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LAIRE/1252: Schlichtungsgespräche - Widerstand gegen Stuttgart 21 wird erfolgreich ausgebremst (SB)


Bla, bla, bla, bla, bla ...


Schlichtungsgespräche - es dürfte wohl kaum einen treffenderen Begriff für das geben, was derzeit zum umstrittenen Bahn- und urbanen Bauprojekt in Stuttgart unter der Regie von Heiner Geißler bühnenreif aufgeführt wird. Nicht die Politik, sondern der Widerstand wird durch die Gespräche geschlichtet - und am Ende werden der unterirdische Bahnhof und die neue Bahntrasse zwischen Wendlingen und Ulm gebaut.

Wenn irgendwann der Schlichter und die Kontrahenten sagen sollten, daß zwischen den Befürwortern und Kritikern des milliardenschweren Projekts keine Einigung erzielt werden konnte, haben Bahn und Regierung gewonnen. Es ist ihnen gelungen, den Widerstand erfolgreich zu spalten, der vor einigen Wochen nicht nur hinsichtlich der bloßen Anzahl der Beteiligten so rasant wuchs, als ob nach oben kein Limit existierte, sondern der auch zunehmend auf die Klärung grundsätzlicher Fragen von Regierung, Kapitalinteressen und Herrschaft abhob.

Die Stärke des S21-Widerstands hätte darin bestehen können, sich dem Diktat der vorherrschenden Kräfte zu entziehen. Diese hatten anfangs versucht, die Prostestbewegung durch ihre Kriminalisierung und Dämonisierung aufs Abstellgleis zu leiten. Nur weil man jetzt an einem Tisch sitzt und ein sogenanntes Gespräch inszeniert, das live im Fernsehen und Internet mitverfolgt werden kann, bedeutet das nicht, daß die Administration die gleichen Mittel nicht noch einmal ausspielen wird. Wenn es ihr nützlich erscheint, wird sie irgendwann wieder Steine mit Kastanien verwechseln, Mittelklasse-Schülern den Stempel "Schwarzer Block" aufdrücken, Menschen das Augenlicht wegschießen und hundertjährige Bäume fällen lassen.

Die Schlichtungsgespräche bringen nur denen etwas, die ihre nie zuvor auf diese Weise in Frage gestellte Position als politische Entscheidungsträger und Funktionselite bedroht sahen. Als der Widerstand gegen das S21-Projekt anschwoll, konnte man für einen Moment den Eindruck gewinnen, hier entstehe ein Protestpotential, durch das sogar eine Landesregierung gestürzt werden könnte.

Aber dann zeigte die Obrigkeit ihre Zähne und Klauen. Sie bediente sich eines uralten Herrschaftsmittels und ließ ihre Kettenhunde von der Leine. Die hat den Bürgerinnen und Bürgern nachhaltig Mores gelehrt. Viele waren zutiefst schockiert, konnten nicht glauben, daß "ihr" Staat so mit ihnen umgeht, und haben ihre Empörung über diesen eklatanten Bruch mit ihrem Rechtsverständnis lauthals hinausgerufen. Was offenbar schwer zu begreifen ist: Der brutale Übergriff der Polizei auf die Demonstranten war keine Ausnahmesituation. Er war spezifischer Ausdruck des grundsätzlichen Verfügungsanspruchs, den jeder auf diese oder ähnliche Weise zu spüren bekommt, der sich in die Nähe der ihm gesteckten Grenzen begibt. Das gilt für Demonstrationen wie für den Alltag.

Wenn von einer Ausnahme die Rede sein soll, dann bestand sie ganz auf Seiten der Demonstranten, die ein kleines bißchen an der Macht genippt und gemerkt hatten, daß sie nicht ohnmächtig sind, wie man es ihnen zeit ihres Lebens zu glauben anerzogen hat. Daß jetzt Schlichtungsgespräche stattfinden, hat sicherlich auch damit zu tun, daß sich Teile der Bewegung von dem brutalen Polizeieinsatz haben beeindrucken lassen.

5. November 2010