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LAIRE/1254: Hilfsorganisationen üben schwere Kritik an deutscher Entwicklungspolitik (SB)


Welthungerhilfe und terres des hommes legen Bericht zur "Wirklichkeit der Entwicklungshilfe" vor


Wenige Tage nachdem der CDU-Abgeordnete Johannes Röring Misereor und andere Hilfsorganisationen der ideologisierten Entwicklungspolitik bezichtigt und ihnen die Förderung von Hunger und Armut in den Entwicklungsländern zur Last gelegt hat, veröffentlichen die Welthungerhilfe und terres des hommes ihren 18. Bericht zur "Wirklichkeit der Entwicklungshilfe" zur Einschätzung der offiziellen Entwicklungspolitik bewertet . Darin erheben sie schwerwiegende Vorwürfe gegen das von dem FDP-Politiker Dirk Niebel geführte Bundesministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Während die gesamten Mittel im vergangenen Jahr um mehr als eine Milliarde Euro zurückgefahren wurden, hat der Minister die Gelder für "Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft" in diesem Jahr um 25 Prozent auf 60 Millionen Euro erhöht.

Wenn schon das BMZ nicht abgeschafft wird, wie von ihm vor seiner Amtsübernahme angedacht, dann sollte es zumindest verstärkt deutsche Wirtschaftsinteressen bedienen, scheint sich der Minister gesagt zu haben. Er hat eine neue Servicestelle für die Kooperation seines Ministeriums mit der Wirtschaft eingerichtet und will darüber hinaus die zivil-militärische Zusammenarbeit vertiefen. Das lehnen die Hilfsorganisationen ab, da für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Konfliktgebieten wie zum Beispiel Afghanistan bislang ein gewisser Schutz darin bestand, daß die Kombattanten den Unterschied von zivilen und militärischen Kräften anerkannten. Wird diese Grenze aufgehoben, sehen die bewaffneten Kämpfer logischerweise weniger Anlaß denn je, warum sie nicht auch gegen die Hilfsorganisationen vorgehen sollten.

Entwicklungshilfe, Außenwirtschaftsbeziehungen und militärische Interventionen - unter Minister Niebel gewinnt Entwicklungshilfe als Türöffner für und Bestandteil von Wirtschaftsinteressen, die wiederum durch den Einsatz der Bundeswehr abgesichert werden, an Kontur. Was die Welthungerhilfe und terres des hommes in ihrem aktuellen Report an Zahlen zu Art und Umfang der öffentlichen Entwicklungshilfe liefern, fügt sich übergangslos in das Bild, daß das BMZ eines von mehreren ausführenden Organen deutscher Hegemonialpolitik ist.

In der staatlich geförderten und privat organisierten Entwicklungshilfe sind Menschen mit teils großem Engagement tätig. Ihr Lohn ist meist kein materieller, sondern wäre eher in der sozialen Anerkennung einzuordnen. Hilfsorganisationen erfahren nicht zuletzt deshalb Unterstützung durch Regierung und Gesellschaft, weil sie eine legitimatorische Funktion des vorherrschenden Systems erfüllen. Sie stellen die nationalen und globalen ordnungspolitischen Voraussetzungen für arm und reich nicht in Frage, sondern verlangen allenfalls Ausbesserungen des Bestehenden. Dabei kann es geschehen, daß sie wie im vorliegenden Fall mit einer Regierung besonders hart ins Gericht gehen. Das sollte man jedoch nicht mit einer Fundamentalkritik verwechseln. Hätte die Bundesregierung den Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttonationaleinkommen nicht von 0,38 auf 0,35 Prozent gesenkt, sondern statt dessen ihre Zusage eingehalten und mehr für Entwicklungshilfe ausgegeben, wären die Hilfsorganisationen weitgehend zufrieden gewesen. Von einem Bruch der Zusammenarbeit mit der Regierung jedenfalls ist in dem Bericht "Wirklichkeit der Entwicklungshilfe" nicht die Rede.

9. November 2010