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LAIRE/1352: Militär - involviert und beteiligt ... (SB)



"Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren ..." (Bundespräsident Horst Köhler am 22. Mai 2010 in einem Interview mit dem Deutschlandradio [1])

Was waren das noch für friedliche Zeiten, als ein deutscher Bundespräsident zurückgetreten ist, weil er etwas umständlich ausgesprochen hat, was alle wußten, aber nicht hören wollten: Die Bundeswehr hat auch die Aufgabe, Ressourcennachschub zu sichern und Handelswege freizuhalten (sprich: freizuschießen), was Opfer in den eigenen Reihen kosten könnte. Neun Jahre ist das her. Seitdem sind die Empfindsamkeiten gewichen, und so kann eine Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) in einer sicherheitspolitischen Grundsatzrede an der Bundeswehrhochschule München den deutschen Militärnachwuchs regelrecht auf Angriffskriege einstimmen, indem sie erklärt:

"Ein Land unserer Größe und unserer wirtschaftlichen und technologischen Kraft, ein Land unserer geostrategischen Lage und mit unseren globalen Interessen, das kann nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen. Nicht einfach nur abwarten, ob andere handeln, und dann mehr oder weniger entschlossen mittun. Wir müssen selbst Vorschläge machen, Ideen entwickeln, Optionen vorstellen." [2]

Beispielsweise die souveränen Rechte Syriens ignorieren und gemeinsam mit den Waffenbrüdern und -schwestern für den NATO-Partner Türkei einen Sicherheitskorridor schaffen, wie unlängst von AKK vorgeschlagen. Selbstverständlich auf syrischem Territorium und nicht etwa auf türkischem, obgleich doch die Türkei und nicht etwa Syrien Sicherheitsbedenken geäußert hat. Aber solche Feinheiten gehören in eine andere Zeit und eine andere Kultur. AKK in München:

"Wir sprechen von unserer 'Kultur der Zurückhaltung', verweisen auf alle möglichen Rücksichtnahmen und Zwänge. Dabei haben wir allen Grund, mutiger zu handeln."

Eben! Warum sich weiter zurückhalten und auf das syrische Volk Rücksicht nehmen? Oder auf das jemenitische, das seit Jahren auch mit deutschen Waffen von einer von Saudi-Arabien angeführten Kriegsallianz bombardiert und zusammenkartätscht wird? Liegen nicht die beiden von Deutschland angezettelten Weltkriege schon lange zurück? Darf man sich nicht von den lästigen Zwängen der Schuldfrage befreien und endlich, endlich nach vorne schauen? So fabuliert die Verteidigungsministerin bereits von "Gestaltungsmacht" der Bundeswehr in der Weltpolitik.

Mutig soll der deutsche Soldat oder die Soldatin den Stiefel in den fruchtbaren Boden der Levante drücken, um diese Weltregion im Interesse der deutschen Wohlstandssicherung gegenüber Flüchtlingen und anderen Hungerleidern zu "verteidigen". Und, ja auch das, gegenüber den Anhängerinnen und Anhängern des Daesh, des Islamischen Staates, der aus den gesellschaftlichen und materiellen Trümmern des Iraks hervorging.

Vor sechzehn Jahren war das Land angegriffen worden, weil es westlichen Hegemonialinteressen im Wege stand.

Ohne den Angriffskrieg der USA und der Koalition der Willigen 2003 auf den Irak unter dem herbeiphantasierten Vorwand, das Land verfüge über mobile Biowaffenlabore und stehe kurz vor einem Raketenangriff auf die westliche Welt, wäre wahrscheinlich kein Islamischer Staat entstanden. Deutschland, das sich vordergründig nicht an diesem Krieg, der vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder verharmlosend als "Abenteuer" bezeichnet wurde, beteiligt hatte, stellte damals sehr wohl sein Territorium als Drehscheibe für den Waffennachschub zur Verfügung - ungeachtet dessen, daß dem Auslandsgeheimdienst BND klar war, daß der Krieg auf, wie man heute sagen würde, Fake News beruhte. Die Biowaffenlabore hat es nie gegeben.

