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LAIRE/1380: Nicht nur Denkmäler stürzen ... (SB)



Im Zuge der aktuellen Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus wurden in mehreren Ländern Statuen gestürzt. Im folgenden wird dafür plädiert, einen Teil jener Statuen stehen zu lassen, um ihre gewaltrepräsentierende Funktion gegen sich zu kehren. Unter anderem mittels Schautafeln könnte umfassende Aufklärung darüber geleistet werden, daß die meist in Bronze oder Stein für die kommenden Generationen festgehaltenen Herrschaften die Kontinuität der Unterdrückung symbolisieren. Wem an der Abschaffung von Herrschaft gelegen ist, kann sich nicht damit zufrieden geben, einige ihre Symbole zu beseitigen, ohne im selben Lauf das anzugreifen, für was sie stehen.

Mit Sicherheit hat es in Bristol bei allen Beteiligten herzerfrischende Gefühle ausgelöst, unter dem Jubel der Menschen den Sklavenhändler Edward Colston vom Sockel zu stoßen und im Hafenbecken zu versenken, oder in Minnesota Hand an die Statue von Christoph Kolumbus zu legen und gemeinsam mit Gleichgesinnten an einem Strang zu ziehen, so daß dieses Sinnbild der Eroberung und Versklavung ihrer Verankerung entrissen wurde und zu Boden stürzte. Nicht minder freudig dürfte die Beseitigung der Statue von Leopold II., König von Belgien und verantwortlich für den Tod von ca. 18 Millionen Kongolesinnen und Kongolesen im Zuge der Kautschukgewinnung, in Antwerpen gefeiert worden sein.

Viel zu viele Denkmäler dieser Art verunzieren die Horte gesellschaftlicher Macht, zumal schon allein die sprichwörtliche Erhabenheit der Objekte vom Betrachter Unterwürfigkeit einfordert, geht doch meist der Blick empor zu den auf Sockeln stehenden Heroen. Deshalb wäre die Beseitigung der Symbole der Macht durch die Protestierenden sicherlich einer unreflektierten Duldung dieser Statuen im öffentlichen Raum vorzuziehen.

Doch wäre es nicht noch eingängiger, nicht auf der Ebene der Anti-Symbolpolitik stehenzubleiben? Machte man sich andernfalls nicht beispielsweise mit einer Nancy Pelosi gemein, der Sprecherin des Repräsentantenhauses der USA? Medienerfahren wie sie ist, verlangte sie jetzt, da allerorten in den USA Straßenproteste toben, die Beseitigung von elf Statuen im Kapitol, mit denen Anführer der konföderierten Staaten und Soldaten aus dem Bürgerkrieg geehrt werden. Außerdem forderte sie zur Umbenennung von Militärbasen auf, die nach konföderierten Anführern im Amerikanischen Bürgerkrieg benannt sind.

Aber Pelosi hütete sich, eine komplette Schließung der Militärbasen zu fordern, auch wenn es dazu genügend Anlaß gibt, wurde doch von ihnen ein Jahrzehnt nach dem anderen Not und Elend in die Welt getragen, vom Korea- bis zum Vietnamkrieg, von den Golfkriegen bis zur Zerschlagung Jugoslawiens, dem Krieg gegen Afghanistan, Syrien, Libyen und so weiter.

Macht es für die Aufständischen im eigenen Land oder auf irgendeinem Kriegsschauplatz der Welt einen Unterschied, ob sie von Soldaten aus einem Stützpunkt namens Fort Bragg, benannt nach dem Konföderierten-General Braxton Bragg, beschossen werden oder aus einem Stützpunkt, der, sagen wir, nach Martin Luther King benannt ist?

