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AFRIKA/2044: "Nairobi Action Plan" legt Land Grabbing Zügel an und gibt ihm zugleich die Sporen (SB)


Landnahme in Afrika

Regierungen wollen größeren Anteil am Kuchen


In Afrika gibt es noch riesige landwirtschaftliche Flächen, die von niemandem genutzt werden und deshalb von ausländischen Investoren erschlossen werden können, lautet ein weit verbreiteter Irrtum - von einer Nutzbarmachung werden nicht nur die Unternehmen, sondern auch die afrikanischen Staaten profitieren, da die Gebiete infrastrukturell erschlossen werden, setzt sich dieser fort.

Abgesehen davon, daß etliche Pachtverträge so gehalten sind, daß der Investor kaum oder keine Steuern entrichten muß, dient jene angeblich verbesserte Infrastruktur häufig den spezifischen Anforderungen der Plantagenwirtschaft und dem Abtransport der produzierten Erzeugnisse. Was würde es beispielsweise einem Land wie Madagaskar nutzen, falls ein Investor Straßen, Eisenbahnverbindungen oder gar einen Hafen baute, über den die Ernte aus dem urbar gemachten Land exportiert würde, wenn in der betreffenden Region kaum Menschen lebten? Nichts gegen eine Verbesserung der madagassischen Hafenanlagen, aber was soll eine Infrastruktur in einem Gebiet fern der urbanen und wirtschaftlichen Zentren? Verkehrswege, die lediglich gebaut werden, um die Plünderung der natürlichen Ressourcen eines Landes zu beschleunigen, wirken in einer gewachsenen Infrastruktur wie ein Fremdkörper. Zur Ausführung jenes Pachtvertrags zwischen dem südkoreanischen Konzern Daewoo und Madagaskar, auf den sich dieses Beispiel bezieht, ist es nicht gekommen. Aber was darin offenbar an Abmachungen getroffen wurde, findet sich in ähnlicher Form in anderen Verträgen wieder.

Darüber hinaus sind die Flächen in Afrika, die seit einigen Jahren von privaten und staatlichen Investitionsfonds in Besitz genommen werden, nicht menschenleer. Vielleicht sind sie im Verhältnis zu den Metropolenregionen dünn besiedelt, aber sie sind besiedelt; vielleicht wird dort keine Intensivlandwirtschaft betrieben, aber die natürlichen Ressourcen werden landwirtschaftlich genutzt. Beispielsweise durch Wanderfeldbau. Aus gutem Grund wechseln die afrikanischen Dorfbewohner traditionell die Bewirtschaftungsfläche, denn sie wissen, daß eine Dauerbestellung den Boden auslaugt. Von den Plantagenbesitzern ist so eine Umsicht nicht zu erwarten, sie werden mit viel Dünger arbeiten und die Böden so lange strapazieren, bis diese nichts mehr hergeben. Das könnte dann mit dem Zeitpunkt übereinstimmen, an dem der Pachtvertrag ausläuft.

Viele zur Pacht freigegebene Gebiete werden traditionell von Nomaden oder Halbnomaden als Durchzugsland, zur Wasserversorgung ihres Viehs oder als vorübergehende bzw. regelmäßig genutzte Weidefläche gebraucht. Das ist für diese Lebensweise unverzichtbar. Deshalb können die dort angelegten Plantagen den Untergang ganzer Kulturen einleiten. In den ungeregelt wachsenden Randgebieten der urbanen Zentren sammeln sich dann die Vertriebenen und Marginalisierten, da die afrikanischen Regierungen dem Land Grabbing - der Landnahme bzw. dem Landraub - keinen Einhalt gebieten.

