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LAIRE/1367: Coronavirus - Einschränkungen und Maßnahmen ... (SB)



Unter der akuten Bedrohung der Coronaviruspandemie reklamieren immer mehr Staaten den Ausnahmezustand. Beispielsweise spricht Frankreichs Präsident Macron von "Krieg", um Maßnahmen zur Befriedung der Menschen zu verhängen. Die hatten den Staat in Gestalt der Gelbwestenbewegung herausgefordert und wurden bis heute nicht zum Schweigen gebracht. Andere Staaten verfolgen vermeintlich im Nebenlauf ähnliche Interessen.

März 2020, Europäische Union: Willkommen in der Dystopie! Militärische Absicherung der Außengrenze gegen mutmaßliche Horden potentiell infektiöser Habenichtse; polizeiliche Sicherung längst abgeschafft geglaubter Grenzen im Innern; Aufrufe der Politik, Ruhe zu bewahren, soziale Konktakte zu meiden und sich freiwillig in Isolation zu begeben; Verbot kultureller, in irgendeiner Weise gemeinschaftlicher Veranstaltungen; generelle Ausgangssperre, lediglich mit Ausnahmen, die für das unmittelbare Überleben unverzichtbar sind; mediale Dauerindoktrination der Bevölkerung durch Feindbildproduktion (das Coronavirus, es lauert überall. Wahlweise auch in der rassistischen Variante: Aufgepaßt, der Chinese hat's!); medizinisch-administrative Einteilung schwer erkrankter Menschen nach Nützlichkeitskriterien mangels Personal und Ausstattung.

Zum Beispiel Italien. Dort wurden und werden nicht alle an Covid-19 erkrankte, eigentlich intensivmedizinisch zu behandelnde ältere Menschen an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Es wird als nützlicher angesehen, dieses knappe Hilfsmittel für hinsichtlich ihrer Chance auf Genesung aussichtsreichere Erkrankte zu verwenden.

Doch unterscheidet sich der Schmerz, den die älteren und die jüngeren Covid-19-Erkrankten erleiden? Wäre ihr Leiden nicht als gleichwertig anzusehen? Eine Triage, das Treffen einer Auswahl an zu behandelnden Patientinnen und Patienten durch den Arzt, der nicht alle in Not Geratenen retten kann, orientiert sich von vornherein an Nützlichkeitskriterien. Die italienische Gesellschaft für Anästhesie, Analgesie, Reanimations- und Intensivmedizin (SIAARTI) jedoch empfiehlt den Ärztinnen und Ärzten, die Menschen nach dem Kriterium "Lebensjahre" zu retten. [1]

Der Unterschied zwischen "Lebensjahre", "Menschenleben" und "Menschen" ist gravierend. Menschen zu retten, kann bedeuten, denjenigen zu behandeln, der zuerst kommt. Menschenleben zu retten könnte bereits darauf hinauslaufen, das Leben eines Menschen zu bewerten, beispielsweise nach Alter, Geschlecht, Einkommen, Anzahl und Art der Vorerkrankungen, Versicherung, Körpergewicht, Raucher/Nichtraucher, etc. Die Bewertung nach zu erwartenden Lebensjahren ist zweifelfrei eindeutig: Junge Menschen werden bevorzugt, ältere Menschen dagegen sterben gelassen.

Zum Beispiel Deutschland: Der Staat verteidigt eine Ordnung, die so gestaltet ist, daß es bereits unter nicht-epidemiologischen Bedingungen an Zehntausenden von Pflegekräften fehlt. Eine öffentliche Ordnung, in der Kitas und Schulen tagelang geöffnet bleiben, weil die Eltern weiter zur Arbeit gehen und nicht genötigt sein sollen, auf ihre Kinder aufzupassen, und sich wahrscheinlich genau deshalb die Sars-CoV-2-Epidemie weiter ausgebreitet hat. Eine Ordnung, die zum Ergebnis hat, daß Krankenhäuser abgebaut und andere privatisiert wurden. Und das Finanzierungskonzept der Fallpauschalen, bei dem nur erbrachte Leistungen, nicht aber "das Vorhalten von Betten und Therapiekapazitäten für den Not- oder Katastrophenfall" vorgehalten werden, wie die Initiative "Krankenhaus statt Fabrik" schreibt, eignet sich kaum zur erfolgreichen Bekämpfung der Sars-CoV-2-Epidemie. [2]

