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LAIRE/1277: Luftbrücke nach Somalia - Produktion jeder Menge heißer Luft (SB)


Internationale Anstrengung zur Bekämpfung der Hungers in Ostafrika

... und zur fortgesetzten Verschleierung der systemischen Hungerproduktion und ihrer Profiteure


Immer erst dann, wenn es opportun erscheint und den eigenen Interessen dient, wird eine Hungerlage wie gegenwärtig in Ostafrika von den reichen Ländern genutzt, die Hilfsbereitschaft herauszukehren. Wohlwissend, daß weltweit rund eine Milliarde Menschen nicht genügend zu essen hat und jedes Jahr deutlich mehr Menschen verhungern als bewaffneten Konflikten zum Opfer fallen. Es wird eine Luftbrücke nach Somalia aufgebaut, wo viele Millionen Menschen nicht genügend zu essen haben, und damit der Eindruck erweckt, als bestehe seitens der internationalen Gemeinschaft ein Räderwerk der Hungerhilfe, das immer dann greift, wenn irgendwo Not herrscht. Ein Irrtum, wie man weiß, das Räderwerk läuft in umgekehrte Richtung!

Der Nahrungsmangel entsteht nicht aus heiterem Himmel, sondern sattelt unter anderem auf der jahrzehntelangen Politik der Vernachlässigung des ländlichen Raums in den Armutsländern durch IWF, Weltbank und andere globale Institutionen auf und wird heute nicht zuletzt massiv durch Spekulationsgeschäfte des stets nach Anlage suchenden Finanzkapitals forciert. Deren Geschäft nutzt vielleicht einigen großen Betrieben, aber Hunderte Millionen weitgehend mittellose Kleinbauern, die für die profitstrebenden Investoren uninteressant sind, werden marginalisiert.

Das wenige an Nahrung, was jetzt in Ostafrika mit einer Hand verteilt wird, wird zur gleichen Zeit um ein Mehrfaches den Bedürftigen weggenommen oder verweigert. Da werden beispielsweise in Äthiopien riesige Ländereien für die Herstellung von Energiepflanzen, die zu Biosprit verarbeitet werden, freigestellt, während gleichzeitig Menschen Hunger leiden. Mehr als die Hälfte der US-Maisproduktion wird von Destillerien aufgekauft, und obgleich es sich um Futtermais handelt, der nicht zum Verzehr vorgesehen ist, wird daran erkennbar, daß die Biospritproduktion Ackerfläche, Dünger, Pestizide, Wasser und Arbeitskräfte bindet und damit verbraucht. Der Tank-versus-Teller-Widerspruch ist viel tiefer verankert, als durch das bloße Gegenüberstellen der Feldfrüchte für die Agrosprit- oder Nahrungsproduktion ausgedrückt wird.

In dieser Welt ist Autofahren offensichtlich wichtiger, als den Hunger zu bekämpfen. Daß nun eine Luftbrücke nach Somalia für die Lieferung von Nahrung aufgebaut wird, sei den Hungernden bedingungslos gegönnt. Diese Form der Hilfe stellt jedoch kein Gegenmodell zum Auftreten des Hunger dar, sondern soll zur Legitimierung von Verhältnissen beitragen, in denen die Bekämpfung des Hungers Bestandteil seiner Verwaltung ist. Kurz: Hunger wird gemacht, und das wird verschleiert.

Im globalen Kontext der vorherrschenden Produktions- und Reproduktionsverhältnisse erfüllt Hunger eine noch wichtigere Droh- und Züchtigungsfunktion als beispielsweise Arbeits- und Obdachlosigkeit. Um nicht zu verhungern, ja, um einmal in die Nähe einer Hungersituation zu gelangen, sind Menschen zu allem bereit, beispielsweise sich fremdbestimmter Arbeit zu unterwerfen und einen Mehrwert zu erwirtschaften, der von anderen abgegriffen und akkumuliert wird.

Umgekehrt kann daraus hergeleitet werden, daß die gesellschaftlich vorherrschenden Kräfte zwecks Absicherung eben dieser privilegierten Position, alles tun, also auch Dinge, die als verwerflich gelten. Im Rahmen der Hungeradministration kann gern schon mal von den Vereinten Nationen eine Luftbrücke mit Lebensmitteln aufgebaut werden, aber nicht zu oft, sonst könnte noch jemand auf den Gedanken kommen, die Hungerhilfe so sehr ernst zu nehmen, daß er sie konsequenterweise für alle Bedürftigen verlangt. Und nicht etwa nur für jeden zweiten Betroffenen, wie es in den für 2015 terminierten Millenniumszielen formuliert ist. Aber selbst das wird niemals mehr eingehalten.

27. Juli 2011