Obgleich seit einigen Jahren der Ruf nach Einschränkung der Landnahme erschallt, hat sich auf dem Gebiet wenig getan. Es werden viele Worte gemacht und wohlfeile Absichtserklärungen verbreitet - die Landnahme schreitet unterdessen kaum gebremst voran. Diesem Trend tritt auch der "Nairobi Action Plan" nicht entgegen, der vom High-Level Forum on Foreign Direct Investments in Land in Africa, das am 4. und 5. Oktober in der kenianischen Hauptstadt Nairobi stattfand, verabschiedet wurde. [1]

An dem Forum nahmen auf Einladung der Land Policy Initiative (LPI), hinter der die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB - African Development Bank), die AU-Kommission (AUC - African Union Commission) und die Wirtschaftskommission für Afrika der Vereinten Nationen (UNECA - United Nations Economic Commission for Africa) stehen, über 150 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und traditionellen Stammesstrukturen bzw. von kommunaler Ebene teil.

Mit dem "Nairobi Action Plan" [2] wird das Land Grabbing nicht gestoppt, sondern geregelt. Die Plünderung der afrikanischen Naturressourcen ging teilweise am Zugriff der Regierungen vorbei, indem beispielsweise die ausländischen Investoren auf kommunaler Ebene verhandelten und ihre Verträge abschlossen. Dieser Praxis soll nun Einhalt geboten werden. Außerdem zeigt die enorme Nachfrage nach Agrarland, daß sich die afrikanischen Regierungen bislang unter Preis verkauft haben. Ein Zusammenschluß der Staaten sowie gemeinsame Standards könnten deshalb von Vorteil sein und helfen, höhere Einnahmen aus dem Land Grabbing zu erzielen.

Zweifel dürfen jedoch angemeldet werden, ob der Nairobi Action Plan das Ende von Vertreibungen, Verdrängungen, Enteignungen und teilweise Mißhandlungen der Landbevölkerung bedeutet und ob er ihnen auch nur das Recht zubilligt, Nein zur Landnahme zu sagen und sich damit durchzusetzen. So sprechen sich die Unterzeichner gleich zu Beginn des Dokuments unter Berufung die im Juli 2009 beschlossenen Rahmenrichtlinien "Framework and Guidelines on Land Policy in Africa" [3] für eine Politik aus, die einen gerechten (engl.: equitable, was auch mit "gleichberechtigt" übersetzt werden kann) Zugang zum Land und den damit zusammenhängenden Ressourcen "für sämtliche Landnutzer" gewährleistet.

Diese Formulierung kann jedoch zum Einfallstor für Investoren werden, indem deren Nutzungsinteresse dem der angestammten Bevölkerung gleichgestellt wird. Es ließe sich zwar umgekehrt behaupten, daß auf dieser Grundlage kein Landraub mehr stattfinden darf, da die Dorfbewohner endlich eine Stimme erhalten, aber wer so argumentiert, muß bereits vorher akzeptiert haben, daß den Dorfbewohnern ihre Stimme genommen wurde.

Des weiteren nehmen die Unterzeichner "die wachsenden Investitionschancen in der Landwirtschaft, die von neuen globalen Märkten, Afrikas eigenem wachsenden Bedarf und dem daraus resultierenden Wertzuwachs von Land, Wasser und anderen natürlichen Ressourcen ausgehen, zur Kenntnis". Das dürfte die von der Landnahme betroffenen Einwohner afrikanischer Länder in keiner Weise beruhigen, beweisen solche Formulierungen doch, daß die Frage, ob überhaupt Land und andere natürliche Ressourcen weggegeben werden, längst beantwortet ist und es nur noch darum geht, die Geschäfte reibungslos über die Bühne zu bringen.

Wenn im Nairobi Action Plan geschrieben wird, daß Afrika in seinem Bestreben, landgestützte Investitionen zu fördern, "viele Herausforderungen" entgegenstehen, "damit die natürlichen Ressourcen vollständig dafür verwendet werden, gleichberechtigtes Wirtschaftswachstum, Frieden und Wohlstand für die Einwohner sicherzustellen", dann müssen solche Aussagen vor dem Hintergrund der bestehenden krassen Unterschiede bei Einkommen und gesellschaftlichen Einfluß bewertet werden. Mit Sicherheit würde keiner der politischen Entscheidungsträger auf der Nairobi-Konferenz behaupten, seine eigene privilegierte Position fuße auf Unrecht. In der Praxis der Landvergabe hat sich aber oftmals gezeigt, daß das Gewohnheitsrecht der Landbevölkerung bedeutungslos ist und dem Verfügungsrecht der Zentralregierung untergeordnet wird.

