genozidleugnung durchgesetzt werden soll. Die Ruander und die übrige Welt haben die offizielle Version der Täterschaft und des Ablaufs der damaligen Massaker gefälligst anzuerkennen und dürfen keine Zweifel anmelden oder Fragen aufwerfen, die nicht beantwortet sind.

Einen Bericht zu schreiben und zu veröffentlichen, wie Sie ihn gerade lesen, dürfte in Ruanda schwerwiegendste Folgen nach sich ziehen. Die Verantwortlichen müßten mit einer langjährigen Haftstrafe oder noch Schlimmerem rechnen. Dadurch werden zwar die ungeklärten Fragen nicht beantwortet, aber alle aus dem Verkehr gezogen, die solche Fragen stellen. Eigentlich sollte man annehmen, daß so ein politisches Verständnis von Staatsführung in den westlichen Demokratien Empörung auslösen müßte. Aber dem ist nicht so. Die ruandische Regierung erhält reichlich Unterstützung aus der westlichen, bzw. westlich orientierten Welt. Die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise hat Ruanda zum Schwerpunktland der Entwicklungszusammenarbeit erklärt.

Außerdem bildet der Ruanda-Genozid - nur in der offiziellen Lesart, versteht sich - einen ordnungspolitischen Baustein, der gebraucht wird, um den humanitären Interventionismus zu rechtfertigen. Schon 1999 beim Angriff der NATO auf Rest-Jugoslawien war von westlichen Politikern nicht nur auf die Aussage "Nie wieder Auschwitz" rekurriert worden, sondern auch auf das vermeintliche Versagen des Westens, der den Ruanda-Genozid nicht verhindert habe. Daß das "Versagen" möglicherweise keines war, sondern schiere Machtpolitik, die Kagame und dem amerikanisch-britischen Einfluß in Afrika zugute kommen sollte, wurde bislang viel zu wenig erörtert.

Es sieht derzeit nicht danach aus, als könnte die Erklärung des ruandischen Generals Nyamwasa, demzufolge Paul Kagame das Flugzeug mit den Präsidenten Ruandas und Burundis an Bord habe abschießen lassen, daran etwas ändern.


Fußnoten:

[1] "S. Africa: Rwandan general accuses Kagame", Associated Press, 21. Juni 2012
http://news.yahoo.com/africa-rwandan-general-accuses-kagame-130405786.html

[2] http://www.theage.com.au/ed_docs/Statement%20re%20plane%20crash.doc

[3] South Africa tries 6 for allegedly trying to kill Rwandan critic Trial witnesses claim Rwanda sent agents to silence government critic. Erin Conway-SmithJuly 6, 2011 07:04
http://www.globalpost.com/dispatch/news/regions/africa/south-africa/110705/rwanda-south-africa-trial

26. Juni 2012