Das Kapitol, in dem Nancy Pelosi seit vielen Jahren arbeitet, birgt zahlreiche Büsten und Statuen. Welche von ihnen sollen gestürzt werden und welche erhalten bleiben? Wer bestimmt darüber, was zulässige und was unzulässige Objekte sind? Sollte man beispielsweise auch die lebensgroße Statue des Shoshonenhäuptlings Washakie aus dem Besuchszentrum des Kapitols entfernen? Und sollte auch das Fort Washakie in Wyoming einen neuen Namen erhalten?

Für die Weißen war der Shoshonen-Chief ein williger Gesprächspartner, der dafür sorgte, daß sich die Shoshonen friedlich, das heißt erfolgreich befriedet, in ein Reservat zurückzogen, und der 1851 den Vertrag von Laramie zur Unterwerfung der ursprünglichen Bevölkerung mitverhandelte. Für andere Stämme der Native Americans dagegen war Washakie womöglich ein übler Verräter, der den Soldaten der weißen Invasoren dabei half, die Apachen, Cheyenne und Sioux zu bezwingen, und der sich später von Mormonen taufen ließ. Also, weg mit dem Kerl oder soll er stehen bleiben mit seinem in Bronze gegossenen üppigen Federschmuck, jenem hollywoodesken Klischee des Indianerhäuptlings?

Die Symbole von Rassismus und Repressionen zu beseitigen, ohne die ihnen zugrundeliegenden Interessen in Frage zu stellen, hieße, dem ersten Schritt nicht den zweiten folgen zu lassen. Der anhaltende Aufruhr in den USA schließt nicht aus, daß Menschen voranschreiten und es nicht bei Anti-Symbolpolitik belassen. Doch die andere Seite hätte sich niemals so lange behauptet, wenn sie nicht in der Befriedung, Unterdrückung oder Vereinnahmung eben solchen Widerstands versiert gewesen wäre. Kaum hatten die Protestierenden in Boston der Statue von Christoph Kolumbus den Kopf abgerissen, teilte der Bürgermeister mit, daß das ganze Denkmal abgerissen werden soll. So soll Widerstand gelenkt werden.

Mit ihren Vorschlägen kocht Pelosi nicht nur ihr Oppositionssüppchen gegen den amtierenden US-Präsidenten Donald Trump, der der Umbenennung von Militärbasen prompt eine Absage erteilte, sie versucht damit, die bestehende gesellschaftliche Ordnung zu schützen. Der Zorn der Massen soll auf keinen Fall auf das Kapitol an sich gelenkt werden, in dem ein Haufen Millionärinnen und Millionäre Entscheidungen treffen, die nicht selten von existentieller Bedeutung für viele Millionen US-Bürgerinnen und -Bürger, und im wesentlichen der Sicherung und Vermehrung ihrer eigenen Pfründe verpflichtet sind. Und ihrer Klasse. So wie Pelosi.

Keine Frage, Sklavenhändler, Kriegshetzer und Völkermörder sollten nicht verehrt werden. Ihre Statuen müssen weg. So wäre Platz geschaffen worden für die Opfer ihrer Machenschaften. Doch als eine gewiß nicht minder wirkmächtige Option könnte sich eine Umwidmung der Statuen anstelle ihrer Beseitigung erweisen. Ein kopfloser Kolumbus, vom Sockel geholt und am Boden liegend, dazu auf Schautafeln beschrieben die Vernichtungs- und Verdrängungsorgie der indigenen Bevölkerung durch die europäischen Invasoren, denen Kolumbus vorausgegangen war - das wäre ein Denkmal der anderen Art.

Das Wissen um die Grausamkeiten, die von ihm und seinesgleichen begangen wurden, sollten in Erinnerung bleiben, weil sie den Nährboden bieten für einen Zorn, der nicht verraucht, nachdem die ersten Brände gelegt worden sind. Um das auch zukünftigen Generationen zu vermitteln eignet sich ein zerstörtes, ästhetisch abstoßendes Denkmal zuverlässiger, als ein bis auf seine Grundfeste abgetragenes Objekt, über das Gras wächst.

11. Juni 2020


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