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LAIRE/1062: GlaxoSmithKline-Chef Witty mimt den Philanthropen (SB)


Neue Strategie zur Konsolidierung des Profits in Zeiten des wirtschaftlichen Niedergangs

Britischer Pharmakonzernchef kündigt drastische Senkung von Medikamentenpreisen in Entwicklungsländern an

Auch auf bestimmte Patentrechte soll verzichtet werden


Von einem Wechsel an der Spitze des weltweit zweitgrößten Pharmakonzerns GlaxoSmithKline (GSK) war nichts anderes zu erwarten als eine notwendige Anpassung der Unternehmensstrategie an die neuen Gegebenheiten des Marktes. Wenn also der seit Mai 2008 das Unternehmen GSK führende Andrew Witty in der Samstagsausgabe der britischen Zeitung "The Guardian" (14.2.2009) erklärt, daß das Unternehmen auf einen Teil seiner Patentrechte verzichten, sämtliche Medikamente in den 50 ärmsten Ländern für nicht mehr als 25 Prozent des in den USA und Großbritannien üblichen Preises verkaufen und 20 Prozent der Profite in Krankenhäuser stecken will, dann klingt das zunächst gut. Denn Kritiker der Pharmakonzerne wettern seit Jahren gegen den Patentschutz insbesondere auf HIV/AIDS-Medikamente und bezichtigen die Unternehmen der Skrupellosigkeit angesichts von täglich Tausenden von Menschen, die sterben müssen, weil ihnen der Zugang zu lebensrettenden Medikamenten vorenthalten wird.

Die vermeintliche Menschenfreundlichkeit des Konzernchefs erweist sich allerdings bei genauerer Betrachtung als Kalkül. Hat doch die Pharmabranche in den letzten Jahren Marktanteile an die Hersteller von Generika abtreten müssen. In Ländern wie China, Indien, Brasilien und Thailand werden die teuren Markenmedikamente nachgebaut und zu einem günstigeren Preis vertrieben. Unter bestimmten Bedingungen, die in den Statuten der Welthandelsorganisation festgelegt sind, dürfen Entwicklungsländer den Patentschutz außer Kraft setzen, um Generika zu erwerben, mit denen Menschen gerettet werden können, die ansonsten wegen der sehr viel höheren Medikamentenpreise der lizenzierten Pharmaprodukte vermutlich gestorben wären.

Die Ankündigung Wittys, die Medikamentenpreise in den Entwicklungsländern um 75 Prozent senken zu wollen, stellt einen Versuch dar, das an die Generikahersteller verlorene Terrain wieder zurückzuerobern und sich in Zukunft auf diesem Marktsegment zu halten. Solch ein Schritt lag auf der Hand, nachdem es den Pharmariesen nicht gelungen war, die Herstellung von Nachbaupräparaten in die Schranken zu weisen.

Noch in anderer Hinsicht handelt es sich bei Wittys Vorstoß um eine Anpassungsstrategie an veränderte Marktbedingungen: Die weltweite Verarmung wird weiter zunehmen. Sie hatte bereits vor der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2007, 2008 dramatisch zugelegt. Innerhalb kurzer Zeit fielen 100 Millionen Menschen unter die Armutsschwelle und müssen fortan zu jenen rund 850 Millionen, die regelmäßig Hunger leiden, dazugerechnet werden.

Heute können sich mindestens eine Milliarde Menschen gar keine Medikamente leisten. Solange die Mittel nicht kostenlos verteilt werden, zählen diese Menschen niemals zu den Kunden der Pharmakonzerne. Dann gibt es aber eine breite Masse von immer noch sehr armen Menschen, die aber über ein bescheidenes Einkommen verfügen und sich notfalls ein Medikament kaufen können, ohne daß sogleich ihre Existenz in Frage gestellt ist. Bei ihnen ist noch etwas zu holen, hier versucht GlaxoSmithKline abzuschöpfen. Aus taktischen Gründen appelliert Andrew Witty an die übrige Pharmabranche, mitzuziehen und ebenfalls die Preise zu senken oder auf Patentrechte zu verzichten. Immerhin kann nicht ausgeschlossen werden, daß er als Nestbeschmutzer bezichtigt wird oder man ihm Preis-Dumping vorwirft.

