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AFRIKA/1852: Dunkle Vergangenheit der neuen ICG-Präsidentin Louise Arbour (SB)


Fortgesetzte Verschleierung des Auftakts zum Ruanda-Genozid

Ehemalige UN-Chefanklägerin Louise Arbour hält sich bedeckt


Louise Arbour, frühere Chefanklägerin des UN-Tribunals für Jugoslawien und Ruanda, hat diese Woche ihre Arbeit als Präsidentin der International Crisis Group (ICG) aufgenommen. In der Pressemitteilung dieses Think Tanks [1] und auch in der allgemeinen Berichterstattung [2] wird es nicht versäumt, auf die beachtliche Vita der kanadischen Rechtsexpertin zu verweisen. Neben ihrer Zeit als UN-Chefanklägerin zwischen 1996 und 1999 bleibt in der Regel auch ihre Arbeit als UN-Hochkommissarin für Menschenrechte (2004 bis 2008) nicht unerwähnt. Wohl aber wird es fast durchgängig versäumt, auf eine bis heute dunkel gebliebene Stelle in der Vergangenheit Arbours aufmerksam zu machen.

Von "dunkel" kann insofern gesprochen werden, als daß es die Kanadierin trotz wiederholter Bitte um Aufklärung seitens verschiedener Personen abgelehnt hat, sich zu dem Vorfall zu äußern. Konkret geht es um ihre Anweisung, keinerlei Ermittlungen mehr zu der Initialzündung eines der blutigsten Massaker der jüngeren Geschichte durchzuführen, dem sogenannten Ruanda-Genozid. Den Auftakt des 100 Tage währenden Abschlachtens von schätzungsweise 800.000 Tutsi und moderaten Hutu bildete am 6. April 1994 der Abschuß einer Falcon 50 mit den beiden Präsidenten Juvenal Habyarimana von Ruanda und Cyprien Ntaryamira von Burundi mit Hilfe zweier Boden-Luft-Raketen beim Landeanflug auf den Flughafen Kigali. In Windeseile hatte sich in der ruandischen Hauptstadt die Meldung vom Attentat auf ihren Präsidenten breitgemacht, es wurden Straßensperren errichtet, und das Blutbad begann.

Louise Arbour besaß den Auftrag vom UN-Sicherheitsrat, sämtliche 1994 in Ruanda begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen. Das schloß selbstverständlich die gleichzeitige Enthauptung zweier von Hutu geführten Länder im Gebiet der Großen Seen Ostafrikas durch ein Attentat ein, und tatsächlich waren die Ermittlungen schon rund ein Jahr lang durchgeführt worden, in dem die Chefanklägerin regelmäßig über allen neuen Erkenntnisse in der Sache informiert wurde. In dieser Zeit hatte sie keineswegs durchblicken lassen, daß die Aufklärung des Attentats gar nicht zu ihren Aufgaben gehörte, sondern sie hat sogar mit Zufriedenheit aufgenommen, daß die Ermittlungen vorankamen.

Da sich Arbour bedeckt hält und aus welchen Gründen auch immer nicht willens ist, eine Erklärung für den abrupten Abbruch der Ermittlungen zu geben, bleiben als einzige Quellen die Aussagen ihrer Vor-Ort-Ermittler. Da ist an erster Stelle Michael Hourigan zu nennen. Der australische Anwalt und erfahrene Kriminalbeamte wurde im April in eine rund 20köpfige Arbeitsgruppe berufen. Er berichtete in einer eidesstattlichen Erklärung [3] vom 27. November 2006, was die Vorermittlungen von ihm und seinem Team, die aus Sicherheitsgründen ab 1996 unter großer Geheimhaltung in Ruanda tätig waren, erbracht hatten, wie Louise Arbours plötzlicher Gesinnungsumschwung bei ihm ankam und daß er nicht bereit war, die ihm abverlangte Vertuschung seiner Erkenntnisse mitzutragen. Deshalb war er von seiner Arbeit als UN-Ermittler zurückgetreten.

Zu keinem Zeitpunkt, so Hourigan, sei ihm von Richard Goldstone (dem Vorgänger Louise Arbours), Arbour selbst oder anderen Mitarbeitern des UN-Tribunals für Ruanda (ICTR) zu verstehen gegeben worden, daß seine Ermittlungen zum Abschuß der Präsidentenmaschine außerhalb des Mandats gelegen hätten. Im Gegenteil, der Raketenangriff sei ein Akt internationalen Terrorismus, der zweifelsfrei unter Artikel 4 der ICTR-Statuten, der sich auf Vergehen nach Artikel 3 der Genfer Konventionen bezieht, falle, schrieb Hourigan.

