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LAIRE/1072: US-Heimatschützer nehmen "alternative Medien" aufs Korn (SB)


Gesinnungspolizei auf dem Vormarsch

"Lexikon des heimischen Extremismus" der USA richtet sich auch gegen nicht gewaltbereite Randgruppen


Das Heimatschutzministerium der USA hat ein "Lexikon des heimischen Extremismus" (Domestic Extremism Lexicon) [1] nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung wieder zurückgezogen und anschließend behauptet, daß die darin enthaltenen Aussagen nicht zur Anwendung gelangt sind oder gelangen sollen. [2] In dem Lexikon werden mexikanische Einwanderer, jüdische und christliche Extremisten, schwarze Bürgerrechtler, Anhänger der kubanische Befreiungsbewegung, Abtreibungsgegner, Tierbefreier, radikale Umweltschützer, Technologiegegner, Steuerverweigerer und viele mehr als Extremisten tituliert.

Besonderes Augenmerk verdient die Kategorie "alternative media", denn daran wird überdeutlich, daß die Formulierung oder auch nur bloße Verbreitung aller vom Mainstream abweichenden Meinungen als gefährlich eingestuft wird. Dazu heißt es wörtlich: "Alternative Medien" sind "eine Bezeichnung, um verschiedene Informationsquellen zu beschreiben, die ein Forum für Interpretationen von Ereignissen und Themen bieten und sich radikal von denen unterscheiden, die in den Produkten und Auslassungen der Massenmedien präsentiert werden." [3] Es geht hier also um die Diffamierung einer Gesinnung, wobei es unglaubwürdig ist, daß die Heimatschützer in den USA nicht genau diese Einstellung gegenüber abweichenden Meinungen haben, ob das Lexikon zurückgezogen wurde oder nicht, oder ob es nicht durch das Office of Intelligence and Analysis (I&A) authorisiert wurde, wie Amy Kudwa, Sprecherin des dem I&A übergeordneten Heimatschutzministeriums, beteuerte. [2]

Das Lexikon führt jeweilige Definitionen an, aus welchen Gründen oben genannte und weitere Personengruppen zum "heimischen, nicht-islamischen Extremismus" gehören und eine Gefahr für die Vereinigten Staaten darstellen könnten. Erst im Januar hatte sich Heimatschutzministerin Janet Napolitano für einen Report aus ihrem Haus entschuldigen müssen, in dem auf ähnliche Weise vor politisch linken Gefahren gewarnt wurde. Das "Lexikon des heimischen Extremismus" geht nun weit darüber hinaus. In ihm wird ein breites Spektrum an potentiellen Gefahren beschrieben. Das Lexikon war als Anleitung und Unterstützung von Behördenvertretern auf bundesstaatlicher, staatlicher, lokaler und Stammesebene vorgesehen.

Trotz des Rückziehers kann das Heimatschutzministerium nicht leugnen, daß sich Beamte seines Hauses für die Erstellung des Lexikons Gedanken gemacht und sicherlich ihre Vorstellungen von Extremismus ausformuliert haben. Immerhin wird im Einleitungstext erklärt, daß das Lexikon grundlegende Anhaltspunkte im Rahmen "einer Serie von Anleitungen" für Sicherheitsorgane liefern soll. Daraus läßt sich schlußfolgern, daß es fast keinen Unterschied macht, ob die gewählten Definitionen in diesem einen, ausnahmsweise zurückgezogenen Report zu konkreten Handlungen führen oder nicht - es offenbart sich schlicht und einfach die Einstellung der Behörden gegenüber der Öffentlichkeit.

Die wird als Bedrohung der staatlichen Ordnung angesehen, nur daß der Staat bzw. seine unmittelbaren Vertreter schlecht sagen können, wen sie alles als Gefahr betrachten, denn dann könnten jene sich eines Tages fragen, warum sie überhaupt noch einen Staatsapparat mittragen sollen. Es hat einmal Zeiten gegeben, da existierten keine Staaten - warum nicht darin zurückkehren und Formen des Zusammenlebens neu erfinden, die bislang vermieden wurden, könnten sich eines Tages die "Extremisten" sagen.

Das Wort "Extremist" kursiert nicht erst seit kurzem innerhalb der US-Regierung. Auch der frühere US-Präsident George W. Bush verwendete das Wort auf eine Weise, die deutlich machte, daß es eine Erweiterung des Begriffs "Terrorist" bilden sollte. Mit "Extremist" wird die behauptete Gefahr für den Staat ins Vorfeld irgendwelcher unrechtmäßigen Taten verlegt. Während der sogenannte Terrorist im Obrigkeitsverständnis eine kriminelle Tat vollzieht, diese vorbereitet oder sich ausbildungsmäßig in die Lage versetzt, sie eines Tages ausführen zu können, hat der Extremist möglicherweise nicht das geringste in dieser Richtung vor. Er zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß er einer Randgruppe der Gesellschaft angehört. Vielleicht hat der Extremist eine eigene, kritische Meinung - salopp gesagt, er ist nicht gut auf den Staat zu sprechen -, aber er plant keine Anschläge oder ähnliches. Denn dann würde er sofort als Terrorist bezeichnet werden.

Nicht nur in den USA nehmen die Sicherheitsarchitekten der Exekutive unschuldige Bürger ins Visier. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble verwendet einen Begriff, der eher dem Extremisten als dem Terroristen entspricht, nämlich den des "Gefährders". Ein Gefährder ist ein Mensch, von dem rundheraus behauptet wird, er könnte sich extremistisches Gedankengut aneignen und würde möglicherweise irgendwann Anschläge verüben, diese aktiv unterstützen oder zumindest keine Schritte zu ihrer Verhinderung unternehmen.

Die Kategorie "alternative media" im "Lexikon des heimischen Extremismus" der USA bietet so viel Interpretationsspielraum, daß sie weit über alle bisherigen Bemühungen zur Einschränkung der freien Meinungsäußerung hinaus ausgelegt werden kann. Aber, wie gesagt, es gibt keinen Grund zur Beunruhigung, da ja das Heimatschutzministerium das Schriftstück zurückgezogen und versichert hat, daß es nicht gilt ...


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Anmerkungen:

[1] (U//FOUO) Domestic Extremism Lexicon, 26. March 2009
(U) Prepared by the Strategic Analysis Group and the Extremism and Radicalization Branch, Homeland Environment Threat Analysis Division.
http://turnerradionetwork.com/domestic-extremism-lexicon.pdf

[2] "'Maverick' DHS Office Issues Glossary of Domestic Extremist Groups", FOXNews.com, 5. Mai 2009
http://www.foxnews.com/politics/2009/05/05/maverick-dhs-office-issues-dictionary-domestic-extremist-groups/

[3] Im Original heißt es: (U) alternative media (U//FOUO) A term used to describe various information sources that provide a forum for interpretations of events and issues that differ radically from those presented in mass media products and outlets.

8. Mai 2009