Die Ankündigung des neuen GSK-Chefs, ein Fünftel der Profite, die in Entwicklungsländern erwirtschaftet werden, in Krankenhäuser stecken zu wollen, ist insofern interessant, als daß er damit einräumt, daß sein Konzern weiterhin Profite in Entwicklungsländern machen will. Offenbar sollen 80 Prozent dieser Profite den Entwicklungsländern nicht zugute kommen, und die restlichen 20 Prozent fließen in Einrichtungen, von denen man bislang nicht sagen kann, ob sie nicht hauptsächlich dem Zweck dienen sollen, GSK-Medikamente unters Volk zu bringen.

Die Preisgabe des Patentrechts für Pharmawirkstoffe oder Herstellungsverfahren stellt bekanntlich eine der zentralen Forderungen von Hilfsorganisationen wie Oxfam dar. Dennoch ist Skepsis angesagt, wenn Witty nun die Bildung eines Patent-Pools vorschlägt, aus dem sich Forscher bedienen können. Er hat seine Vorstellung noch nicht konkreter formuliert, insofern kann nur darüber spekuliert werden, wie solch ein Patent-Pool aussehen wird. Es könnte aber sein, daß der Pool einem Grabbeltisch für Remittenten-Exemplare ähnelt und die Pharmakonzerne dort ihre unattraktiven Patente, die keinen absehbaren Profit verheißen, einbringen. Für diese Vermutung spricht, daß laut Witty der Patent-Pool Innovationen in jenen Forschungsbereichen erleichtern soll, in denen bislang kaum Fortschritte erzielt wurden.

Den mangelnde Fortschritt könnte man zwar dahingehend interpretieren, daß es sich um unattraktive Bereiche handelt, die den großen Konzernen bislang wenig Gewinn versprachen, weil es um Krankheiten geht, die nicht in reichen Ländern, sondern hauptsächlich in Entwicklungsländern vorkommen, die kein Geld haben und im Zweifelsfall sogar auf Generika ausweichen dürfen. Aber nicht auszuschließen ist die Vermutung, daß es auf einigen dieser Gebiete in all den Jahren schlicht und ergreifend keine Fortschritte gegeben hat, weil die Forscher trotz ihres Bemühens nicht weitergekommen sind. Deshalb stellt sich die Frage, was ein Patent überhaupt noch wert ist, das Jahrzehnte nichts eingebracht hat. Wird ein Pharmakonzern darauf gegebenenfalls nicht gern verzichten, wenn er dadurch sein Image aufbessern kann? Sollen sich doch andere um die Forschung bemühen, vielleicht haben sie mehr Glück bei der Entwicklung, könnte sich GlaxoSmithKline sagen, wenn es seine Patente zur Verfügung stellt.

Es wäre den Menschen in den Entwicklungsländern zu gönnen, wenn Wittys Vorschläge auf etwas anderes hinausliefen als hier beschrieben. Darauf sollte jedoch niemand hoffen, haben doch zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit gezeigt, daß immer dann, wenn den ärmsten Ländern von Seiten der westlichen Regierungen oder der Wirtschaft Versprechungen gemacht wurden, sich diese als heiße Luft herausstellten. Davon haben die Länder des Südens wahrlich selbst genug. Weder hat die Grüne Revolution den Hunger in der Welt beendet, noch sind die Armutsländer nach der Entschuldungsinitiative schuldenfrei geworden, noch werden die Millenniumsziele zur Halbierung der Armut bis 2015 eingehalten. Und von der Hilfsbereitschaft und Menschenfreundlichkeit der Pharmakonzerne zeugen regelmäßig deren Hilfslieferungen mit abgelaufenen und völlig nutzlosen Medikamenten an Länder, die von einer Katastrophe heimgesucht wurden.

Wenn die Beendigung der sogenannten vermeidbaren Krankheiten in den Entwicklungsländern ein Herzensanliegen Wittys wäre, würde er sich für die kostenlose Abgabe von Medikamenten starkmachen. Weil das selbstverständlich nicht innerhalb der bestehenden Verhältnisse machbar ist, müßte er darum kämpfen, daß sich die Verhältnisse fundamental ändern. Mit einer reformierten Marktwirtschaft wäre das nicht zu machen, da bekanntlich Mangel die Grundlage von Marktwirtschaft bildet. Ohne Mangel keine Geschäfte. Das heißt, erst wenn Menschen etwas vorenthalten wird - beispielsweise lebensnotwendige Medikamente -, funktioniert Marktwirtschaft. Der Mangel existiert nicht von sich aus, er muß laufend geschaffen werden. Wittys Vorschläge zielen nicht auf die Abschaffung dieses Systems, sondern auf seine Qualifizierung.

16. Februar 2009