Wenn es im Nairobi Action Plan heißt, daß sich die Unterzeichner der "spirituellen und kulturellen Bedeutung des Lands in Afrika" sowie dessen, daß "die Mehrheit der Afrikaner ihren Lebensunterhalt von landbasierten Aktivitäten" wie zum Beispiel Land- und Weidewirtschaft, Jagen und Sammeln "gewahr" sind, dann kann aus dieser "Wahrnehmung" nicht abgeleitet werden, daß sich die Unterzeichner prinzipiell gegen die Plünderung stellen.

Aus der Absicht, die "potentiell negativen" Auswirkungen von großflächigen Land-Acquisitionen "minimieren" zu wollen, folgt, daß es nach Ansicht der Unterzeichner zu Schäden kommen kann, da diese lediglich verringert werden sollen. Theoretisch könnte man bereits von einer Minimierung der Negativfolgen sprechen, wenn im Rahmen eines Land-Grabbing-Vorgangs nur 10.000 statt 10.001 Menschen vertrieben werden. Außerdem nährt die Formulierung "potentiell negative Auswirkungen" (potential negative impacts) den Verdacht, daß die Unterzeichner damit die tatsächlich erfolgten negativen Auswirkungen verharmlosen wollen. Denn wo etwas nur potentiell stattfindet, kann es noch nicht stattgefunden haben. Dem widersprechen zahllose Berichte aus Afrika; zuletzt hat die Nichtregierungsorganisation Oxfam einen längeren Report zum Land Grabbing und seinen negativen Folgen in Uganda veröffentlicht. [4]

Am Forum in Nairobi nahm auch der kenianische Minister für Land, James Orengo, teil. Seine Stellungnahme ist bezeichnend für das Anliegen der Teilnehmer: "Das ist der entscheidende Punkt beim Wettrennen um landwirtschaftliche Fläche in Afrika: Es wird jetzt offensichtlich, daß die industrialisierten Länder nur dann landwirtschaftliche Exporte aus Afrika annehmen wollen, wenn diese Produkte von ihren eigenen multinationalen Konzernen hergestellt werden." [1]

Orengo spricht sich hier nicht grundsätzlich gegen Exporte aus Kenia aus, sondern daß sie von ausländischen Investoren getätigt werden. Problematisch ist aber bereits die grundsätzliche Exportorientierung und Weltmarktabhängigkeit der afrikanischen Länder. Das läßt sich am Beispiel Äthiopien verdeutlichen. Dort sind zur Zeit schätzungsweise fünf Millionen Einwohner auf Hungerhilfe angewiesen. Zugleich werden laufend landwirtschaftliche Erzeugnisse exportiert, und die Regierung vergibt Agrarland an ausländische Investoren, wie der in Deutschland lebende äthiopische Menschenrechtler Seyoum Habtemariam kürzlich gegenüber dem Schattenblick berichtete. [5]

Nicht die Menschen, die von der Regierung oder den Unternehmen aus ihren Dörfern vertrieben werden, um Platz für Plantagen zu schaffen, profitieren von der Produktion und Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse, sondern eine kleine Oberschicht sowie die Investoren, die hauptsächlich aus Europa, USA, China, Indien und dem arabischen Raum kommen.

Wenn nun mit dem Nairobi Action Plan und anderen Maßnahmen dennoch gewisse Restriktionen verhängt und die Landnahme in geregeltere Bahnen gelenkt werden sollen, dann dürfte das nicht unwesentlich mit dem sozialen Konfliktpotential zu tun haben, das auf den offensichtlichen Widerspruch zwischen Hunger und Armut auf der einen Seite und fortwährenden Agrarexporten auf der anderen zurückgeht. So mußte im Frühjahr 2009 der madagassische Präsident Marc Ravalomanana fliehen, nachdem es zu anhaltenden Protesten gekommen und sich schließlich das Militär auf die Seite des Millionärs und damaligen Bürgermeisters der Hauptstadt Antananarivo, Andry Rajoelina, der an der Spitze der Protestbewegung stand, geschlagen hatte. Einer der Vorwürfe gegen Ravalomanana lautete, er habe mit dem südkoreanischen Konzern Daewoo einen Vertrag über die Verpachtung von fast der Hälfte der landwirtschaftlichen Fläche abgeschlossen, faktisch ohne die geringste verbindliche Gegenleistung zu verlangen. Das nährte den seit längerem bestehenden Verdacht, der Präsident sei bestochen worden.

