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AFRIKA/1870: Befriedungsspenden für Hungerregion Ostafrika (SB)


In Ostafrika sind viele Millionen Menschen akut von Hunger bedroht

Spenden der Geberländer können Nahrungsmangel nur zu einem Bruchteil beheben


Vor dem Hintergrund der globalwirtschaftlichen Armutsentwicklung haben Dürre und instabile politische Verhältnisse in Ostafrika zu einem extremen Nahrungsmangel geführt. In Kenia sind vier Millionen Menschen auf Nahrungshilfe angewiesen, in Somalia schätzungsweise 3,5 Millionen und in Äthiopien 13,7 Millionen. Auch aus Südsudan und Uganda wird Lebensmittelmangel gemeldet. Die Geber geben, aber viel zu wenig, als daß die Menschen vom Hunger befreit würden. Daran zeigt sich der Sinn und Zweck von Spenden: Befriedung, nicht Befreiung.

In diesem Jahr fiel in Äthiopien viel zu wenig Regen, was die Zahl der Menschen, die auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind, steigen ließ. Waren es im Januar 4,9 Millionen, wurden im Mai 5,3 Millionen und im Juni 6,2 Millionen Bedürftige registriert. Weitere 7,5 Millionen erhalten im Rahmen des National Productive Safety Net Program, das eigens für Menschen eingerichtet wurde, die nicht genügend zu essen haben, Nahrungshilfe als Gegenleistung für kommunale Tätigkeiten, wie die britische Zeitung "The Independent" berichtete. [1]

Äthiopien gilt als politisch vergleichsweise stabiles Land, nicht zuletzt weil die Regierung unter Premierminister Meles Zenawi mit harter Hand gegen Oppositionelle vorgeht. Ein besonderer Ausdruck der Stabilität scheint die Behauptung Zenawis zu sein, daß es in diesem Jahr gar keine Hungergefahr gibt. Das wird vom äthiopischen Botschafter in Großbritannien, Berhanu Kebede, bestätigt. Nahrungsmittel seien auf den Weg gebracht, behauptet er. [1] Woher sie genommen werden, ließ er offen.

Das Klima jedenfalls spielt nicht mit. In Äthiopien gibt es zwei Hauptregenzeiten, eine im Frühjahr (belg) und eine, die im Juli beginnt (kiremt). Belg fiel das zweite Jahr hintereinander schwach aus, und kiremt setzte in diesem Jahr drei Wochen später als gewöhnlich ein. Deshalb haben die Bauern ihre Saat später ausgebracht. Nun wird befürchtet, daß es ausgerechnet während der Ernte im Oktober, wenn Trockenheit benötigt wird, regnen könnte. Das aktuelle, weltweit alle drei bis fünf Jahre auftretende Klimaphänomen El Niño bringt Äthiopien normalerweise Dürre. El Niño hat seinen Höhepunkt um die Weihnachtszeit und wird sich bis ins Frühjahr 2010 erstrecken. Möglicherweise betrifft das dann auch noch die nächste Regenzeit.

Die sogenannten Geberländer halten sich in diesem Jahr mit Spenden deutlich zurück. Das bekommen Hilfsorganisationen wie das UN-Welternährungsprogramm (WFP), die vollständig auf Zuwendungen von anderen angewiesen sind, empfindlich zu spüren. Im vergangenen Jahr hat das WFP rund sechs Milliarden Dollar erhalten, in diesem Jahr ist es nicht einmal die Hälfte. 2008 stand dem WFP für Äthiopien noch 500 Millionen Dollar zur Verfügung, 2009 sind es 127 Millionen Dollar weniger, was 167.000 Tonnen Nahrungsmittel entspricht. Im August teilte das Hunger-Frühwarnnetzwerk - Famine Early Warning Network - mit, daß der Nahrungsmittelmangel in Äthiopien bis Dezember 300.000 Tonnen betragen wird und daß 6,2 Millionen Bedürftige statt 15 kg Getreide, Bohnen und Speiseöl monatlich fortan nur noch 10 kg erhalten werden. Allgemeines Siechtum und vermeidbare Krankheiten werden die Folge sein.

