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LAIRE/1070: Die Eliten treibt die Angst vor sozialen Unruhen um (SB)


Wird sich das Lumpenproletariat erheben?

Wolfgang Schäuble, der oberste Warner der Bundesrepublik, will jetzt nicht warnen


Die Überschüssigen und Ausgegrenzten, die im Arbeitsleben Aufgeriebenen und Verschlissenen, die um ihre Rente Betrogenen und auch all die Hartzer, denen irgendwelche gutgenährten Fachhochschuldozenten noch den Billigkäserest von der Aldi-Stulle klauben wollen, sie alle benötigen niemanden, der ihnen sagt, daß sie in Anbetracht der schweren Wirtschaftskrise nicht in Panik geraten sollen.

Die aktuelle Debatte um soziale Unruhen und nötige oder unnötige Panikmache wird nicht innerhalb jenes Lumpenproletariats, das heute Prekariat geschimpft wird und vor dessen explosivem Potential sich die Merkels, Köhlers, Schwans und wie die Hüter der vorherrschenden Eigentumsordnung noch heißen, sehr wohl fürchten müssen, geführt. Es handelt sich vielmehr um eine Debatte innerhalb der Eliten, und natürlich geht es ihnen sowohl darum, einander bei der Eroberung gutbezahlter Pöstchen auszustechen, als auch um die Verteidigung der bestehenden Pfründe gegen den gesellschaftlichen Bodensatz.

Die Furcht vor sozialen Unruhen, die nicht thematisiert werden sollen, treibt schon so manche Stilblüte. So kritisierte Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Ankündigung des Gewerkschaftsbosses Hubertus Schmoldt, den 1. Mai zum Tag der Abrechnung mit den Investmentbankern zu machen, mit den Worten: "Es ist in diesen Tagen völlig unverantwortlich, mit den Begriffen Abrechnung und Pauschalverurteilung leichtfertig umzugehen."

Da fragt man sich unwillkürlich, wenn es in "diesen" Tagen völlig unverantwortlich ist, an welchen Tagen sollte man statt dessen mit Begriffen Abrechnung und Pauschalverurteilung umgehen? Und wieso muß es leichtfertig sein - kann die Abrechnung nicht ein ernstgemeintes Anliegen von Menschen sein? Widersprüchlich klangen auch die Erklärungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Er meinte, er habe nicht den Eindruck, daß man jetzt eine Debatte über soziale Unruhen führen müsse. [1] Auch hier die Frage: Wenn nicht jetzt, wann dann? Und mit seiner weiteren Erklärung, daß er sich an der Diskussion über Schwan - sie hatte vor sozialen Unruhen gewarnt - nicht beteiligen wolle, wirkt dann doch eher wie ihr genaues Gegenteil.

Jener Wolfgang Schäuble, der jetzt Warnungen vor sozialen Unruhen für unbegründet hält, tat genau dies, nachdem Ende 2007 das französische Lumpenproletariat aus den Banlieus ausbrach, viele tausend Autos in Brand setzte und sich wochenlang mit der Polizei Straßenschlachten lieferte. Damals sagte Schäuble gegenüber der "Neuen Presse" (Hannover), daß man diese Entwicklung "sehr ernst" nehmen müsse. Man müsse darauf achten, daß sich nicht auch in Deutschland sozialer Sprengstoff aufbaut und in Gewalt entlädt. Auch in deutschen Großstädten gebe es bereits Slums, "öffentliche Verwahrlosung" sei der erste Schritt in eine "Abwärtsspirale". [2]

Noch etwas zeitnaher, Anfang Oktober 2008, warnte Schäuble vor den politischen Turbulenzen in Folge der Finanzmarktkrise. Wörtlich sagte er gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel": "Wir wissen von der Weltwirtschaftskrise der zwanziger Jahre, dass aus einer wirtschaftlichen Krise eine unglaubliche Bedrohung für die gesamte Gesellschaft erwachsen kann. Die Folgen dieser Depression waren Adolf Hitler und indirekt der Zweite Weltkrieg und Auschwitz." Niemand wisse derzeit, wie schlimm diese Krise noch werde. Es handele sich um einen historischen Einschnitt vergleichbar mit dem 11. September 2001. [3]

Also, wenn das keine Panikmache ist! Kann es ein größeres Bedrohungsszenario geben als Adolf Hitler, der Zweite Weltkrieg, Auschwitz und den Globalen Krieg gegen den Terror nach den 9/11-Anschlägen in einem Atemzug?

Läßt man die letzten Jahre Revue passieren, so trifft man immer wieder auf den deutschen Innenminister, der sich anscheinend berufen fühlt, die Bevölkerung vor immensen Bedrohungen zu warnen. So versteckte er sich im September 2007 hinter irgendwelchen "Fachleuten", die überzeugt davon seien, daß es nur noch eine Frage der Zeit sei, wann in Deutschland ein Anschlag mit Atomwaffen verübt werde. Dem noch nicht genug, trieb er seine Behauptung mit der vermeintlichen Beruhigung, daß es keinen Zweck habe, "dass wir uns die verbleibende Zeit auch noch verderben, weil wir uns vorher schon in eine Weltuntergangsstimmung versetzen", geradezu auf die Spitze. [4]

Aber wie gesagt, Wolfgang Schäuble will sich gar nicht an der Debatte über Schwans Äußerungen zur explosive Stimmung und drohenden sozialen Unruhen äußern und hält derartige Warnungen für unbegründet. Es gibt eben nur einen in der Bundesrepublik, der solche Warnungen aussprechen darf, und das ist der deutsche Innenminister.


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Anmerkungen:

[1] http://www.focus.de/politik/deutschland/umfrage-deutsche-fuerchten-soziale-unruhen_aid_393507.html

[2] http://www.focus.de/politik/deutschland/integration_aid_107362.html

[3] http://www.news-nachrichten.com/politik/finanzmarkt-krise-schaeuble-warnt-vor-politischen-turbulenzen-idnn20081004449/

[4] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/schaeuble-warnt-vor-atomarem-anschlag;1323451

26. April 2009