Gegen Ende Januar, Anfang Februar 1997 seien drei Informanten an die Mitarbeiter seiner "National Team" genannten Ermittlergruppe herangetreten und hätten erklärt, daß sie teils ehemalige, teils aktive Mitglieder der RPF, der Ruandischen Patriotischen Front, seien und direkt am Raketenangriff auf die Präsidentenmaschine beteiligt gewesen waren. Aus den Zeugenaussagen geht laut Hourigan eindeutig hervor, daß der damalige RPF-Anführer und heutige Präsident Ruandas, Paul Kagame, und Mitglieder seiner Administration sowie seines Militärs in das Attentat verwickelt waren. Darüber hinaus hatten die Informanten berichtet, daß die Kagame-Administration verdeckte Operationen zur Ausschaltung von unliebsamen Ruandern im Ausland, beispielsweise Seth Sedashonga in Nairobi, durchgeführt habe.

Hourigan informierte unverzüglich seinen Vorgesetzten in Ruanda, Jim Lyons, einen ehemaligen FBI-Agenten, der schon Ermittlungen zum Bombenattentat 1993 auf das World Trade Center durchgeführt hatte. Lyons hat ihm aufgrund seiner guten Verbindungen zur US-Botschaft in Kigali eine angeblich abhörsichere Leitung in der US-Botschaft vermittelt [4], worüber er Louise Arbour in der US-Botschaft in Den Haag anrief und sie darüber in Kenntnis setzte, daß sich der Verdacht in Richtung Kagame bewege. Arbour sei begeistert gewesen, da sich dies mit Informationen deckte, die sie in der Vorwoche von Alison Des Forges (eine inzwischen verstorbene Ruanda-Expertin, die für Human Rights Watch arbeitete) erhalten habe.

Die Chefermittlerin war um die Sicherheit Hourigans, seiner Mitarbeiter und der Informanten besorgt. Eine Woche darauf wurde Hourigan angewiesen, nach Den Haag zu fliegen. Noch in Kigali trat der Stellvertretende Leiter des UN Security and Safety Services Michael Hall an ihn heran und teilte ihm mit, daß er auf direkte Anweisung vom UN-Generalsekretär handele und Hourigan am nächsten Tag zunächst nach Arusha (in Tansania) und von dort nach Amsterdam fliegen solle. Alle Informationen über den Flugzeugabsturz solle er ihm, Hall, übergeben; er würde die Informationen im Diplomatengepäck zum Flughafen befördern. Hourigan übergab Hall eine Floppy mit einem Memorandum, das er für Arbour vorbereitet hatte.

In den Niederlanden angekommen, traf Hourigan mit Arbour zusammen. Jetzt sei sie regelrecht aggressiv gewesen und habe ihn nach der Zuverlässigkeit der Informationen und seiner Mitarbeiter ausgefragt. Selbstredend setzte sich Hourigan vorbehaltlos für seine Leute ein. Daraufhin forderte Arbour ihn auf, die Ermittlungen durch das National Team einzustellen, und erklärte, daß der Flugzeugabsturz nicht unter das Mandat des ICTR falle, da dies nur Ereignisse innerhalb des Genozid betreffe, der aus ihrer Sicht "nach" dem Flugzeugabsturz einsetzte.

Erwartungsgemäß verteidigte Hourigan seinen Standpunkt, verwies darauf, daß das ICTR-Mandat vom 1. Januar 1994 bis 31. Dezember 1994 reiche und somit den Flugzeugabschuß einschließe, daß die ICTR-Statuten "Terrorismus" und "Mord" beinhalteten und erinnerte nicht zuletzt Louise Arbour daran, daß es das erste Mal sei, daß sie behauptete, die Ermittlungen zum Flugzeugabsturz seien vom ICTR-Mandat nicht abgedeckt.

Daraufhin wurde Arbour regelrecht "feindselig" und fragte ihn, ob er ihre Befugnisse, die Ermittlungen zum Flugzeugabsturz zu beenden, in Frage stellen wolle. Hourigan verneinte. Dann fragte die UN-Chefermittlerin, ob das Memo, das er für sie vorbereitet habe, die einzige Kopie sei, was er bestätigte. Das stellte sie zufrieden, tat es zu ihren Akten und forderte Hourigan auf zu gehen.

