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AFRIKA/1898: Tschad - Hilfe, die Hilfe kommt! (SB)


Zum Beispiel Tschad

Wie Hilfsorganisationen Schaden anrichten können


Selbst wenn man einmal nicht unterstellt, daß Entwicklungshilfe von den Industriestaaten deshalb geleistet wird, weil sie die eigene Wirtschaft subventionieren (Pharmaprodukte, Computer, Solaranlagen, etc.) oder sich ein Feigenblatt verschaffen wollen, während die dahinterstehende Not wächst (inzwischen gibt es mehr als eine Milliarde Hungernde in der Welt), ist kritisch anzumerken, daß Hilfeleistung erhebliche Probleme in den sogenannten Entwicklungsländern auslösen kann.

Über eine der typischen Folgen berichtete IRIN, das integrierte regionale Informationsnetzwerk der Vereinten Nationen, am Beispiel von Tschad. [1] Von der tschadischen Stadt Abéché aus organisiert das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Versorgung von Lagern für mehrere hunderttausend Vertriebene und Flüchtlinge. Seitdem aber die Mitarbeiter der Hilfsorganisation in der Stadt weilen, sind die Preise für Unterkunft, Strom, Nahrung, Wasser und andere Waren drastisch gestiegen. Dadurch geriet die ärmere Bevölkerung in Not, während für den schmalen mittelständischen Sektor bestimme Waren und Dienstleistungen ebenfalls empfindlich auf den Geldbeutel schlagen.

Seit Ankunft der Flüchtlingsströme aus der westsudanesischen Provinz Darfur Ende 2003 beteiligen sich rund ein Dutzend UN-Organisationen und gar mehrere Dutzend Nichtregierungsorganisationen an der Hilfe. Darüber hinaus haben hier von März 2009 an mehr als 1000 Mitglieder der UN Mission in the Central African Republic and Chad (MINURCAT) Stellung bezogen. Sie sollen die Grenzsicherheit stärken und die Rückkehr von Flüchtlingen regeln.

Der Leiter des französischen Think Tanks URD, François Grunewald, berichtete gegenüber IRIN, daß die Wasser-Infrastruktur mit dem Zulauf an Mitarbeitern der Hilfsorganisationen und der UN-Friedenstruppe überfordert ist. Außerdem pflegten die Einheimischen einen anderen Umgang mit Wasser als die Ausländer, die verschwenderischer seien und es nicht aufbewahrten.

Darüber hinaus haben die vergleichweise wohlhabenden Ausländer die Preise für Wohnen und Nahrung in Höhen getrieben, die für die ärmeren Einheimischen unerschwinglich werden. Die Kosten für Reis, Mehl, Fleisch, Hirse, Sorghum und Zucker sind über die letzten sieben Jahre im Durchschnitt um 51 Prozent gestiegen. Die allgemeine Preissteigerung in Tschad lag jedoch nach Angaben der African Development Bank 2008 nur bei knapp über drei Prozent. [1]

Aufgrund der sozialen Diskrepanz und, wie UN-Mitarbeiter vermuten, weil die Flüchtlingslager weit entfernt sind und die Einheimischen die von den Blauhelmen geleistete Hilfe nicht direkt vor Augen haben, hat sich in der Stadt Abéché Unmut über die Anwesenheit der Ausländer breitgemacht. Mehrfach wurden Fahrzeuge der Vereinten Nationen gestohlen, was von der örtlichen Bevölkerung sogar als legitime Form der Umverteilung angesehen wird.

MINURCAT hat zwar eigene Brunnen gebohrt, so daß die UN-Soldaten die örtliche Wasserversorgung nicht belasten, aber der generelle Einfluß der Hilfsorganisationen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in Abéché ist unstrittig. Ähnliche Tendenzen waren in den 1990er Jahren auch in Lokichokio in Nordkenia zu beobachten, als die Vereinten Nationen von dort aus im Rahmen der "Operation Lifeline Sudan" zehn Jahre lang Hilfsgüter über das Bürgerkriegsgebiet Südsudan abwarfen - die größte Luftbrücke für Hilfsgüter seit der Blockade Berlins. Berichten zufolge besaßen die Hilfskräfte in ihrem streng abgeschirmten Wohn- und Lebensbereich ein Schwimmbecken zur Abkühlung, was ein starker Kontrast dazu war, daß die Menschen in und um Lokichokio unter großer Hitze und Trockenheit litten.

Die Hilfsorganisationen in Abéché wollen ihre Zelte abbrechen und entweder von der Hauptstadt Niamey oder der Stadt Goz Beida aus, die näher an den Flüchtlingslagern liegt, die weitere Versorgung der Flüchtlinge vornehmen. Wahrscheinlich wird nach dem Abzug der Ausländer das Preisniveau in Abéché zum Teil wieder sinken, da die örtlichen Händler sich wieder auf ihre traditionelle, weniger kapitalstarke Kundschaft einstellen müssen. Dennoch zeigt dieses Beispiel, daß Hilfe negative Folgen haben kann. Damit soll nicht behauptet werden, daß sie die positiven Effekte überwiegen, denn Voraussetzung für die Tätigkeit von Hilfsorganisationen ist die Not von Hunderttausenden Flüchtlingen und Binnenflüchtlingen. Aber das Beispiel führt vor Augen, daß die Ausländer als Fremdkörper wahrgenommen werden, sich teils auch so verhalten, und daß die Vorstellung, sie würden unter allen Umständen als Wohltäter empfangen, ein Irrtum ist.

Über die akuten Probleme zwischen Einheimischen und Fremden in Abéché hinausgehend ist grundsätzlich bekannt, daß der Kontakt zu ausländischen Hilfsorganisationen ein Trittbrett für örtliche Fachkräfte, die ihr Land verlassen wollen, sein kann. Brain Drain wird die Abwanderung von ausgebildeten Experten vor allem aus Entwicklungsländern in die Industriestaaten genannt. Kommt es zum Kontakt mit Entwicklungshelfern, verstärkt das in der Regel die Bereitschaft, ein Entwicklungsland zu verlassen. Das hätte dann die teure Ausbildung bezahlt, während die Früchte dieser gesellschaftlichen Investition reiche Länder wie USA, Großbritannien, Kanada, Australien, etc. ernten dürfen.


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Anmerkungen:

[1] "Chad: Re-Assessing the Aid Footprint", UN Integrated Regional Information Networks, 7. Dezember 2009
http://allafrica.com/stories/200912071459.html

8. Dezember 2009