Nicht nur in Italien, auch in Deutschland könnte ein Bettenmangel auftreten, wenn in größerer Zahl intensivmedizinische Behandlungen erforderlich werden. In einem "Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012" (Deutscher Bundestag, Drucksache 17/12051 vom 03. 01. 2013, Anhang 4) [3], in dem das Szenario einer Pandemie mit einem modifizierten SARS-Virus (Modi-SARS) durchgespielt wird, wird angenommen, daß die medizinische Versorgung bundesweit zusammenbricht (Seite 73 des Dokuments). In diesem Szenario wird zwar von einer sehr viel höheren Mortalitätsrate ausgegangen, als sie - zumindest gegenwärtig - Sars-CoV-2 aufweist, aber dafür zeigen sich die Symptome der hypothetischen Infektion schon nach wenigen Stunden. Das heißt, die fiktive Pandemie Modi-SARS ließ sich viel leichter eindämmen als die tatsächliche Pandemie mit Sars-CoV-2, für die das Robert-Koch-Institut eine Inkubationszeit von im Mittel 3 bis 5 Tagen, mitunter von bis zu 14 Tagen angibt.

Ungeachtet der Unterschiede zur Realität handelt sich um ein Szenario, das der Bundesregierung als Orientierungshilfe dient, insofern kann sie als Anhaltspunkt dafür dienen, womit gerechnet wird, wenn Bundeskanzlerin Merkel von 60 bis 70 Prozent Infizierten in Deutschland ausgeht. Die Zahl der Toten geht in dem Szenario in die Hunderttausende.

Man kann die Bürgerinnen und Bürger auf verschiedene Weise entmündigen. Eine wird zur Zeit ausgiebig praktiziert, nämlich durch die wiederholten Appelle, die Anweisungen der Behörden freiwillig zu befolgen. Sonst würde was passieren? Werden die Sicherheitskräfte dann qua ihres Gewaltmonopols die vorgegebene Ordnung erzwingen? Bis jetzt noch nicht. Bereits das Infektionsschutzgesetz gestattet Einschränkungen von Grundrechten (§ 16 IfSG) wie die Versammlungsfreiheit, Freiheit der Person, Unverletztlichkeit der Wohnung. Die Notstandsgesetze gewähren den staatlichen Organen noch weitaus mehr Befugnisse.

Der Ausnahmezustand wird um so wirksamer umgesetzt, je mehr die Menschen bereit sind, sich freiwillig in Isolation zu begeben, weil das ja aus epidemiologischen Gründen fraglos sehr vernünftig ist. Lieber fangen die Menschen an, auf ihren Balkonen zu singen - mit reichlich Abstand zueinander - als sich eng zusammenzuschließen und rechtzeitig gegen die vorherrschenden Verfügungsinteressen für Lebens- und Produktionsverhältnisse zu streiten, in der es gar nicht erst zur Vereinzelung kommen kann, weil dafür die Voraussetzung fehlt, die Vergesellschaftung. Die Anwendung der Triage zur Bekämpfung der Coronaviruspandemie zeigt wie mit einem Brennglas, daß die Gesellschaft grundsätzlich auf Ungleichheit der Menschen aufbaut und diese befestigt.


Fußnoten:

[1] http://www.siaarti.it/SiteAssets/News/COVID19%20-%20documenti%20SIAARTI/SIAARTI%20-%20Covid19%20-%20Raccomandazioni%20di%20etica%20clinica.pdf

[2] https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/53183

[3] bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Krisenmanagement/BT-Bericht_Schmelzhochwasser.pdf

18. März 2020


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