Einige Jahre später sollte Arbours Nachfolgerin, die schweizerische Chefermittlerin Carla Del Ponte, erklären, daß sie nicht die geringsten Unterlagen über die Ermittlungen zum Flugzeugabsturz gefunden habe. [5]

Kein Wunder, daß Hourigan nach dem Gespräch mit seiner Vorgesetzten den Hut genommen und das ICTR verlassen hat. Louise Arbour wurde in den nächsten Jahren mehrmals öffentlich darauf angesprochen, warum sie Hourigan so vor die Wand habe fahren lassen, doch hat sie bislang keine Erklärung für ihr Verhalten geliefert. [6] Damit leistet sie unterschiedlichen Mutmaßungen Vorschub. Mal wird angedeutet, sie habe auf Anweisung der damaligen US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen in New York und späteren US-Außenministerin Madeleine Albright gehandelt, [6] mal wird Kofi Annan, damals bei den Vereinten Nationen Leiter der Militäroperationen und später Generalsekretär, als Befehlsgeber Arbours genannt. [7]

Bislang sind keine Anzeichen dafür zu erkennen, daß Louise Arbour ihre Weigerungshaltung aufgibt und eine Erklärung für ihr Verhalten abgibt. Ebensowenig wie sich die Vereinten Nationen um die Aufklärung des Flugzeugattentats bemühten. [8] Ob Arbour vor diesem Hintergrund geeignet ist, Präsidentin eines relativ einflußreichen Think Tanks wie die International Crisis Group zu sein, die Analysen über internationale Politik erstellt, bewertende Kommentare zu Themen wie Bestechlichkeit, gute bzw. schlechte Regierungsführung und vor allem Konfliktprävention und -bewältigung verbreitet und die stets um den Eindruck bemüht ist, das Weltgeschehen von einem übergeordneten, nicht zu korrumpierenden Standpunkt beurteilen zu können, dieser Frage werden sich Arbour selbst, die ICG und alle, die deren Analysen zur Grundlage ihres Handelns oder ihrer Weltanschauung nehmen, zu stellen haben.


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Anmerkungen:
(alle Internetzugriffe erfolgten am 23./24. Juli 2009)

[1] http://www.icg.org/home/index.cfm?action=form&fid=16&l=1

[2] "Louise Arbour Begins As President of Crisis Group", 22. Juli 2009
http://alertnet.org/thenews/newsdesk/ICG/9a75ea20162e7acc83971f4779b18b94.htm

[3] http://www.rud-urunana.org/documentation%5CStatement%20re%20plane%20crash.doc

[4] "Uncovering Rwanda's secrets", Nick McKenzie für The Age, 10. Februar 2007
http://www.theage.com.au/articles/2007/02/09/1170524298439.html?page=fullpage#contentSwap2

[5] "Phone call from Rwanda", ursprünglich veröffentlicht in: Information (Dänemark), Björn Willum, 6. April 2004
http://www.willum.com/articles/information6april2004_2/index.htm

[6] Beispielsweise Robin Philpot in dem Buch "The Taylor Report"
http://www.taylor-report.com/Ruanda_1994/index.php?id=ch6#sdfootnote74anc

[7] "Did Annan shut down terror investigation?", ursprünglich veröffentlicht in: Information (Dänemark), Björn Willum, 6. April 2009
http://www.willum.com/articles/information6april2004_1/index.htm

[8] Die Schattenblick-Redaktion hat sich verschiedentlich mit dem Ruanda-Genozid unter dem Index AFRIKA befaßt, hier eine Auswahl der jüngeren Beiträge:
AFRIKA/1816: Ohrfeige für Ruandas Justiz - Auslieferungsgesuch abgelehnt (SB)
AFRIKA/1807: Wieso hat sich das Ruanda-Tribunal noch nicht aufgelöst? (SB)
AFRIKA/1768: Ruzibizas Rückzieher - taktischer Erfolg für Ruandas Regierung (SB)
AFRIKA/1766: Ruanda - Festnahme Rose Kabuyes instrumentalisiert (SB)
AFRIKA/1763: Rose Kabuye verhaftet - Ruandas Regierung gibt sich zornig (SB)
AFRIKA/1743: Merkwürdige Vorgänge beim Ruanda-Tribunal (SB)
AFRIKA/1725: Ruandas Genozid-Report - Frankreich im Visier (SB)


24. Juli 2009