Der Pachtvertrag war nicht der einzige Grund, weswegen Ravalomanana vertrieben wurde, doch haben dieser Vorfall sowie die Unruhen in Dutzenden Ländern während der Preisexplosion von Lebensmitteln 2007, 2008 gezeigt, daß die vorherrschende staatliche Ordnung, durch die bis dahin arm und reich einigermaßen erfolgreich voneinander geschieden wurde, gefährdet ist, sobald Nahrungsmangel ins Spiel kommt. Die afrikanischen Regierungen werden also allein aus Machterhaltsgründen bemüht sein, den sozialen Frieden zu wahren, indem sie gewisse regulatorische Maßnahmen gegen das konfliktträchtige Land Grabbing vornehmen. Beispielsweise wurde im Nairobi-Plan beschlossen, daß innerhalb der nächsten beiden Jahre ein Überwachungs- und Meldesystem zur Erfassung von Investitionen in großflächiges Agrarland etabliert werden soll. Damit will man sicherstellen, daß die Landnahme der Entwicklung der Nationalökonomien und der örtlichen Gemeinden, insbesondere mit Blick auf die Landrechte von Frauen, zugute kommt.

Die von lokalen Organisationen und auch internationalen Entwicklungsorganisationen gehegte Hoffnung, die Afrikanische Union würde das Land Grabbing wegen seiner mitunter verheerenden Folgen für die örtliche Bevölkerung stoppen, erweist sich bei genauerer Betrachtung des Nairobi Action Plans als vergeblich. Die in dem Plan angestoßenen Maßnahmen zielen nicht auf eine gesellschaftliche Umverteilung von oben nach unten ab, so daß der verarmten Landbevölkerung zu einer sicheren Existenzgrundlage verholfen wird, sondern sieht - bestenfalls unter Preisgabe minimaler Privilegien - einen größeren Anteil der Regierungen am Kuchen vor.


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Fußnoten:

[1] "Nairobi Action Plan to Promote Land-Based Investments that Benefit Africa", African Development Bank, 7. Oktober 2011
http://www.afdb.org/en/news-and-events/article/nairobi-action-plan-to-promote-land-based-investments-that-benefit-africa-8421/

[2] "NAIROBI ACTION PLAN On Large scale land-based investments in Africa", African Development Bank, abgerufen am 10. Oktober 2011
http://www.afdb.org/fileadmin/uploads/afdb/Documents/Generic-Documents/Nairobi%20Action%20Plan%20Final.pdf

[3] "AFRICAN UNION - LAND POLICY IN AFRICA: A FRAMEWORK TO STRENGTHEN LAND RIGHTS, ENHANCE PRODUCTIVITY AND SECURE LIVELIHOODS. FRAMEWORK AND GUIDELINES ON LAND POLICY IN AFRICAÜberarbeitete Version, März 2009
http://www.pambazuka.org/aumonitor/images/uploads/Framework.pdf

[4] "Landgrabbing in Uganda: 22.500 Menschen wurden vertrieben", Oxfam, abgerufen am 10. Oktober 2011
http://www.oxfam.de/news/110922-landgrabbing-uganda-22500-menschen-wurden-vertrieben

[5] INTERVIEW/004: Seyoum Habtemariam zu Äthiopien, Teil 1 - Hunger, Landnahme, Entwicklungspolitik (SB), 20. September 2011
http://schattenblick.com/infopool/politik/redakt/intv0004.html

10. Oktober 2011