Ein zusätzliches Problem, dem häufig wenig Beachtung geschenkt wird: Selbst wenn die Geberländer unverzüglich beschlössen, den Mangel in Äthiopien auszugleichen, vergingen drei Monate, bis die Nahrungsmittel verladen und per Schiff am Hafen von Dschibuti angelandet und von dort mit Lastwagen weiter in den Binnenstaat gebracht würden. Theoretisch kann diese zeitliche Lücke durch die strategischen Nahrungsmittelreserven der Regierung in Addis Abeba kompensiert werden. Sobald eine Hilfsorganisation Spenden erhält, kann sie an die Regierung herantreten, und die wird eine entsprechende Menge aus ihren strategischen Reserven freigeben. Die werden später von Hilfsorganisation wieder aufgefüllt. Die Reserven Äthiopiens, die normalerweise 500.000 Tonnen umfassen, sind in diesem Jahr allerdings auf 200.000 Tonnen geschrumpft. Das reicht nicht, um den Mangel zu beheben.

Die Getreidepreise auf den Märkten der äthiopischen Hauptstadt liegen nach der globalen Preisexplosion für Getreide 2007/2008 noch immer 50 Prozent über dem Durchschnittspreis im Zeitraum von 2003 bis 2007. Mit einem Rückgang der Preise ist die nächste Zeit nicht zu rechnen. Der November gilt als der niederschlagsärmste Monat Äthiopiens. In Verbindung mit El Niño, den ohnehin hohen Getreidepreisen, die in den nächsten Monaten noch steigen könnten, falls im Rahmen von El Niño weltweit Klimakatastrophen auftreten, sowie der reduzierten Spendenbereitschaft der traditionellen Geberländer besteht die Gefahr, daß Äthiopien eine ähnlich schwere Hungersnot bevorsteht wie 1984/85, als mit Hilfe von weltweit organisierten Rockkonzerten auf die desolate Lage in Äthiopien aufmerksam gemacht wurde.

Noch schlimmer als den Äthiopiern ergeht es den Menschen in Kenia. Iris Krebber, die in dem ostafrikanischen Land als Regionalkoordinatorin der Welthungerhilfe arbeitet, berichtete kürzlich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk [2], daß in Kenia mindestens vier Millionen Menschen von Hunger bedroht sind; sechs bis zehn Millionen Einwohner litten unter Trinkwassermangel. Die Felder seien nicht braun von der Dürre, sondern grau-weiß. Die Menschen besäßen nichts, auf das sie zurückgreifen könnten. Die Geber hätten zwar gespendet, aber damit werde nur ein "kleiner Bruchteil des wirklichen Bedarfs" gedeckt.

In den gegenwärtigen Dürregebieten Kenias, wie Turkana, Marsabit und Samburu, beträgt die Unterernährungsrate über 20 Prozent, und die Regierung prognostiziert eine 28 Prozent geringere Maisernte als im Durchschnitt der letzten fünf Jahre. [3] Das WFP hat an 2,5 Mio. Kenianer Nahrungsmittel verteilt und um Spenden in Höhe von 230 Mio. Dollar für weitere 1,5 Mio. Bedürftige gebeten. Aber selbst wenn diese Summe gespendet würden, reichte das nicht, erläutert Krebber. Das WFP sei davon ausgegangen, daß sich die Bedürftigen zumindest zu 25 oder 50 Prozent selbst ernähren. Das könnten sie jedoch nicht, das sei eine "Fehlannahme", stellte die Mitarbeiterin der Welthungerhilfe klar.