Grundsätzliche Positionen absteckend führte AKK weiter aus:

"Es ist an der Zeit, dass wir daraus die Kraft und das Selbstvertrauen schöpfen, gemeinsam mit unseren Partnern und Verbündeten die Welt und unsere Zukunft stärker zu gestalten. Wenn wir den Mut haben, diese Rolle der Gestaltungsmacht anzunehmen, wird das ein Gewinn für uns alle sein. (...) Denn, seien wir mal ehrlich: Denn natürlich hat Deutschland wie jeder Staat der Welt eigene strategische Interessen. Zum Beispiel als global vernetzte Handelsnation im Herzen Europas. Wir vertreten jeden Tag unsere Interessen. Aber wir müssen endlich anfangen, das zuzugeben."

Auch und gerade gegenüber China, das von "unseren Partnern" Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien zunehmend als Bedrohung angesehen werde, so AKK. Weiterhin, ganz die Ehrliche mimend, führte sie aus: "Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität. Für geltendes internationales Recht, für unversehrtes Territorium, für freie Schifffahrt."

Und für freien Opiumnachschub ... ach nein, die Zeit ist längst vorbei, als die europäischen Mächte kein Pardon gaben und chinesische Häfen bombardierten, weil sich das Land unerhörterweise weigerte, seine Grenzen gegenüber Opiumimporten zu öffnen. China, das noch kein anderes Land angegriffen hat, wird bereits als kommender Feind dargestellt, den es einzudämmen gilt, nur weil es erfolgreicher das praktiziert, was auch Deutschland, Frankreich, die USA und alle anderen Staaten ebenfalls tun: Handel treiben, die Wirtschaft voranbringen, Profite erzielen.

Von der Bundeswehr präemptiv "verteidigt" wird Deutschland zur Zeit an mehr als einem Dutzend Konfliktherden in der Welt. Geht es nach AKK, kommen weitere hinzu, die man selber vorschlagen möchte. In einer Zeit sich immer weiter zuspitzender multipler Krisen (Klimawandel, Hunger, Flüchtlingsströme, Landverluste, Artensterben, Meeresversauerung, Ressourcenknappheit) positioniert sich Deutschland als fester Teil des NATO-Pakts und der Europäischen Union, um auf diese Weise seine nationalen Hegemonialinteressen durchzusetzen.

Die Verteidigungsministerin versucht zur Zeit, sich darüber Profil zu verschaffen und bei den USA lieb Kind zu machen, daß sie sanft, aber bestimmt mit dem Säbel rasselt und wie selbstverständlich Dinge ausspricht, die vor neun Jahren als tabu galten. Wobei nicht vergessen werden sollte, daß in der Zwischenzeit andere den ideologischen Boden bereitet haben, auf dem die neue Verteidigungsministerin nun zunehmend sicherer geht. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 kam es zu einer konzertierten Aktion seitens der deutschen Politik, als Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen unisono mehr sicherheitspolitisches Engagement und - wieder dieses Zauberwort - "mehr Verantwortung" seitens Deutschlands in der Welt forderten.

Inzwischen spricht sich AKK sogar für die Bildung eines Nationalen Sicherheitsrats aus, ohne daß sie für diese Forderung ihren Hut nehmen müßte. Denn sollte eine solche Institution geschaffen werden, würde diese voraussichtlich mit Befugnissen ausgestattet, die es ermöglichen, Kriegseinsätze zu befehlen, ohne zuvor die Zustimmung des Parlament einholen zu müssen.

Wer vor vier Monaten bei der überraschenden Ernennung AKKs zur Verteidigungsministerin den Eindruck hatte, daß diese in ihrem neuen Job unsicher wirkende, leidenschaftsarme, zierliche Person nicht das Zeug zur Kriegsministerin hat, dürfte sich mehr und mehr getäuscht sehen. AKK funktioniert.


Fußnoten:

[1] tinyurl.com/yy3g4um9

[2] Zitiert nach der Vorabversion der Rede der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am 7. November 2019 an der Bundeswehr-Universität München.
https://augengeradeaus.net/2019/11/dokumentation-grundsatzrede-der-verteidigungsministerin/

7. November 2019


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