Auch bei Kenias Nachbarn Uganda haben nicht alle Einwohner genügend zu essen. Angeblich hat die ugandische Regierung den Export von Lebensmitteln nach Südsudan gestoppt, um eine Hungersnot im eigenen Land abzuwehren. Der ugandische Handelsminister Kahinda Otafiire behauptet dagegen, er wisse nichts von solch einem Verbot. Landwirtschaftliche Produkte würden weiter exportiert. [4] Daß der Minister nichts von solch einem Verbot weiß, bedeutet nicht zwangsläufig, daß es nicht inoffiziell ausgesprochen wurde. Jedenfalls hatten ugandische Händler seit Juni ihre Ware lieber zu den Märkten in der südsudanesischen Stadt Juba gebracht, wo sie höhere Preise erzielten. Im vergangenen Monat soll eine Anzahl von Lastwagen, die Bananen und Getreide nach Juba bringen wollten, wieder nach Uganda umgekehrt sein.

Die hohen Preise sind ein Indiz dafür, daß auch in Südsudan die Versorgungslage unzureichend ist. Die Vereinten Nationen sprechen von einem drohendem Hunger. 1,3 Millionen Einwohner sind dort auf Nahrungshilfe angewiesen. Stammeskriege, Regenmangel und hohe Preise haben hier zu einer angespannten Lage geführt. Das WFP erwägt, wegen der unsicheren Lage in Südsudan und der Unbefahrbarkeit vieler Pisten aufgrund der Regenzeit Nahrungsmittel vom Flugzeug aus abzuwerfen. Der aktuelle Spendenaufruf beläuft sich auf 44 Millionen Dollar. [5]

Konfliktgetrieben erscheint auch die Hungerlage in Somalia. Seit 1991 herrscht in dem Land Bürgerkrieg, doch noch nie wog die humanitäre Krise so schwer wie heute, sagte Graham Farmer, UN-Koordinator für Somalia, am 25. August. [6] 3,76 Millionen Somalier bedürfen der Nahrungsmittelhilfe. Der Norden Somalias erlebt schon zwei bis drei Erntezeiten in Folge eine zu geringe Niederschlagsmenge.

Summa summarum bleibt festzustellen, daß in Ostafrika generell Nahrungsmangel herrscht. Die Geberländer erwecken den Eindruck, als spendeten sie gerade mal so viel, daß ihnen nicht der Vorwurf gemacht wird, sich vollends aus der Versorgung der Länder des Südens zurückzuziehen. Der potentielle Zugriff der Länder des Nordens auf den Süden muß erhalten bleiben, was sich ohne Befriedungsmaßnahmen wie das Spenden von Getreide und anderen Hilfsgütern schwierig gestaltete. Die vorherrschende Weltordnung kann nur gesichert werden, wenn nicht alle Menschen in den Armutsregionen sterben. Umgekehrt dürfen sie auch nicht vollständig von existentiellen Nöten befreit werden, denn dann kämen sie womöglich auf den Gedanken, sich den globalhegemonialen Interessen der Europäischen Union und anderer Akteure, die behaupten, sich um Afrika Sorgen zu machen, entgegenzustellen.


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Anmerkungen:

[1] "Millions facing famine in Ethiopia as rains fail", The Independent, 30. August 2009
http://www.independent.co.uk/news/world/africa/millions-facing-famine-in-ethiopia-as-rains-fail-1779376.html

[2] ORTSZEIT: INTERVIEW, 28. August 2009
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1024651/

[3] "WFP Seeks Urgent Assistance As Kenya Sinks Deeper Into Crisis", WFP-Pressemitteilung, 25. August 2009
http://www.wfp.org/news/news-release/wfp-seeks-urgent-assistance-kenya-sinks-deeper-crisis

[4] "Uganda bans food exports to South Sudan - report", Sudan Tribune, 30. August 2009
http://www.sudantribune.com/spip.php?article32285

[5] "Hunger warning for south Sudan", Al Jazeera, 25. August 2009
http://english.aljazeera.net/news/africa/2009/08/200982531255146984.html

[6] "SOMALIA: Humanitarian situation 'worst in 18 years'", IRIN 25. August 2009
http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportId=85843

1. September 2009